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Wer gehört eigentlich zur Mittelschicht?

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Wer gehört zur Mittelschicht?

Die Mittelschicht gilt als das Rückgrat der deutschen Gesellschaft, der deutschen Wirtschaft. Doch wer gehört eigentlich zur Mittelschicht? Das ist gar nicht so einfach zu sagen, denn eine allgemein gültige Definition gibt es nicht.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Als sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz selbst zur gehobenen Mittelschicht zählte, hat er viel Erstaunen ausgelöst, aber auch viel Häme geerntet. Dabei ist das ein recht häufiges Phänomen: Viele schätzen sich selbst falsch ein, auf beiden Seiten.

Soziologische oder ökonomische Merkmale

Sowohl zählen sich Menschen, die eigentlich armutsgefährdet sind, zur Mittelschicht, genauso Menschen, die deutlich in die Kategorie "reich" gehören. Das Problem dabei ist, es gibt keine eindeutige Definition, wer denn zur Mittelschicht gehört.

Das geht schon damit los, dass der Begriff Mittelschicht unterschiedlich benutzt wird. Die Soziologie orientiert sich dabei eher am Bildungsniveau, am Erwerbsstatus oder an einer Berufs-Prestige-Skala. Da gibt es aber enorme Abgrenzungsprobleme. Wenn es zum Beispiel nach dem Bildungsniveau geht, sind alle jungen Menschen ausgeschlossen, die mit ihrer Ausbildung noch nicht fertig sind. Die fallen ebenso aus dem Erwerbsstatus heraus wie Rentner. Deswegen orientieren sich viele Wissenschaftler an ökonomischen Merkmalen und hier ganz besonders am Einkommen.

Mittleres Einkommen ist nicht gleich Durchschnittseinkommen

Die meisten Organisationen oder Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf das Haushalt-Nettoeinkommen. Das wird aber noch einmal gewichtet, je nachdem, wie viele Personen und in welchem Alter davon leben müssen. Denn eine vierköpfige Familie braucht nicht das vierfache Einkommen eines Einzelnen. Die Formel dafür ist international einheitlich.

Unbestritten ist auch, dass man sich nicht das Durchschnittseinkommen ansieht, sondern das mittlere Einkommen, das Medianeinkommen. Auf einer Skala aller Einkommen liegt es genau in der Mitte.

Was ist die Mitte?

Doch damit hört die Einigkeit auf. Denn welche Einkommensspanne tatsächlich die Mittelschicht beschreibt, ist sehr unterschiedlich. Die OECD zum Beispiel sieht die Mittelschicht bei 75 bis 150 Prozent des Medianeinkommens. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeitet mit der Spanne zwischen 70 und 150 Prozent und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit 80 bis 200 Prozent des Medianeinkommens.

Umfassendere Studien zu diesem Thema nehmen als Grundlage Zahlen des Sozio-Ökonomischen-Panels, eine langjährige umfassende Befragung der Bevölkerung. Die neuesten Daten stammen allerdings aus dem Jahr 2019. Da betrug das Medianeinkommen für Deutschland 2.109 Euro netto pro Person und Monat. Daraus ergeben sich folgende Bandbreiten für die Mittelschicht:

  • OECD: 1.582 Euro bis 3.164 Euro
  • DIW: 1.476 Euro bis 3.164 Euro
  • IW: 1.687 Euro bis 4.218 Euro

Das sind doch deutliche Unterschiede, wodurch auch die Interpretation der Daten recht unterschiedlich ausfallen.

Bröckelnde Mittelschicht oder ist sie stabil?

Es gibt verschiedene Studien, die sich mit dem Zustand der Mittelschicht befassen. Und ihr Urteil fällt sehr unterschiedlich aus, je nachdem, welche Organisation gerechnet hat. Das DIW kommt zu dem Schluss, dass die Mittelschicht deutlich kleiner geworden ist, vor allem zwischen 1996 und 2013. Danach hat sie sich auf niedrigerem Niveau stabilisiert.

Das IW dagegen sieht keine großen Veränderungen bei der Mittelschicht. Sie hält sie für stabil. Das mag daran liegen, dass man beim DIW schon mit 70 Prozent des Medianeinkommens zur Mittelschicht zählt und diese untere Mittelschicht anfälliger ist, abzurutschen.

Die Entwicklung in Bayern

Leider bietet das Sozio-Oekonomische Panel keine Daten speziell für Bayern. Dafür hat das Landesamt für Statistik eine eigene Berechnung des Medianeinkommens, die auf dem Mikrozensus, also sozusagen der Volksbefragung, von 2022 beruht.

Da ergibt sich ein Medianeinkommen für Bayern von 2.114 Euro pro Person und Monat. Das unterscheidet sich nicht allzu sehr von dem Einkommen, mit dem die anderen Institute arbeiten. Allerdings gibt es für Bayern keine tiefer gehende Studie über die Entwicklung der Mittelschicht. Deshalb haben wir das grob überschlagen.

Es gibt für Bayern eine Armutsquote (relativ arm ist, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat) und eine Reichtumsquote (alle, die mehr als 200 Prozent des Medianeinkommens verdienen). Zählt man die beiden zusammen und zieht sie von der Gesamtbevölkerung (100 Prozent) ab, erhält man sozusagen alle zwischen Arm und Reich. Diese Quote war in den letzten zehn Jahren relativ konstant.

Dürftige Studienlage

Dafür, dass die Mittelschicht das Rückgrat der deutschen Gesellschaft ist, ist die Studienlage eher dürftig und verwirrend. Außerdem gibt es wenig regional unterschiedliche Untersuchungen. Dabei ist es doch entscheidend, wo ich lebe und welche Kosten ich zu schultern habe, ob ich zur Mittelschicht gehöre oder nicht.

Die aktuelle Inflation ist übrigens noch in keiner Studie berücksichtigt, auch sie kann die Grenzen der unterschiedlichen Schichten verändern. Und schließlich sagt das Einkommen auch nicht alles aus, denn es gibt auch Menschen, die wenig Einkommen, aber ein hohes Vermögen haben.

  • Zum Artikel: Bayerischer Millionär fordert höhere Steuern für Superreiche

Dieser Artikel ist erstmals am 21.06.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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