Die Bundestagsabgeordnete Katja Hessel (FDP) am Rednerpult, aufgenommen im Oktober 2023
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Was bedeutet es, wenn wir von Freiheit sprechen? Im Bild eine Bundestagsabgeordnete der FDP, aufgenommen im Oktober 2023

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Was meinst Du denn mit "Freiheit"? Neues Buch über Grundbegriffe

Debatten-Killer: Wenn zwei das Gleiche sagen, aber etwas ganz anderes meinen. Was Begriffe wie "Demokratie" bedeuten, kann auch der Soziologe Armin Nassehi nicht abschließend sagen. Er untersucht lieber, wie sie verwendet werden - und das mit Gewinn.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Oder: Einigkeit und Recht und Freiheit.

Alles schön und gut. Aber: Was bedeuten diese Begriffe? Wer verwendet sie in welcher Absicht? Meinst Du mit Freiheit dasselbe wie ich? Auch, wenn sich diese Fragen häufig stellen: Zufriedenstellend und eindeutig zu beantworten sind sie nicht.

"Ich bin ein Wissenschaftler, der nicht viel mehr tun kann als dazu beizutragen, dass man womöglich ein bisschen Rationalität in Debatten hineinbekommt." Armin Nassehi, Soziologe

Vom neuen Buch des Münchner Soziologen Armin Nassehi sollte sich daher niemand endgültige Klärung erwarten. Wohl aber einen Beitrag zur Debattenkultur. Es heißt "Gesellschaftliche Grundbegriffe", im Untertitel: "Ein Glossar der öffentlichen Rede." Nassehi bespricht darin zentrale Vokabeln aus aktuellen Debatten.

Nicht: Was heißt das? Sondern: Wer verwendet es warum?

"Ich schicke meine Studierenden immer gerne in die Bibliotheken, weil sie genau wissen wollen, was 'Aufklärung' bedeutet, was 'Geschichte' bedeutet, was 'Gesellschaft' bedeutet", sagt Nassehi im BR24-Gespräch. "Und die machen dann immer wieder die Erfahrung, dass ihre Erwartung enttäuscht wird, jetzt genau zu erfahren, was es ist - zumal ja Begriffe immer offen sind, immer einen Spielraum enthalten. Und das kann verunsichern - soll aber natürlich dazu beitragen, Debatten vielleicht besser zu verstehen."

Nassehi geht es denn auch weniger darum zu klären, was Begriffe eigentlich heißen, sagt er. "Als Soziologe frage ich: Welche Funktion haben die Begriffe in der öffentlichen Debatte und in der wissenschaftlichen Beobachtung der Gesellschaft? Wenn wir zum Beispiel den Begriff des Fremden nehmen, dann ist das ja ein paradoxer Begriff. Über den Fremden wissen wir meistens viel mehr als über das Eigene. Unsere Vorurteile und Typisierungen sind so eindeutig, dass wir genau wissen, wie der Andere ist. Wenn wir danach gefragt werden, was das Eigene eigentlich ist, können nur peinliche Sätze dabei rauskommen. Das kennen wir aus den Leitkulturdebatten."

Bildrechte: Verlag C.H. Beck / Montage: BR24
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Armin Nassehi: "Gesellschaftliche Grundbegriffe. Ein Glossar der öffentlichen Rede". Verlag C.H. Beck, 399 Seiten, 29,90 Euro

Oder der Begriff der Identität. "Der hat die Funktion, etwas zu beschreiben, was es nicht mehr gibt", sagt der Münchner Soziologe. "Über Identität wird erst gesprochen, seit Identitäten unsicher geworden sind. Kurzum: Es geht um die Funktion. Wann benutzen wir solche Begriffe? Und wofür?" 19 Begriffe enthält Nassehis Buch, darunter natürlich die Klassiker: Demokratie, Freiheit, Gesellschaft. Ein Kapitel widmet er aber auch der "Natur".

Ordnung in den Diskurs

"Viele öffentliche Debatten nehmen zurzeit den Naturbegriff in Anspruch", erzählt er. "Und mein Verfahren ist jetzt nicht, auf 20 oder 25 Seiten zu klären, was Natur denn nun eigentlich ist - sondern das Verfahren ist: Wann benutzen wir eigentlich wofür die Kategorie der Natur? Wir stellen fest, dass sich unser Verständnis von Natur verändert, aber auch unser Verständnis dessen, warum wir bestimmte Dinge für Natur halten oder nicht. Da gibt es ja einige Themen, die sind ziemlich vermint, zum Beispiel das Geschlechterthema. Ist eine Frau eigentlich von Natur aus Frau oder nicht? Und man kann die Frage weder bejahen noch verneinen. Man kann nicht sagen: Was eine Frau als Frau ausmacht, ist ein reines Naturphänomen. Man kann aber auch nicht sagen: Was eine Frau als Frau ausmacht, ist ein reines gesellschaftliches oder Kulturphänomen. Also hat man hier große Schwierigkeiten."

Nassehis Artikel mündet nun in keinen Appell, weder in "Streichen wir den Natur-Begriff - zum Wohle der Debattenkultur!" noch in "Beharren wir auf dem Natur-Begriff - zum Wohle der Debattenkultur!" Der Soziologe fragt sich vielmehr: Wann nutzen denn diejenigen, die kritisieren, dass man die Geschlechterunterscheidung als "natürlich" ansieht, selbst den Naturbegriff für ihre Zwecke? Zu den großen Stärken des Buches gehört es, dass es diese Art strategischer Begriffsverwendung nachvollzieht. Bringt Nassehi also "Ordnung in den Diskurs", wie es sein Verlag verspricht?

Weniger Streit? Anderer Streit!

"Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass dieses Buch oder das einzelne Kapitel daraus da etwas grundlegend ändern", sagt er. "Aber ich habe schon die Hoffnung, dass im ein oder anderen Fall vielleicht mancher Streit als unnötig angesehen wird und vielleicht andere Streite erst ermöglicht werden. Das wär ja das Interessante."

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