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Landtagswahl – Können unsere Stimmen geklaut werden?

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Landtagswahl – Können unsere Stimmen geklaut werden?

Bei der Wahl in Bayern kommt Computertechnik zum Einsatz. Was mit den Wahlstimmen passiert, ist deshalb manchmal nicht leicht nachvollziehbar. Können unsere Stimmen geklaut werden?

Über dieses Thema berichtet: Computermagazin & Umbruch am .

Beim Einsatz von Computertechnik in den Wahlkabinen ist grundsätzlich Skepsis angesagt. Das lehrt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009. Bei der Bundestagswahl 2005 waren im großen Stil Wahl-Computer eingesetzt worden. Wählerinnen und Wähler gaben dabei ihre Wahlentscheidungen direkt in PCs ein. Kein Stift und Papier mehr. Geht so nicht, sagten die obersten deutschen Richter.

Grund: "Der Wähler selbst muss ohne nähere computertechnische Kenntnisse nachvollziehen können, ob seine abgegebene Stimme als Grundlage für die Auszählung oder jedenfalls als Grundlage einer späteren Nachzählung unverfälscht erfasst wird." Bei einer Wahlmaschine verschwindet die Stimme aber in einem digitalen Orkus, niemand kann mehr nachvollziehen, ob das Ergebnis am Ende noch die abgegebenen Stimmen widerspiegelt.

Donald Trumps angeblich geklaute Wahl

Dass sich in den USA der Mythos, die Wahl 2020 sei dem Ex-Präsidenten Donald Trump gestohlen worden, so lange hält, liegt nicht zuletzt daran, dass dort eben solche Wahlcomputer eingesetzt wurden. Die falsche Behauptung, dass es bei der Präsidentschaftswahl nicht mit rechten Dingen zuging, war nicht ganz leicht zu widerlegen. Viele Kreuze wurden eben nicht auf Papieren gemacht, die man noch einmal kontrollieren konnte.

Daneben führte das Trump-Lager auch immer wieder an, dass es bei der Briefwahl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Die Briefwahl gibt es auch hierzulande. Auch wenn keine Wahlcomputer eingesetzt werden, so wird zumindest ein guter Teil der Landtagswahl mithilfe von PC und Internet abgewickelt. Bietet die anstehende Abstimmung in Bayern also auch Angriffsflächen für Verschwörungs-Theoretiker und Demokratiegegner?

🎧 An welchen Stellen kommen bei der Landtagswahl Computer und IT-Technik zum Einsatz und wie bewertet ein Sicherheitsexperte diese Wahlsysteme? ... das besprechen wir ausführlich hier in der aktuellen Ausgabe des Tech-Podcasts Umbruch.

München setzt auf den Wahlkoffer

Interview-Termin im Kreisverwaltungsreferat der Stadt München. In einem der vielen Büros der riesigen Behörde sitzt Korbinian Kemether. Er ist im Wahlamt der Landeshauptstadt München tätig und kümmert sich um den Münchner Wahlkoffer. Gut 1.000 Stück werden in allen Münchner Wahllokalen am 8. Oktober im Einsatz sein. Dabei handelt es sich um einen recht unansehnlichen Hartschalenkoffer mit einer Steckdose an der Außenseite für den Anschluss eines Stromkabels. Im Koffer sind: ein Laptop, ein Drucker und Druckerpatronen.

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Korbinian Kemether vom KVR München erklärt den Wahlkoffer

Der Koffer unterstützt das Personal in den Wahllokalen, also den sogenannten Wahlvorstand und die Helferinnen und Helfer. Eine ihrer ersten Aufgaben: jeden zählen, der seine Stimme abgibt. So lässt sich die Wahlbeteiligung in jedem Münchner Wahllokal verfolgen. Früher wurden auch in München Handzähler verwendet und die Zwischenstände immer wieder per Telefon durchgegeben. Ein anfälliges System mit vielen möglichen Fehlerquellen, das vor einigen Jahren auch einmal dazu führte, dass München untertags eine höhere Wahlbeteiligung meldete, als dann am Ende tatsächlich herauskam.

