Ukrainische Soldaten reparieren einen "Leopard 2" Panzer, Saporischschja, 21. Juni 2023
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21.06.2023, Saporischschja: Ukrainische Soldaten reparieren einen "Leopard 2" Panzer

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"Langsamer als gewünscht": Wie die Gegenoffensive verläuft

Der ukrainische Präsident räumt am Mittwochnachmittag ein: Die Gegenoffensive verlaufe "langsamer als gewünscht". Das Ganze sei kein "Hollywood-Film". Es gehe schließlich um Menschenleben. Was bislang über den Verlauf der Gegenoffensive bekannt ist.

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Der Erwartungsdruck war groß, als am 4. Juni die ersten erkennbaren Offensivbewegungen der ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Invasionstruppen begannen. An mehreren Abschnitten der langen Front drangen ukrainische Verbände vor - im Süden des Oblast Saporischschja und im Westen des Oblast Donezk. Dabei setzte die Ukraine nur einen geringeren Teil ihrer Kampfeinheiten ein, in der Absicht, mögliche Schwachstellen in den schwer befestigten Verteidigungsstellungen Russlands zu finden.

Innerhalb der vergangenen zwei Wochen konnten die ukrainischen Verbände nach Angaben der ukrainischen Vize-Verteidigungsministerin Hanna Mailar acht Ortschaften befreien, die meisten von ihnen im Südwesten des Oblast Saporischschja. Diese Vorstöße durch das massiv verminte und massiv befestigte russisch besetzte Gebiet sind bislang die weitesten seit letztem Herbst. Damals hatte die Ukraine große Geländegewinne erzielt, zunächst östlich von Charkiw und dann bei der Befreiung Chersons. Dieser Vergleich ist es allerdings, der den Erwartungsdruck auf die politische und militärische Führung der Ukraine ins Überdimensionale steigert.

Selenskyj: "Das ist kein Hollywood-Film"

In einem Interview mit der britischen BBC am Mittwoch ging der ukrainische Staatspräsident auf diesen Erwartungsdruck ein. Die Fortschritte auf dem Schlachtfeld seien "geringer als gewünscht". Einige Leute glaubten, dass "das ein Hollywood-Film ist und jetzt Ergebnisse erwarten". Dabei gehe es um "Menschenleben", so Selenskyj. Damit dürfte er auf die geringere Truppenstärke der eigenen Verbände abzielen. In der Regel benötigt die angreifende Seite dreimal so viele Soldaten wie die angegriffene Seite.

Die weiteren Umstände, die die Gegenoffensive erschweren: Die völlig ausgedünnte Luftwaffe der Ukraine, die ansonsten die vorrückenden Infanterie- und Artillerieverbände hätte unterstützen können. Zweitens: Die monatelangen Verteidigungsvorbereitungen der russischen Streitkräfte, eine umfassende Rückeroberung der besetzten Gebiete zu verhindern, vor allem in Richtung der Krim. Und drittens: Der verstärkte Einsatz der russischen Luftwaffe an den betroffenen Frontabschnitten. Zudem wies Selenskyj in der BBC darauf hin, das Russland "200.000 Quadratkilometer" ukrainschen Territoriums vermint habe. Er werde sich nicht drängen lassen, sondern "wir werden auf dem Schlachtfeld in der Weise vorgehen, die wir für die Beste ansehen."

Ist eine Stoßrichtung zu erkennen?

Nein, das sei zu früh: Darin stimmen westliche Militärbeobachter überein. Man könne nicht nach wenigen Wochen bereits Schlussfolgerungen ziehen, ob die ukrainische Gegenoffensive Erfolg haben werde oder nicht. Einen Hinweis gab die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Malliar: Die ukrainischen Einheiten würden ihre Offensivoperationen Richtung Melitopol und Beridiansk am Asowschen Meer fortsetzen. Die Großstadt Melitopol liegt rund 100 Kilometer von Orichiw entfernt - dem Ort, von dem aus die ukrainischen Verbände vor zwei Wochen mit ihren Vorstößen in der Region begonnen haben.

Falls dieser Vorstoß, der mit hohen Verlusten verbunden sein dürfte, gelingt, hätte die Ukraine einen Keil zwischen die russischen Besatzungstruppen getrieben und könnte die russischen Versorgungseinheiten auf der Krim bedrohen. Fraglich ist allerdings, ob diese Aussage der ukrainischen Vize-Verteidigungsministerin zum Nennwert zu nehmen ist. Denn eines der Hauptgebote während der ukrainischen Gegenoffensive lautet: Möglichst lange die russischen Invasoren im Unklaren über die eigentliche Stoßrichtung zu lassen.

Erst ein geringere Teil der Einheiten im Einsatz

Ferner herrscht unter westlichen Militärbeobachtern weitgehend die Einschätzung vor, dass die Ukraine bislang nur einen relativ geringen Teil ihrer Streitkräfte seit Anfang Juni eingesetzt hat. Der Großteil der neuen Brigaden, die in den vergangenen Monaten von westlichen Verbündeten ausgebildet und mit westlichen Waffensystemen ausgerüstet worden sind, halte die Ukraine noch zurück.

Der Grund: Die russischen Verteidigungslinien sind mehrfach gestaffelt, von Minenfeldern, über Panzersperren und tiefe Gräben, bis hin zu massiv ausgebauten Infanterie- und Artilleriestellungen. Solange nicht die ukrainischen Einheiten diese russische Hauptverteidigungslinie erreicht hätten, würden die neu aufgestellten Brigaden nicht zum Einsatz kommen. Die Ukraine sei aber gewillt, diese Einheiten einzusetzen, sobald diese vor der Hauptverteidigungslinie stünden.

Im Video: Gegenoffensive - die letzte Chance für die Ukraine?

Ein Soldat hält sich die Ohren zu, im Hintergrund feuert ein Artilleriegeschütz - das alles vor den ukrainischen Farben.
Bildrechte: Libkos/AP/dpa, dpa-Bildfunk/Libkos, BR, Montage: BR
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Seit Wochen bereiten sich die ukrainischen Truppen auf ihre Frühjahrsoffensive vor, die Erwartungshaltung im Westen ist hoch.

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