Konzentriert sich aufs Wesentliche: Ein indischer Sadhu
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Konzentriert sich aufs Wesentliche: Ein indischer Sadhu (Symbolbild)

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Verzichten lernen: Warum Selbstbeschränkung eine Kunst ist

Verzichten oder nicht? Um diese Frage tobt längst ein Kulturkampf. Da tut eine "kleine Philosophie der Selbstbeschränkung" not, wie sie der Philosoph Otfried Höffe vorgelegt hat. Freiheit und Verzicht gehörten zusammen, schreibt er. Eine Rezension.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wir leben in Zeiten, in denen der Kampfbegriff "Verzichtslogik" von links wie rechts politisch instrumentalisiert wird: Ein Wort, das unterstellt, Verzicht zu üben, sei etwas Schlechtes. Aber ist das so? Gehört es nicht – ob wir nun wollen oder nicht – zum Leben dazu, Verzicht zu leisten? Gar keine schlechte Idee, in diesen Zeiten eine kleine Philosophie der Selbstbeschränkung vorzulegen, so wie es Otfried Höffe soeben getan hat.

Verzichten heißt, das Wesentliche erkennen

Konzentriere man sich auf das Wesentliche, brauche man nicht annähernd so viele Dinge, wie man meine, sagt Höffe im Interview mit dem BR. "Und wenn wir das mal probeweise beiseite schieben, dann stellen wir fest, wir verlieren nichts, sondern gewinnen etwas."

Höffe, der bis zu seiner Emeritierung als Professor in Tübingen gelehrt hat, zählt zu den renommiertesten deutschen Philosophen. Und er ist jemand, der die Kenntnis der Klassiker, von Aristoteles bis Kant, stets mit seinem Interesse an aktuellen, politisch-ethischen Fragestellungen verbindet. Das zeigt sich auch in seinem aktuellsten Werk. Nun, kurz vor seinem Achtzigsten, ist "Die hohe Kunst des Verzichts" erschienen.

Verzicht kommt von innen

Er kenne überhaupt nur einen zeitgenössischen Schriftsteller, der sich so wie er mit dem Thema in jüngerer Vergangenheit beschäftigt habe, sagt er: John von Düffel. In dessen Stundenbuch "Das Wenige und das Wesentliche" fand Höffe die Zeilen, die er nun in seinem Buch zitiert: "In der Askese der Zukunft / Die aus keiner Religion kommt / Und keinem System dient / Geht es nicht ums Verzichten / Es geht darum zu erkennen / Wie wenig ich brauche."

Genügsamkeit, Bescheidenheit, komme immer von innen, so Höffe, sei ohne Freiheit, ohne Einsicht in die Notwenigkeit (Hegel) nicht denkbar. Nur deshalb sei es möglich, dem Verzicht auch einen moralischen Wert zuzusprechen. Daher rühre eben auch der "schöne Klang des Verzichts", der allerlei Nachahmer auf den Plan rufe, meint Höffe.

Gerade in den ach so sozialen Medien prahlen nicht wenige Menschen heutzutage mit ihrer Tugendhaftigkeit. Das Phänomen heißt "virtue signaling". Otfried Höffe plädiert auch hier dafür, Verzicht zu üben: "Man zelebriere seine Bedürfnislosigkeit nicht, man stelle sie nicht aus Aufmerksamkeitssucht öffentlich zur Schau", schreibt er.

Wider das "Verzichtsregiment"

Angenehmerweise belehrt dieses Buch niemanden. Schon gar nicht fordert es ein "Verzichtregiment" ein, wie dies Hans Jonas 1979 in "Das Prinzip Verantwortung" tat. Jonas hatte vom "Vorteil totaler Regierungsgewalt" geschwärmt, wenn es gelte, dem "Sozialkörper", sprich der Gesellschaft, "das Unpopuläre aufzuerlegen" – für Otfried Höffe eine aufoktroyierte Form des Verzichts in einer "Öko-Diktatur".

"Dass eine Diktatur die ökologischen Ziele zuverlässig verfolgt, das können wir gar nicht garantieren", meint der Philosoph im Gespräch. "Selbst wenn die richtigen Ökopolitiker an die Macht gekommen sind, können wir nicht verhindern, dass sie das übliche politische Geschäft beherrschen, also eine gewisse Art Korruption und Nepotismus, und dass sie um des Machterhalts willen, lieber einen Teil ihrer hehren Ziele aufgeben."

Die Lässigkeit des Verzichts

Mit Immanuel Kant lehnt Höffe außerdem jede "Mönchsasketik" als "widervernünftig" ab: "Darunter versteht er [Kant] einen aus abergläubischer Angst vor göttlichen Strafen vorgenommenen Verzicht. Einen Verzicht, der nicht von innen heraus kommt, dem auch das fehlt, was zu einem tugendhaften Verhalten gehört, nämlich eine gewisse Lässigkeit und Heiterkeit, mit der man das auf sich nimmt, weil man weiß: Man tut es ja – christlich gesprochen – um seines eigenen Seelenfriedens willen, und für die anderen um eines humanen und auch souveränen Lebens willen."

"Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung" ist bei C.H. Beck erschienen und kostet 20 Euro.

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