Stimmen werden per Hand ausgezählt

Seine Hauptaufgabe erfüllt der Wahlkoffer nach Wahlschluss, bei der Auszählung. Das Wahlpersonal leert jetzt die Urnen und macht bei den Erst- und den Zweitstimmen zunächst jeweils kleine Häufchen für jede Partei – anders als bei der Bundestagswahl zählen bei der bayerischen Landtagswahl beide Stimmen für die Vergabe der Sitze im Parlament. Alle Häufchen werden zweimal durchgezählt und die Ergebnisse in den Wahlkoffer eingetippt. Der Computer schickt die Daten nach draußen ans Wahlamt und druckt sie aber auch gleich noch aus. Ein Backup in Papierform.

Häufchen machen, zählen, eintippe– laut Korbinian Kemether dauert die Auszählung in den Wahllokalen heutzutage genauso lange wie früher. Was aber bringt der Wahlkoffer dann überhaupt?

Früher musste das Kreisverwaltungsreferat nach der Wahl schließen

Der Vorteil des Koffers liege zum einen in der schnellen Übermittlung der Ergebnisse, sagt Kemether. Früher mussten alle Ergebnisse in den Wahllokalen am Abend per Telefon durchgegeben werden. Die Wahlvorstände hingen oft in Warteschleifen, weil ja in München rund Tausend Wahllokale gleichzeitig ihre Daten übermitteln wollten. Jetzt flutschen die Ergebnisse automatisch durchs Internet und das fehlerfrei.

Der zweite Vorteil macht sich am Tag nach der Wahl bemerkbar. In Vor-Wahlkoffer-Zeiten mussten hier alle Stimmen extra erfasst werden – konkret hieß das, die Ergebnisse, die am Abend aus den Wahllokalen nur telefonisch durchgegeben worden waren, galt es nachträglich noch haarklein in eine extra Liste einzutragen: jede einzelne Stimme für jede Listenkandidatin und jeden Listenkandidaten.

Zu dieser nervtötenden Tätigkeit wurden die Angestellten des Münchner Kreisverwaltungsreferats für mindestens einen Tag abkommandiert. Die Behörde blieb deshalb nach den Wahlen regelmäßig geschlossen – sehr zum Unmut der Bevölkerung. Das Aufschreiben ist inzwischen nicht mehr nötig, weil die Koffer ja schon alles geschickt haben. Jetzt muss man am Tag danach nur noch die Ausdrucke aus den Wahllokalen mit den übermittelten Daten vergleichen.

Man darf im Wahllokal zuschauen

Man könnte nun unterstellen, dass die Landtagswahl manipuliert werden kann, indem die Wahlleute einfach falsche Ergebnisse in den Koffer eintippen, ohne dass es jemand merkt. Könnten die Stimmen so tatsächlich geklaut werden? Die Frage beantwortet Landeswahlleiter Thomas Gößl mit einem energischen "Nein". Er erklärt, dass es in den Wahllokalen keine Geheimnisse gebe.

Wer wolle, könne dort bei der Wahl zusehen und auch das Auszählen der Stimmen nach 18 Uhr beobachten. Wenn alles fertig gezählt ist, verkünden die Wahlleiter laut das Ergebnis, sodass es alle Anwesenden mitbekommen. Beim Auszählen und Kontrollieren gelte zudem immer das Vier- beziehungsweise Sechs-Augen-Prinzip. "Es ist nie einer alleine tätig bei irgendwelchen Auszählungen in dem ganzen Prozess", so der Landeswahlleiter.

Welchen Weg gehen die Stimmen nach dem Wahllokal?

Im Prinzip gibt es zwei Wege, die unsere Stimmen einschlagen. Der eine ist ein rein analoger: Alle Stimmzettel werden in Kartons verpackt und aufgehoben, im Prinzip bis zur nächsten Landtagswahl. Der zweite Weg ist der digitale. Die Stimmen werden parallel auf elektronischem Weg über die verschiedenen Stationen geschickt, bis sie in das Endergebnis einfließen. Die Wahllokale melden an die Gemeinde. Die nächsthöhere Instanz sind die Stimmkreise. Und die insgesamt 91 Stimmkreise melden ihre Resultate zuletzt weiter an den Landeswahlleiter, der dann das Gesamtergebnis verkündet.

