Eine Frau steht vor einer Gaststätte.
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Szene aus der Mini-Serie "Deutsches Haus"

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"Deutsches Haus": Die beste deutsche Serie des Jahres

Autorin Annette Hess war verantwortlich für Erfolgsformate wie die "Ku’damm"-Titel, "Weissensee" oder "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". In ihrer neuen Serie widmet sie sich dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Eine Rezension.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wie findet man die richtigen Worte für das Unaussprechliche, das Unvorstellbare, das, worüber lange gar nicht und bis heute nur zögerlich gesprochen wird? Wie spricht man über das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte: den Holocaust und sechs Millionen tote Juden? Eine Serie, die dieses Thema aufgreift, muss wissen, wie. Die Serie "Deutsches Haus" weiß es: Sie zitiert die Akten, den Originalton aus dem ersten Ausschwitz-Prozess in Frankfurt 1963.

Wie spricht man über das Unaussprechliche?

Mehrere Hundert Stunden Tonband-Aufnahmen hat Serienmacherin Annette Hess ausgewertet und verwendet diese teilweise sowohl im Buch als auch jetzt in der Serie. Dadurch sind Opfer wie Täter und das Prozessgeschehen relativ authentisch - und wirken besonders eindrücklich. Gut ein Drittel der Serie spielt im Gerichtssaal, und so hören wir oft minutenlang zu, wie das Unvorstellbare ausgesprochen und das Schweigen gebrochen wird.

Iris Berben als jüdische Zeugin, Heiner Lauterbach als angeklagter NS-Offizier Wilhelm Boger oder Max von der Groeben als Staatsanwalt Joachim Kügler - für die schauspielerische Umsetzung verlässt sich die Serie auf viele bekannte deutsche Namen - und daran tut sie gut. Auch Anke Engelke oder Henry Hübchen glänzen in ihren Eltern-Rollen.

Ein Wirtshaus als Metapher für Deutschland nach dem Krieg

Erzählt wird das Ganze aus der naiven Sicht einer jungen Frau: Eva Bruhns, die als deutsch-polnische Übersetzerin im Prozess mitarbeitet, und nach und nach überhaupt erst begreift, was in Deutschland im Zweiten Weltkrieg passiert ist. Eva Bruhns aus der Serie gab es in Wirklichkeit zwar nicht, aber sie ist hier natürlich Stellvertreterin für all die jungen Menschen in Deutschland, die in den 60er Jahren plötzlich Fragen stellen, die damit ihre Väter und Mütter konfrontieren und einen Generationenbruch einleiten. Auch Eva entdeckt die dunkle Vergangenheit ihrer Familie.

Das "Deutsche Haus" aus der Serie ist das bürgerliche Wirtshaus, das die Familie Bruhns besitzt - und in dem sich die alte Generation auf Bier und Braten trifft. Es ist eine Metapher für die Nachkriegs-Deutschen, die von den NS-Verbrechen nichts gewusst haben wollen und sogar von alten Zeiten schwärmen.

Ein Muss für den Geschichtsunterricht

Allein eine Million Menschen starben in Auschwitz. Die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, initiiert von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, gehören trotz Martin Walsers und Peter Weiss' künstlerischer Auseinandersetzung damit bis heute zu den eher weniger bekannten Kapiteln der deutschen Geschichte. Autorin Annette Hess wollte ihr Buch zunächst eigentlich nicht verfilmen, sie änderte ihre Meinung nach den Wahlerfolgen der AfD - und so ist "Deutsches Haus" die erste filmische Umsetzung der Ereignisse.

Nicht nur das: "Deutsches Haus" ist in seiner differenzierten halbdokumentarischen-halbfiktiven Art die beste deutsche Serie des Jahres. Sie sollte Teil jedes Geschichtsunterrichts und jedes Fernseh-Familienabends sein. Damit das Erinnern nicht aufhört, wo sich die Geschichte mit Blick auf den Nahen Osten in Teilen ja schon wieder wiederholt.

"Deutsches Haus" von Annette Hess läuft ab 15. November 2023 auf Disney+

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