Münzen und ein Geldschein, die zusammen den Mindestlohn für das kommende Jahr ergeben: 12,41 Euro.
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Beim Thema Mindestlohn gibt es weiter Krach: Grüne, Gewerkschaften und Sozialverbände fordern eine Erhöhung, die Wirtschaft lehnt dies ab.

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Kritik von mehreren Seiten: Neuer Streit über Mindestlohn-Höhe

12 Euro pro Stunde bekommen Mindestlohnempfänger aktuell in Deutschland. Viel zu wenig, sagen Gewerkschaften, Sozialverbände und die Grünen. Sie pochen gar auf eine grundlegende Reform des Mindestlohns. Kritik kommt von der Arbeitgeberseite.

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Der Mindestlohn in Deutschland ist nach Ansicht von Gewerkschaften und Sozialverbänden viel zu niedrig: 12 Euro bekommen Beschäftigte derzeit mindestens pro Stunde. Im kommenden Jahr soll die Lohnuntergrenze auf 12,41 Euro steigen. Angebracht wäre aber deutlich mehr, so die Präsidentin des Sozialverbands VdK. Auch die Grünen stören sich noch immer an der zuletzt durch den Bundestag beschlossenen Erhöhung. Die Wirtschaft mahnt hingegen zur Vorsicht und warnt vor einer weiter steigenden Inflation. Ein seit Langem andauernder Streit geht damit in eine neue Runde.

Grüne befürchten nachlassenden Effekt des Mindestlohns

Für den Grünen-Sozialpolitiker Frank Bsirske und früheren Verdi-Chef geht der aktuelle Kurs seiner Regierung am eigentlichen Zweck des Mindestlohns vorbei. Bsirske erinnerte an die Anfänge der Maßnahme: "Das Kernmotiv war es, dass Arbeit nicht arm machen darf." Mit der beschlossenen Erhöhung von 12 auf 12,41 Euro im nächsten Jahr und auf 12,82 Euro 2025 werde dieses Ziel verfehlt, sagte Bsirske der Deutschen Presse-Agentur.

"Das bedeutet einen Rückfall vor 2015", so der Bundestagsabgeordnete. Damals wurde die Lohnuntergrenze mit einer Höhe von zunächst 8,50 Euro brutto pro Stunde eingeführt. Bsirske fordert deshalb, die Lohnuntergrenze gesetzlich auf den Wert von 60 Prozent des mittleren Lohns zu fixieren. Eine einmalige Erhöhung würde aus seiner Sicht magere Erhöhungsschritte in Zukunft nicht verhindern.

DGB-Chefin will Regeländerung bei zuständiger Kommission

Für eine grundlegende Reform des Mindestlohns und seiner begleitenden Kommission spricht sich auch die Präsidentin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, aus. "Die Arbeitgeber haben sich mit dem Durchdrücken ihrer Forderung in der Mindestlohnkommission keinen Gefallen getan, weil sie die Funktionsfähigkeit der Kommission infrage gestellt haben", betonte die DGB-Vorsitzende.

Die Mindestlohnkommission von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hatte ihren umstrittenen Beschluss kurz vor der Sommerpause des Bundestags gefasst - erstmals war die Gewerkschaftsseite aber von der unabhängigen Kommissionsvorsitzenden überstimmt worden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte dennoch angekündigt, die empfohlene Erhöhung per Verordnung umzusetzen.

DGB-Präsidentin Fahimi kritisierte diese Praxis nun scharf: "Es kann nicht sein, dass im Zweifelsfall eine der beiden Bänke überstimmt wird", sagte sie. "Die Rolle des Vorsitzes muss dringend neutralisiert werden." Komme eine gemeinsame Verständigung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nicht zustande, "bedarf es eines echten Schlichtungsverfahrens".

Verbraucher durch anhaltende Inflation stark belastet

Die Gewerkschafterin verwies dabei auch auf die Rechtslage innerhalb der Europäischen Union. "Die EU-Mindestlohnrichtlinie sieht vor, dass sich die Mindestlöhne in jedem EU-Land an 60 Prozent des Medianlohns orientieren sollen." Beim Median- oder mittleren Einkommen gibt es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen. Nach Fahimis Rechnung müsste die Lohnuntergrenze im kommenden Jahr deshalb bei 14,12 Euro liegen - auch wenn noch nicht feststeht, wie hoch das mittlere Einkommen 2024 liegt.

Jedenfalls sei man von solchen Werten aber weit entfernt. "Und das ist ein Skandal", sagte Fahimi. Seit Monaten belastet die anhaltende Inflation Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Juli stiegen die Preise um 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wie weit die EU-Richtlinie reicht. "Um die dort genannten Referenzwerte zu erreichen, müsste der Mindestlohn bereits heute bei 13,16 Euro (50 Prozent des Durchschnittslohns) bzw. 13,53 Euro (60 Prozent des Medianlohns) liegen", hatte das Forschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bereits im März festgestellt.

VdK-Vorsitzende Bentele verlangt Einschreiten der Regierung

Um zu einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns zu kommen, verlangt VdK-Chef Verena Bentele dringend ein Einschreiten der Regierung - und zwar so, "wie sie es im vergangenen Jahr mit der Erhöhung des Mindestlohns per Gesetz auf 12 Euro gemacht hat". Die bisher beschlossene Anhebung des Mindestlohns um 41 Cent ab dem kommenden Jahr sei "ein Schlag ins Gesicht von Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor", sagte die Präsidentin des Sozialverbands.

DGB-Chefin Fahimi sieht durch einen höheren Mindestlohn auch eine Entlastung des Staates. Viele der Mindestlohnbezieher müssten aufstockende Leistungen durch das Bürgergeld beantragen, erklärt sie. "Das heißt, wir finanzieren über Steuergelder Löhne, die nicht vor Armut schützen." SPD-Chef Lars Klingbeil hatte nach der Kommissionsentscheidung bereits eine stärkere Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht gestellt - und zwar unter Berufung auf die EU-Vorgaben auf 13,50 bis 14 Euro.

Wirtschaftsvertreter halten dagegen

Kritiker der Gewerkschaftsposition betonen die Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EU-Vorgaben. "Die EU-Mindestlohnrichtlinie verändert die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeit der Mindestlohnkommission nicht", sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Er bat darum, die Arbeit der Kommission zu respektieren. "Der Beschluss wurde juristisch genauso gefällt, wie es das Gesetz vorsieht."

Ganz generell lehnt er die aktuellen Forderungen der Gewerkschaften und Sozialverbände ab. "Populismus mit der Lohntüte führt nur zu einer noch höheren Inflation", so Dulger. Der Arbeitgebervertreter warnte vor einem neuerlichen Wahlkampf um die Lohnuntergrenze: "Der Mindestlohn darf vor der nächsten Bundestagswahl nicht wieder zum Spielball der Politik werden." Im Übrigen bitte er, die Tarifautonomie zu beachten. "Diese wird Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Verfassung garantiert", so der Arbeitgeberpräsident.

Mit Informationen von dpa

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