Computer rechnen auf fast allen Etappen

Bisher hat nur die Stadt München in ihren Wahllokalen den Wahlkoffer im Einsatz. Andere Städte denken darüber nach, zählen aber bisher noch per Hand aus. Trotzdem setzen fast alle Städte und Gemeinden inzwischen Software ein, um die Ergebnisse, die sie aus den Wahllokalen erhalten haben, weiter nach oben zu berichten.

Dabei werden die Kommunen meist von einem Unternehmen betreut, der AKDB (Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern), einem halbstaatlichen Unternehmen, das eine spezielle Wahl-Software anbietet. Das Programm heißt Elect und stammt vom Berliner Unternehmen VoteiT, an dem die AKDB wiederum finanziell beteiligt ist. Elect wird laut AKDB bei der Auszählung in den meisten Gemeinden und Stimmkreisen eingesetzt. Von dieser Software hängt also viel ab.

Wie sicher ist die Wahlsoftware?

Bei der AKDB macht man sich durchaus Gedanken über mögliche Schwachstellen im System und wie diese zu beseitigen sind. Berater helfen bei der Installation der Software, prüfen, ob die Computer-Systeme in den Gemeinden upgedatet sind. Was allen besonders wichtig ist, zu betonen, AKDB, genauso wie der Stadt München mit ihrem Wahlkoffer und dem Landeswahlleiter: Die Daten werden in keiner fremden Cloud gespeichert, alle betreiben ihre eigenen Rechenzentren, in denen die Wählerstimmen verarbeitet werden.

Hacker sieht Schwachstellen im System

Jemand, der sich mit reinen Beteuerungen nicht zufriedengeben und es genau wissen will, ist Snoopy. Er ist White-Hat-Hacker, also ein Sicherheitsexperte, der seine Dienste anbietet, um bei Unternehmen oder Behörden zu schauen, was schiefgehen könnte und wo die Schlupflöcher in ihren Netzwerken sind. Snoppy spricht bei den Landtagswahlen von einem "kybernetischen Nebel".

Tatsächlich wisse man nach den Wahlämtern bei den Folge-Etappen nicht mehr genau, was mit den Stimmen passiert. Das liegt seiner Ansicht schon daran, dass die Software, die eingesetzt werde, nicht Open Source sei. Der Code ist also geheim und wie die Software wirklich tickt oder ob Fehler einprogrammiert worden, das kann niemand von außen nachvollziehen. Tatsächlich sind weder die Programme der AKDB, noch die im Wahlkoffer der Stadt München Open Source.

AKDB will sich nicht in die Karten schauen lassen

Zum anderen wirft Snoopy den Verantwortlichen vor, nicht wirklich transparent zu sein, wenn die Software nicht wenigstens von unabhängigen Personen getestet werden darf. Nachfrage von BR24 bei der AKDB, ob man denn einen externen Experten schicken könne, um die Software zu prüfen und ob ein solcher Experte auf die Systeme einen sogenannten Penetrationstest machen dürfe – also einen fingierten Angriff, um zu sehen, ob wirklich alles wirklich sicher ist. Darf man nicht.

In der AKDB-Antwort heißt es, dass ein renommierter IT-Sicherheitsdienstleister solche Tests bereits gemacht habe und dann Schwachstellen ausgebessert worden seien. Welcher IT-Dienstleister das genau war, wird nicht verraten und auch die Testunterlagen können wir nicht einsehen. Das dürfe nur der Lenkungskreis Wahlen des Innenministeriums, heißt es.

Snoopys Urteil: "So ist das nicht transparent und auch nicht vertrauenswürdig." Im Verfassungsgerichtsurteil von 2009 hieß es sinngemäß, Wahlcomputer sind hierzulande nicht zugelassen, weil die Wahlberechtigten damit nicht mehr ohne besondere Kenntnisse nachvollziehen können, was mit ihren Stimmen passiert. Ob dieses Urteil mit dem Einsatz von Computern, so wie er bei der Landtagswahl 2023 passiert, noch sauber umgesetzt ist, da hat Snoopy leise Zweifel – auch wenn er nicht unbedingt glaubt, dass die Wahl geklaut werden kann.

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