Autor Valentin Moritz
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Debatte um "Oh Boy": Männer-Reflexion auf dem Rücken von Frauen?

Im Buch "Oh Boy: Männlichkeit*en heute" sollten Männlichkeitsbilder verhandelt werden. Nun gibt es Kritik: Trotz des Widerspruchs einer Betroffenen habe ein Autor und Mitherausgeber darin einen Beitrag über einen sexuellen Übergriff veröffentlicht.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Eigentlich wollte man sich mit dem Debatten-Buch "Oh Boy: Männlichkeit*en heute" dem "Aufbrechen starrer Männlichkeitsbilder" widmen, einer konstruktiven Öffnung gegenüber dem Feminismus, einem neuen, besseren Mannsein. Jetzt stehen das Buch, der verantwortliche Kanon Verlag und Mitherausgeber Valentin Moritz selbst im Zentrum einer Debatte. Der Vorwurf: Einer der Texte, in dem der – auch als Autor auftretende – Valentin Moritz seine eigene Täterschaft bei einem sexuellen Übergriff reflektiert, sei gegen den expliziten Willen des damaligen Opfers erschienen. Moritz habe sich insofern abermals über das "Nein" einer Frau hinweggesetzt – um sich selbst als geläuterten, seine Männlichkeit hinterfragenden Autor zu inszenieren.

"Klar formuliertes Nein"

Ein anonymer Instagram-Account, offenbar handelt es sich die um die damals Betroffene, schrieb bereits vor vier Wochen unter einen Instagram-Post des Kanon Verlags (sic): "Valentin, Mitherausgeber des Buches, ist im Mai 2022 mir sexuell übergriffig geworden. Dies thematisiert er in seiner Veröffentlichung im Buch Oh Boy. Ich habe ihm ausdrücklich nach dem Übergriff gesagt, dass ich NICHT möchte, dass er seine gewaltvolle Aneignung meines Körpers als Gegenstand seines Textes im Buch verwendet."

Sie forderte dazu auf, das Buch zu boykottieren. Am Mittwoch folgte ein weiteres Statement, das mit Einverständnis der Frau auf mehreren Kanälen geteilt wurde. Demnach habe es bereits im August 2022 in Anwesenheit einer dritten Person ein Gespräch zwischen ihr und Valentin Moritz gegeben. Daraus sei ein "klar formuliertes, schriftliches Nein" bezüglich der Thematisierung des Übergriffs hervorgegangen: "Ich möchte ganz klar nicht, dass du den Übergriff, egal wie anonymisiert auch immer, benutzt."

Zwar wies die Verfasserin auch darauf hin, dass es ihr "dezidiert" um den Text von Valentin Moritz ginge, nicht um das gesamte Buch und seine zahlreichen Autoren. Dennoch steht nun natürlich das gesamte Buch-Projekt in der Kritik, dessen Veröffentlichung die überwiegend männliche Autorenschaft auf drei Bühnen im Literarischen Colloquium am Berliner Wannsee gefeiert hatte.

Rückzug aus dem Projekt

Nach anhaltenden kritischen Kommentaren unter Posts des Kanon Verlags reagierte am Donnerstag zunächst Moritz selbst. Mit seinem Text habe er dazu beitragen wollen "einen offeneren, ehrlicheren Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und männlicher Täterschaft zu fördern", schrieb er in einem Kommentar auf Instagram. Es handele bei seinem Beitrag "um einen literarischen Text, bei dem genau darauf geachtet wurde, dass er in keiner Weise Privat- und/oder Intimsphäre verletzt."

Es tue ihm leid, so Moritz, "dass sich diese Person von meiner Veröffentlichung derart getroffen fühlt. Ihr anonymer Boykottaufruf trifft nun das ganze Buch." Er werde sich aus dem Projekt zurückziehen, "in der Hoffnung, so Schaden vom Buch und von den anderen Autor*innen abzuwenden." Bei kommenden Auflagen solle sein Text aus dem Buch gestrichen werden.

Lyrisches Ich?

Auch der Verlag äußerte sich zu den Vorwürfen: Nach Ansicht des Verlags entzünde sich die Kritik hauptsächlich an der "fehlenden Opferperspektive". "Dies ist der Wahrung von Privat- und Intimsphäre geschuldet, gibt aber zu Recht Anlass zur Kritik", heißt es darin. Diese Kritik nehme man "sehr ernst."

Gleichzeitig betont der Verlag, dass der Text sich auf "literarische Weise" mit Täterschaft und Gewalt auseinandersetze. Offen lassen beide Statements, warum Moritz' vermeintlich literarische Figur dann in seinem Buch-Text selbst davon schreibt, dass sie den Vorfall zwar "benennen, zum Schutz von Persönlichkeitsrechten aber nicht in einen Kontext stellen" könne – ein deutlicher Hinweis auf die Tatsächlichkeit des Beschriebenen.

Der Autor habe bereits vor Andruck "sein Vorschusshonorar an eine Organisation gespendet, die Frauen und Zugehörige anderer Geschlechtsidentitäten in Fällen von sexualisierter Gewalt berät", schreibt der Verlag. Gleiches werde er mit einem möglichen Verkaufs-Gewinn tun.

Verlag stoppt Auslieferung des Buches

Wenige Stunden nach diesem Statement legte der Kanon Verlag nochmal nach – und kündigte nun doch Konsequenzen an. Nach eingehender Überlegung, habe man sich entschieden, die Auslieferung des Buches zu stoppen. Man sei zu der Erkenntnis gelangt, dass die Veröffentlichung des Textes von Valentin Moritz ein Fehler gewesen sei.

"Wir hätten den Wunsch der Betroffenen, jenen Vorfall in keiner Form aufzugreifen, auch nicht in einer fiktionalen, respektieren müssen. Für diese Fehlentscheidung und die dadurch entstandenen Verletzungen möchten wir aufrichtig um Entschuldigung bitten." Aus einer eventuellen Neuauflage der Anthologie werde der Text gestrichen, kündigte der Verlag außerdem an.

Unterdessen distanzierten sich auch die anderen Autor*innen von der Veröffentlichung. Von dem Konflikt rund um Moritz' Text habe man nichts geahnt, schreiben sie in einem gemeinsamen Statement. "Wir wussten nicht, dass entgegen des ausdrücklichen Wunsches der betroffenen Person ein sexualisierter Übergriff Gegenstand eines Textes in dieser Anthologie wurde. Wir finden diese herausgeberische Entscheidung falsch." Dass Moritz seinen Text nun zurückziehe, sei die richtige Entscheidung.

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