Vor dem Rammstein-Konzert im Olympiastadion
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Vor dem Rammstein-Konzert im Olympiastadion

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Rammstein in München: Megakonzerte im Schatten des Verdachts

Die Aussagen von Zeuginnen über möglichen Missbrauch durch Rammstein-Sänger Lindemann haben Konsequenzen, nicht zuletzt im Hinblick auf die vier Auftritte der Band in München. Ein Zwischenstand - nach den Vorwürfen, vor den Konzerten.

Unter anderen Umständen wäre hier jetzt vielleicht über das "Konzertevent des Jahres in München" geschrieben worden. Rammstein, der weltweit erfolgreichste deutsche Musikexport der letzten Jahre, spielt im Münchner Olympiastadion, vom heutigen Mittwoch bis Sonntag an vier Abenden und vor bis zu 250.000 Fans. Doch die Schlagzeilen sehen anders aus. Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs weiblicher Fans durch Rammstein-Sänger Till Lindemann.

Die Vorwürfe gegen Rammstein

Noch steht Aussage gegen Aussage - genauer: gegen Aussagen. Den Stein ins Rollen gebracht hat die Irin Shelby Lynn, die auf Instagram und Twitter von ihrem Rammstein-Konzertbesuch in Vilnius berichtet. Ein Mitarbeiter der Band habe Fotos von ihr und anderen jungen Frauen gemacht und sie während einer Konzertpause in einen Raum unter der Bühne geführt – wo Leadsänger Till Lindemann auf sie wartete und wütend reagiert haben soll, als sie klarmachte, dass sie keinen Sex mit ihm haben wolle. Lynn berichtet außerdem, auf den Partys der Band sei ihr und anderen jungen Frauen Alkohol gereicht worden. Sie selbst sei unter Drogen gesetzt worden und mit Erinnerungslücken und blauen Flecken aufgewacht.

Nach Shelbys Posts auf Instagram und Twitter berichteten auch andere junge Frauen von ähnlichen Vorkommnissen bei Konzerten von Rammstein. Einige schildern eine bedrohliche Situation auf Aftershowpartys, manche von sexuellen Handlungen.

Die Reaktion der Band

In einer Stellungnahme von Rammstein heißt es, die Vorwürfe hätten die Band sehr getroffen und man nehme sie "außerordentlich ernst". Eine Anwaltskanzlei soll den möglichen Einsatz von Drogen ohne Wissen der Beteiligten im Umfeld des Konzertes untersuchen. Am Dienstag wurde die sogenannte "Casting Direktorin" der Band von ihren Aufgaben entbunden. Inzwischen ist auch das Instagram-Profil von Till Lindemann mit zuletzt 1,3 Millionen Followern gelöscht.

Konsequenzen auch für die Konzerte in München

Auch die anstehenden Konzerte im Olympiastadion finden etwas anders statt als geplant. Die Grünen im Münchner Stadtrat hatten gefordert, die sogenannten "Row Zero" zu untersagen, das heißt im Sicherheitsbereich unmittelbar vor der Bühne keine Besucher und Besucherinnen mehr zuzulassen. Dort waren seit vier Jahren jeweils am rechten und linken Bühnenrand kleine Gruppen meist sehr junger, häufig auffällig gekleideter Frauen zu sehen. Die Band hat darauf nun von sich aus verzichtet.

Das Konzept für die Aftershowpartys sei ebenfalls geändert, heißt es im Umfeld der Band. Es solle nicht mehr zwei Partys geben - eine große für Fans und Band, eine kleine für Lindemann und Frauen. Künftig, wenn überhaupt, nur noch eine Feier nach den Konzerten.

Im Audio: Schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann

Rammstein-Sänger Till Lindemann
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Till Lindemann: Mehr als ein Dutzend Frauen erheben Anschuldigungen gegen den Rammstein-Sänger.

Polizei vor "Routine-Einsatz"

Für die Konzerte hat die Band zudem ein Awareness-Konzept in Auftrag gegeben. Bereits geplant für die Auftritte in Dänemark, soll es nun in München realisiert werden. Sechs Mitarbeiter sollen in Verbindung mit der Security nach Auffälligkeiten im Stadion Ausschau halten. Auch soll es einen Safe-Space-Bereich geben, in den sich Betroffene zurückziehen können.

Für die Münchner Polizei sind die vier bevorstehenden Rammstein-Konzerte in der Landeshauptstadt so oder so Routine-Einsätze. Etwa 100 Polizistinnen und Polizisten werden an den vier Veranstaltungstagen rund um das Olympiastadion jeweils im Einsatz sein. Das sei eine "normale Größenordnung" so ein Sprecher des Präsidiums. Die Beamtinnen und Beamten würden Uniform tragen und seien im Außenbereich des Olympiageländes, aber auch im Stadion bei Problemen ansprechbar.

Protest vor dem Stadion: "Schämt Euch!"

Vor Beginn des Konzerts kommt es am Stadion zu kleineren Protesten gegen das Rammstein-Konzert: Etwa 30 Protestierende, überwiegend Frauen mit Plakaten und Bannern, skandieren lautstark "Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelfall" und "Schämt euch, dass ihr zu diesem Vergewaltiger-Konzert geht."

Im Audio: Reaktionen zu den Vorwürfen gegen Rammstein

Rammstein-Konzert im dänischen Odense am 3. Juni 2023
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Vor den Konzerten von Rammstein in München haben sich Fans zur Debatte geäußert. Wie schätzen sie die Situation ein?

Die Band als Wirtschaftsfaktor

Klar ist: Die Vorwürfe gegen Rammstein lassen sich nicht unter "übliches Rock'n'Roll-Gedöns" verbuchen. In Frage steht die Unversehrtheit mehrerer weiblicher Fans, die künstlerische und persönliche Integrität des Rammstein-Sängers und seiner Band-Kollegen - und die Zukunft eines millionenschweren Wirtschaftsunternehmens. Nach Angaben der Seite "Touring Data" erwirtschaftete Rammstein im vergangenen Jahr allein mit Eintrittskarten einen Umsatz von knapp 220 Millionen Dollar - mehr als etwa die Red Hot Chilli Peppers. Dazu kommen Plattenverkäufe, Merchandise und weitere Aktivitäten von Lindemann und Band.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat die Zusammenarbeit mit dem Rammstein-Sänger bereits aufgekündigt. Sein Band "100 Gedichte" steht schon seit 2020 wegen Vergewaltigungsfantasien mit K.O.-Tropfen in der Kritik. Und die Drogeriemarktkette Rossmann hat die Rammstein-Parfüms "Kokain", "Sex" und "Pussy" aus den Regalen und dem Online-Shop genommen.

Rückblick: Das geplatzte Rammstein-Silvesterkonzert

Die Stadt München dürfte unterdessen froh sein, dass ein für Silvester 2022 geplantes Riesenkonzert der Band auf der Theresienwiese mit 145.000 Zuschauern nicht zustande gekommen ist. Nachdem beim Kreisverwaltungsreferat der Stadt (KVR) und der Polizei Zweifel am Sicherheitskonzept des Veranstalters aufgekommen waren, hat dieser den Termin von sich aus abgesagt. Die Befürworter um Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) hatten sich von dem Konzert "erhebliche Aufmerksamkeit für die Tourismusdestination München" erhofft.

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