Die 1971 geborene und in Ungarn aufgewachsene Schriftstellerin Terézia Mora posiert vor leeren Stühlen und Tischen für ein Foto
Bildrechte: dpa/Frank Rumpenhorst

Bachmann-Preis 1999, Deutscher Buchpreis 2013, Büchner-Preis 2018. Und nun nochmal der Deutsche Buchpreis? Zu wünschen wäre es ihr (und uns!)

Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Warum Terézia Mora den Deutschen Buchpreis gewinnen sollte

Schon 2013 wurde die Autorin Terézia Mora mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Jetzt, zehn Jahre später, könnte das wieder passieren: "Muna oder Die Hälfte des Lebens" heißt ihr neuer Roman, der mit großen politischen wie privaten Fragen lockt.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Warum lässt sie das mit sich geschehen? Das fragt sich eine Leserin dieses Romans immer wieder.

Warum lässt Muna – gut ausgebildet, clever, herrlich ironisch und selbstironisch, krisengeschüttelt, aber doch auch krisenfest – warum lässt so eine junge Frau sich gefallen, wenn ein Mann ihr Gewalt antut? Warum begibt sie sich in die emotionale Abhängigkeit von jemandem, der ihr offensichtlich nicht guttut, der Angst in ihr auslöst, der seelisch, bald auch körperlich gewaltvoll handelt?

Der Leser: Komplize statt Psychologe

Terézia Mora – und das ist nur eine der beeindruckenden Leistungen dieser Autorin – macht es uns nicht einfach, indem sie klare Antworten auf diese Fragen gibt. "Muna" ist kein routinierter psychologischer Roman, der eine Frau im Hier und Jetzt begleitet und in Rückblicken die psychologische Erklärung für das Straucheln in der Gegenwart liefert. Stattdessen zwingt uns die vielfach preisgekrönte Terézia Mora, die vielen schmerzhaften Szenen zu bezeugen, die zu Munas Beziehung gehören, ohne ihnen durch eine Erklärung gleich wieder das Unfassbare zu nehmen.

Diese Beziehung beginnt dabei ganz harmlos. Rund ums Abitur schwärmt Muna für Magnus, er ist ein gutes Stück älter als sie, Lehrer, Fotograf und Kollege bei einem Magazin, bei dem Muna in dieser Zeit hospitiert. Denn diese Frau hat Pläne: Sie will studieren, will etwas machen aus ihrer Liebe für Kultur im Allgemeinen und Theater wie Literatur im Besonderen. Sie packt das Leben an, in dem sie auf denkbar wenig Unterstützung hoffen kann. Der Vater ist schon einige Jahre tot, der Selbstmordversuch der Mutter folgt (und scheitert) ein paar Tage nach Munas 18. Geburtstag.

Eine toxische Lebensliebe

Magnus seinerseits spürt Munas Begehren und befeuert es mal mit Freundlichkeit, dann wieder mit Unnahbarkeit und der Aura des Überlegenen. Bis er – schon kurz nach dem Kennenlernen – ohne ein Wort aus der damaligen DDR verschwindet.

Und auch wenn Muna ihr Leben nun weiterlebt – nach dem Mauerfall zum Studium aufbricht, Jobs sucht und findet, Stipendien einwirbt, fremde Städte und Männer testet, Freundschaften knüpft –, geht ihr Magnus nie ganz aus dem Kopf. Als sie ihn eines Abends dann wiedertrifft, scheint es vielmehr so, als könne sie nur mit ihm die Intensität des Lebens wirklich ausschöpfen, als seien die Jahre davor eher ein Testlauf gewesen als das richtige Leben.

Mit diesem Wiedertreffen beginnt die Beziehung zwischen Muna und Magnus, mit ihm beginnen die vielen Momente, in denen Magnus Munas Stimme und ihre Lebenskraft schwächt, in denen er ihr Sicherheit nimmt und den Glauben, dass sie im Großen und Ganzen doch ganz in Ordnung ist.

Mit diesem Wiedertreffen nimmt aber auch Fahrt auf, was diesen Roman literarisch so besonders macht.

Bildrechte: picture-alliance/dpa/Gert Eggenberger
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Terézia Mora 1999 - da hatte sie gerade den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen mit ihrer Geschichte "Der Fall Ophelia"

Terézia Mora: Die große Stilistin

Denn wichtiger noch als was Terézia Mora hier beschreibt, ist, wie sie es tut. Wie sie zeigt, wann Muna Worte herunterschluckt, wann sie sich korrigiert, um ihrem Gegenüber zu gefallen oder es immerhin nicht zu verstören, wann ihr die Puste ausgeht.

Um uns Lesende in diese sprachlichen Korrekturvorgänge im Kopf der Erzählerin einzuweihen, findet Terézia Mora ziemlich kluge Wege: Sie arbeitet mit durchgestrichenen Sätzen oder eingeklammerten Gedanken, die eben nur gedacht und nicht gesagt werden, mit einem unglaublich präzisen Wechsel zwischen tatsächlich Ausgesprochenem und nur Gedachtem.

Die Stimme im Kopf

Auch beim stillen Lesen meint man deshalb zu hören, wann diese Ich-Erzählerin schreit oder stumm schreit, wann sie flüstert, wann sie mit kessem Ton spricht oder in die gefällige Tonlage wechselt.

Dieses präzise Spiel mit Figurenrede und Gedankenrede ist es auch, das einen ungemein an die Erzählerin bindet. Da ist kein Vermittler mehr zwischen dem eigenen und dem fremden Kopf, eher schon scheint man mit Munas Gedanken identisch zu werden.

Wirklich in ihre Haut zu schlüpfen, heißt in diesem Fall aber vor allem: präzise zu verfolgen, was sie sieht, und genau zu wissen, was sie denkt, sagt, spürt.

Kein Seelenbalsam, zum Glück

Die Bewertung, jede Form der Bewältigung überlässt der Roman hingegen seinen Leserinnen. Denn ebenso wie Terézia Mora vor einfachen psychologischen Einordnungen zurückschreckt, ist sie auch nicht die Autorin für einen einfach kathartischen Text, in dem die Erzählerin am Ende gelernt und verstanden hat. Und genau deshalb wird man Muna auch nach der Lektüre nicht los. Ihr Fall ist eben nicht zwischen den Buchdeckeln abgeschlossen, das Rätsel ist nicht gelöst, der Trost verweigert. Das auszuhalten und es literarisch lustvoll zu gestalten, gelingt nicht vielen Büchern. Dieses ist eines davon.

Die schon 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Terézia Mora hat es damit völlig zu Recht erneut auf die Longlist geschafft. Ist da noch mehr drin? Unbedingt!

"Muna oder die Hälfte des Lebens" ist bei Luchterhand erschienen und kostet 25 Euro.

"Hier ist Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!