Peter Handke auf einer Bühne, fotografiert im Oktober 2023.
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Es ist eine alte, märchenhaft einfache Geschichte, die er in "Die Ballade des letzten Gastes" erzählt: Peter Handke, fotografiert im Oktober '23.

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Motiv-Medley: Peter Handke und "Die Ballade des letzten Gastes"

Auch im hohen Alter ist der österreichische Literaturnobelpreisträger Peter Handke noch produktiv. Kurz vor seinem 81. Geburtstag legt er nun einen längeren literarischen Text vor, in dem sich vieles aus seinem Werk noch einmal bündelt.

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Von Peter Handke hat noch jeder den leicht indignierten und zart megalomanen Satz im Ohr, er komme von Homer. So ließ er die von ihm verachtete Journaille wissen, als er den Literaturnobelpreis erhielt: "Ich komme von Homer, ich komme von Cervantes und Tolstoi. Da liegen meine Ursprünge. Das ist meine innerste Welt."

Tolstoi und Cervantes werden in Handkes "Die Ballade des letzten Gastes" nicht zitiert, dafür aber immer mal wieder Homers "Odyssee". Etwa, wenn es um jene "Flocke des Schlafs" geht, in welcher der erschöpfte Odysseus in Homers Epos ruht. In seinem Buch "Die Wiederholung" hatte sich Handke bereits 1986 auf diese Formulierung bezogen. Wie dieses Spätwerk des vergangenes Jahr 80 Gewordenen überhaupt eine einzige Wiederholung, eine Reprise etlicher Motive aus seinem Œuvre ist. Das macht die Lektüre zu einem Fest für Philologen. Aber ist es auch eines für Leser?

Geschichte schon in Nobelpreis-Rede skizziert

Es ist eine alte, märchenhaft einfache Geschichte, die Peter Handke in "Die Ballade des letzten Gastes" erzählt. Er hat sie bereits 2019 in seiner Stockholmer Nobelpreis-Lecture skizziert, als er sagte: "Diese Begebenheit geistert, naturverwandelt, das heißt, ohne ein Zutun, von Anbeginn durch meine Bücher, meine epischen Exkursionen, meine Ein-Mann-Expeditionen." So kehrt in seinem jüngsten Buch nun abermals ein gewisser Gregor Werfer von einer seiner nicht näher bezeichneten "Ein-Mann-Unternehmungen", "Ein-Mann-Expeditionen" in seine Heimat zurück.

Dieser Gregor trägt nicht allein denselben Namen wie Handkes Onkel, er ist auch so wie jener Oheim seit einer Kinderkrankheit auf einem Auge blind. "Der Einäugige", von dem Handke seinerzeit in Schweden sprach, taucht exakt so auf in diesem Buch – und obwohl er gerade davon Nachricht erhalten hat, dass sein jüngerer Bruder Hans im Krieg gefallen ist, enthält er diese Information der ahnungslosen Familie vor.

Ein "Alleinsitzer" im Wirtshaus

Statt Vater, Mutter und Schwester das Schreckliche mitzuteilen, wandert Gregor umher und treibt sich "als Gast unter Gästen" in verschiedenen Dorfschänken der "umliegenden Vieldörfer- und Weilergegend" herum. Hockt dort als "Alleinsitzer" bis spät in die Nacht und bramarbasiert von einer "definitiven Pandemie" und einem – Star-Wars-Fans aufgepasst – "Krieg der Unsterne". Auch das erinnert an jene Passage aus Handkes Nobel-Lecture, in der er schilderte, was sein Onkel tat, als er die Botschaft vom Tod des Bruders empfangen hatte: "Gregor ist nachhause gegangen, ist mit Singen und Jauchzen empfangen worden – wie vor allem meine Mutter in der Jugend nicht selten ein Jauchzen hören ließ –, hat aber während sämtlicher Heimurlaubstage den Tod des Bruders, des – wie der sich selber in seinen Kriegsbriefen genannt hatte – 'Tundrajünglings', vor der Familie verschwiegen. In der verbleibenden Zeit mied Gregor nach den Worten meiner Mutter, der Erzählerin, im Frieden 'der Häuslichste der Familie', das Haus, Eltern, Schwester, auch das eigene Dorf Stara Vas, und trieb sich von morgens bis abends, und manchmal auch über Nacht, in den Nachbardörfern herum."

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Peter Handke: "Die Ballade des letzten Gastes". Suhrkamp. 186 Seiten. 24 Euro.

Peter Handke hat diese wahre und für sein "Schreiberleben entscheidende" Familienepisode in unsere unmittelbare Gegenwart übersetzt. Gregor, den Handke-Leser genauso wie seine Geschwister Hans und Sophie schon aus seinem dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" (1981) sowie aus seinem Roman "Die Obstdiebin" (2017) kennen, kommt deshalb nicht 1943 von der "russischen Krimfront", sondern in unserer Zeit per Transkontinentalflug aus einem "fernen Erdteil" in die Heimat zurück. Die von ihm vor seiner Familie geheim gehaltene Nachricht von seinem als Fremdenlegionär gestorbenen Bruder hat er auf seinem "Taschentelefonbildschirm" gelesen.

Erotische Szene als "Zuschauerrechtsverletzung"?

Während seines einwöchigen Heimatbesuchs stapft er durch Wildapfelgärten und Wälder und staunt über die Sprungschanzenbauten von Downhill-Mountainbikern. Da wirkt Handke wie der "Fastgreis", als den er den Vater der Familie tituliert. In der wohl eher unfreiwillig komischsten Szene des Buches erregt sich Gregor im "Kinokomplex" der nahegelegenen Stadt (auch "Agglomeration" genannt) so sehr über eine Sexszene auf der Leinwand, dass er sich angesichts dieser "Zuschauerrechtsverletzung" in ein "Nieder mit der Demokratie, ... her mit einer Diktatur, einer neuen, einer, die verbietet, was verboten gehört" hineinsteigert. Was wäre Handke ohne seine Idiosynkrasien und seinen legendären Jähzorn! Man möchte ihm auf derlei enragiertes Propagieren "neuer Gesellschaftsformen" mit seinen eigenen Worten antworten: "Solch Idiotentum als politisches Programm?"

Ein Medley mit vielen altbekannten Motiven

Kurzum, dieses Buch mit all seinen "Niemandsflecken" und "Baumschattenwinkeln" wirkt wie das Medley altbekannter Handke-Songlines. Dieser Autor hatte immer eine Gemeinde. Wenn er hier von "meinen Leuten" schreibt, dürfen auch sie sich angesprochen fühlen. Seine Fan-Base wird die Melodei erkennen und goutieren. Sie wird sich freuen, dass der "fröhliche Geher", der "Marschmensch" Handke sich einmal mehr in seiner Hauptfigur Gregor spiegelt und hier noch einmal, wie schon vor vielen, vielen Jahren in "Langsame Heimkehr", das Franz-Grillparzer-Zitat aus dessen Erzählung "Der arme Spielmann" eingeflochten hat.

Alle anderen werden der Sache rasch müde sein. Die hochfahrende Feierlichkeit des Tons wird sie fadisieren, also gut österreichisch: langweilen. Und sie werden – nicht zu Unrecht – fragen, mit welcher Begründung der Sprachschöpfer Peter Handke das Rätsel aufgebende Wort "Begründerung" in die Welt gesetzt hat. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass sich sein literarisches Alter Ego ein T-Shirt kauft, auf dem "FADED GLORY" gedruckt steht.

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