Leere Kirchenbänke
Bildrechte: BR/Julia Müller

Vor allem in Städten gehen Gläubige nicht immer in den Gottesdienst vor Ort, sondern wandern ab, in die Messe einer anderen Pfarrei.

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"Gottesdienst-Nomaden": Wie umgehen mit abwandernden Gläubigen?

Besonders in Städten besuchen Gläubige oft nicht den Gottesdienst ihrer Pfarrei, sondern wandern ab. Gottesdienst-Nomaden nennt man sie. Ist alles eine Frage des besseren Angebots? Was können Pfarrer dagegen tun? Wie sieht es mit dem Pfarrzwang aus?

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Unkonventionell, bunt und fröhlich, mit Hunden in der Kirchenbank: So wird die Sonntagsmesse in der katholischen Münchner Kirche Sankt Maximilian gefeiert. Pfarrer Rainer Maria Schießler hat, anders als mancher Kollege, nicht das Problem, dass er vor leeren Kirchenbänken steht. Viele seiner Gottesdienstbesucher kennt er nicht persönlich, denn sie kommen aus anderen Pfarreien.

Viele Pfarrer stehen sonntags vor leeren Bänken

Knapp 21 Millionen Katholiken gibt es in Deutschland, aber nur etwa 1,2 Millionen haben 2022 eine Messe besucht. Immer mehr Pfarrer predigen deshalb in fast leeren Kirchen. Da ist es für sie dann besonders bitter, wenn auch noch Gläubige aus der eigenen Pfarrei abwandern und sich lieber die Predigt des Pfarrers in einer anderen Pfarrei anhören.

"Wir haben einmal über ein paar Jahre hinweg die Leute befragt. Da sind wir drauf gekommen, dass wirklich 80 bis 85 Prozent jeden Sonntag nicht aus dem Viertel stammt", sagt Pfarrer Rainer Maria Schießler. Vergangenen Sonntag kamen sogar zwei Reisebusse aus dem Bayerischen Wald an. Ein Reisebüro hatte einen Sonntagsausflug angeboten. Ein fester Programmpunkt: die Messe in Sankt Maximilian bei Pfarrer Schießler. "Und die versichern sich natürlich, ob ich auch da bin. Und ich sag: Ja, ich bin schon da", sagt Schießler.

"Gottesdienst-Nomaden" und "Kirchen-Wanderer" in Städten

Der Pfarrer freut sich über seine überregionale Prominenz, mancher Kollege dürfte da vielleicht etwas neidisch sein. Dass Menschen ihre angestammte Kirchengemeinde für die Sonntagsmesse verlassen, weil es ihnen woanders besser gefällt, ist vor allem in Städten mittlerweile Normalität. Das Phänomen hat Bischof Wolfgang Ipolt aus Görlitz auf den Plan gerufen. Im Juli sagte er der katholischen Zeitung "Die Tagespost": "Was mir Sorgen macht, ist, dass manche Katholiken ihre Teilnahme an der Sonntagsmesse abhängig machen davon, ob ihnen der Pfarrer zusagt oder nicht."

Der Pastoraltheologe Herbert Haslinger, der in Paderborn lehrt, findet es völlig in Ordnung, dass sich Gläubige die Kirche und den Sonntagsgottesdienst gezielt aussuchen: "Ich habe das durchaus an mir selber wahrgenommen. Ich habe erlebt, dass in manchen Gemeinden bei manchen Sonntagsgottesdiensten Predigten zu hören waren, die schlicht und ergreifend eine Zumutung sind", sagt Haslinger.

Pfarrzwang aus dem Mittelalter gibt es nicht mehr

Auch das Kirchenrecht steht auf der Seite der "Gottesdienst-Nomaden". Zwar heißt es im Codex Iuri Canonici, die Pfarrei habe in aller Regel ein abgegrenztes Gebiet mit den dazugehörigen Gläubigen, doch den "Pfarrzwang" aus dem Mittelalter gibt es heute nicht mehr. Damals betrachteten die Grundherren Pfarrgemeinden noch als ihr Eigentum und verlangten von den Untertanen, in den Gottesdienst der eigenen Pfarrkirche zu gehen.

"Ich kann das nachvollziehen, dass das frustrierend ist. Aber dann muss man mal die Überlegung anstellen: Müsste ich etwas ändern?", sagt Haslinger. "Das mag jetzt ziemlich hart klingen, aber wir können nicht den Leuten die Schuld zuweisen und sie als dekadent oder fehlgeleitet deklarieren, nur weil sie bekunden, dass sie mit etwas nicht zufrieden sind."

Schießler: "Der Pfarrer muss authentisch sein"

Aber was machen Pfarrer, die unter massiver Abwanderung leiden, falsch? "Ich habe Geistliche erlebt, die, sobald sie im Messgewand am Altar standen, ganz anders geredet haben. Ich habe da schon nochmal hinschauen müssen, ob das noch derselbe Pfarrer ist", berichtet Pfarrer Schießler. "Warum darf ich nicht der sein, der ich bin, in der Funktion, die ich jetzt im Gottesdienst übertragen bekommen habe, als Gottesdienstleister, und dann funktioniert das", meint er. Es reiche, die Menschen zu mögen, die da in die Kirche kommen, sie die Sakramente spüren zu lassen und als Pfarrer authentisch zu sein, ist Schießler überzeugt - und freut sich schon auf den kommenden Sonntag.

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