Leo Baeck (recht) nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bundespräsident Theodor Heuss (links).
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Leo Baeck (recht) nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bundespräsident Theodor Heuss (links).

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Leo Baeck: Welche Bedeutung hat er für Jüdinnen und Juden?

Leo Baeck war im Nationalsozialismus Präsident der Reichsvereinigung deutscher Juden. Heute wäre er 150 Jahre alt geworden. Gerade in Krisenzeiten gilt er damals wie heute als Brückenbauer zwischen liberalen und orthodoxen Juden.

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Er war der oberste Vertreter der deutschen Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus und gilt bis heute als Leitfigur des deutschen Judentums: Leo Baeck wäre heute 150 Jahre alt geworden. Baeck war ein Vertreter des liberalen Judentums. Heute aber gehört die Mehrheit der Juden in Deutschland einer der eher orthodox geprägten sogenannten Einheitsgemeinden an. Wie schauen liberale und orthodoxe Gläubige in Deutschland heute auf ihre Unterschiede? Und welche Rolle spielt Leo Baeck heute noch für sie?

Liberales Judentum ist heute eine kleine Strömung

Von außen unauffällig, innen aber ist der Gebetsraum groß und hell: Die liberale jüdische Gemeinde Bet Schalom hat ihren Sitz in einem Hinterhaus in München Sendling. Knapp 600 Mitglieder gehören zur Gemeinde. Das liberale Judentum ist in Deutschland heute eher eine kleine Strömung. Weltweit ist das anders: Da sind die liberalen Juden in der Überzahl.

Einige wesentliche Elemente sind im Gottesdienst von liberalen Gemeinden anders als bei den Orthodoxen, erklärt Tom Kucera, Rabbiner der Münchner Gemeinde: "Wir benutzen bei jedem Gottesdienst ein Klavier, Männer und Frauen sitzen zusammen, die Familien können auch zusammen sitzen. Ich habe früher auf der Gitarre gespielt, für die Kinder." In der orthodoxen Synagoge dagegen sitzen Männer und Frauen getrennt, die Musik besteht fast ausschließlich aus Gesängen von männlichen Gemeindemitgliedern. Der vielleicht deutlichste Unterschied: In den liberalen Gemeinen sind auch Frauen Rabbinerinnen - für orthodoxe Juden ist das undenkbar.

Rund 92.000 Mitglieder verzeichnet der Zentralrat der Juden heute in Deutschland, und die meisten gehören einer orthodoxen oder zumindest einer orthodox geprägten Einheitsgemeinde an. Das war vor dem Zweiten Weltkrieg noch anders, erklärt Birgit Klein, Professorin für jüdische Geschichte an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Sie selbst ist liberale Rabbinerin: "Die Mehrheit der Jüdinnen und Juden vor der Shoa war liberal. Und das orthodoxe Judentum hat sich dann erst formiert, nachdem sich das Reformjudentum entwickelt hat. Im Laufe des 19. Jahrhunderts haben sich dann Gemeinden abgespalten, das heißt die Abspaltung erfolgte von orthodoxer Seite."

Baeck war wichtiger Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft

Einer, der sich trotz der großen Unterschiede zwischen den jüdischen Glaubensrichtungen im 20. Jahrhundert als Brückenbauer einsetzte, war Leo Baeck, geboren 1873 in Lezno, das heute zu Polen gehört. Der Rabbiner gehörte der liberalen Strömung an, stand aber auch den Orthodoxen offen gegenüber. Während des Nationalsozialismus war er "Präsident der Reichsvereinigung der deutschen Juden" und galt in dieser Rolle als wichtigster Repräsentant des Judentums in Deutschland. In dieser Position unterstützte er die jüdische Gemeinschaft, indem er Gelder sammelte, als Seelsorger bereitstand und Familien bei der Auswanderung half, bevor er selbst 1943 in Theresienstadt inhaftiert wurde.

"Er hat Hochzeitszeremonien in Theresienstadt gehalten, zusätzlich zu seinen Lehren und zusätzlich zu seiner Seelsorge. Und es ist immer auch ein Fragezeichen, warum er, Rabbiner Leo Baeck, überleben konnte, während seine Kollegin, Rabbinerin Regina Jonas, die mit ihm viele Veranstaltungen organisierte, nicht überleben konnte" – diese Frage sei bis heute nicht ganz geklärt, sagt Rabbiner Tom Kucera. Nach dem Krieg wanderte Leo Baeck dann nach England aus, engagierte sich weiterhin für seinen Glauben, etwa im jüdisch-christlichen Dialog. Auch wenn die Biographie Leo Baecks heute nicht mehr häufig thematisiert werde, lebe sein Geist in den Gemeinden fort, meint Kucera.

Liberales Judentum in Deutschland in der Krise

Zur orthodox geprägten israelitischen Kultusgemeinde in München pflege die liberale jüdische Gemeinde, trotz fortbestehender theologischer Differenzen, ganz im Sinne von Leo Baeck ein gutes Verhältnis: "Wir sind sehr dankbar, dass wir zum Beispiel zum 20. Geburtstag unserer Gemeinde den Brudersaal in der Einheitsgemeinde nutzen konnten, um unsere Feier durchzuführen", sagt der Rabbiner.

Und trotzdem durchlebt das liberale Judentum in Deutschland gerade eine Krise. Denn im Dachverband der liberalen jüdischen Gemeinden, der "Union progressiver Juden" gab es kürzlich einen Skandal: Dem inzwischen zurückgetretenen Vorsitzenden Rabbiner, Walter Homolka, werden Machtmissbrauch, Vorteilsannahme, Nötigung und Beleidigung vorgeworfen. Ein neuer Verband für liberale jüdische Gemeinden hat sich bereits gegründet, muss allerdings erst aufgebaut werden. In dieser Situation sei es für alle jüdischen Gemeinden besonders wichtig, sich auf Leo Baeck zu besinnen, so die Professorin für jüdische Geschichte, Brigit Klein. Der Zentralrat könne die Chance nutzen, sich infolge dieses Skandals für jüdisches Leben in liberaler Form in Deutschland einzusetzen, meint Klein. "Damit diese neue Vision eines pluralen jüdischen Lebens in Deutschland sehr stark inspiriert werden könnte von Leo Beck."

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