14.07.2020, Bayern, Herrenchiemsee: Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehen nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts im Neuen Schloss auf der Insel Herrenchiemsee gemeinsam zu einer abschließenden Pressekonferenz.
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Folgt er bald doch auf sie? Über eine mögliche Kanzlerkandidatur von Bayerns Ministerpräsident Söder gibt es immer wieder Spekulationen

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Analyse: Wie Söder Kanzlerkandidat werden könnte

Vereinzelte Rufe nach Söder aus der CDU, der Merkel-Fototermin auf Herrenchiemsee - und trotzdem regelmäßig "Mein Platz ist in Bayern": Die Spekulationen über eine Kanzlerkandidatur des CSU-Chefs köcheln weiter. Was bräuchte es dafür?

Er will es, er will es nicht, er will es, er will es nicht: So ähnlich kann man die bisherigen Äußerungen von Markus Söder über seine mögliche Kanzlerkandidatur zusammenfassen. Denn nachdem sein Mantra "Mein Platz ist in Bayern" lange die einzige Antwort auf entsprechende Nachfragen war, äußerte sich der CSU-Chef zwischenzeitlich vieldeutiger.

Und so wie Gretchen in Goethes "Faust" Blatt um Blatt einer Sternblume abzupft, kann man Söder derzeit dabei zuhören, wie er im einen Interview mit einer Kandidatur kokettiert und im nächsten Interview diese Spekulationen weitgehend zurückweist. Medial entsteht dabei teilweise der Eindruck, als habe Söder die sogenannte K-Frage innerhalb der Union selbst in der Hand, als müssten seine Umfragewerte dazu nur weiter gut bleiben.

Das aber stimmt so nicht. Denn sollte der CSU-Chef zu dem Schluss kommen, Kanzler werden zu wollen, wäre eine andere Variable entscheidend: Wer wird Anfang Dezember neuer CDU-Chef – und in welchem Zustand befindet sich die CDU dann?

Aktuell sind vier Szenarien denkbar, mit jeweils sehr unterschiedlichen Chancen für eine Spitzenkandidatur Söders bei der Bundestagswahl 2021.

Szenario 1: Laschet wird CDU-Chef, Spahn wichtigster Vize

Wenn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet mit Unterstützung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Rennen um den CDU-Vorsitz macht, dürfte es auf einen Kanzlerkandidaten Laschet hinauslaufen. Zum einen hat der 59-Jährige als NRW-Landeschef einen der wichtigsten CDU-Landesverbände hinter sich. Zum anderen deckt er gemeinsam mit Spahn innerparteilich viele Stimmungen und Strömungen ab. Auch die CSU dürfte zustimmen, möglicherweise nach einigem Murren. Denn zerstritten in den Wahlkampf ziehen will keine der beiden Schwesterparteien.

Dass Laschet dagegen als neu gewählter Parteichef auf die Kanzlerkandidatur verzichtet und sie Söder überlässt? Quasi ausgeschlossen, auch nach den jüngsten Äußerungen aus der NRW-CDU über Söder ("kein klarer politischer Kompass"). Allerdings kann bis Dezember noch viel passieren - und Laschets Kurs in der Corona-Krise wird nicht von allen positiv bewertet (auch Dank Söders regelmäßigen Andeutungen und Verweisen). Spekulationen, wonach Laschet statt der Kanzlerschaft das Amt des Bundespräsidenten anstreben könnte, sind dagegen aus heutiger Sicht sehr theoretisch – um nicht zu sagen verwegen.

Szenario 2: Merz wird CDU-Chef

Wenn Friedrich Merz im zweiten Anlauf doch noch CDU-Chef wird, dürfte er in jedem Fall auf die Kanzlerkandidatur bestehen. Das hat Merz, von 2000 bis 2002 Unions-Fraktionschef im Bundestag, zigmal anklingen lassen. Entscheidend wird dann sein, in welcher Verfassung Merz die CDU übernimmt. Zerfasert die Partei durch einen Machtkampf zwischen markig-marktwirtschaftlichen Konservativen und Merkel-nahen Laschet-Anhängern? Dann hätte Merz nicht weitgehend den Rückhalt der Gesamtpartei – und ginge geschwächt in die Verhandlungen mit CSU-Chef Söder. Denkbar wäre auch, dass Söder Merz und Merz Söder blockiert – und es deshalb auf eine dritte Person bei der Kanzlerkandidatur hinausläuft.

Für Merz als neuen Parteichef spricht weiter, dass er von den drei Bewerbern um den Parteivorsitz laut Umfragen unter CDU-Anhängern stabil die höchste Zustimmung hat. Der baden-württembergische CDU-Landesverband hatte sich bereits im Februar in Teilen für Merz als neuen Vorsitzenden ausgesprochen. Allerdings ist zu hören, dass damit in der Südwest-CDU längst nicht alle glücklich sind – zuletzt forderten mehrere Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg Spahn auf, doch allein zu kandidieren (siehe Szenario 4).

An der CSU-Basis wird Merz durchaus geschätzt. Söder stichelte allerdings bereits ordentlich gegen den 64-jährigen Sauerländer. Es reiche nicht zu sagen, man mache es einfach so wie vor 20 Jahren, betonte Söder im Februar. Zudem warnte er die Union vor einem "radikalen Bruch mit der Vergangenheit" – ebenfalls eine Anspielung auf den Merkel-Gegner Merz. Aus der CSU ist auch zu hören, dass ein Kanzlerkandidat Merz das (eher) linke Lager – also Grüne, SPD und Linke – besonders mobilisieren dürfte. Aus wahlkampftaktischer Sicht wäre das zumindest ein Risiko.

Szenario 3: Röttgen wird CDU-Chef

Sollte Norbert Röttgen – aus heutiger Sicht völlig überraschend – das Rennen um den CDU-Vorsitz machen, hätte Söder vergleichsweise gute Chancen auf die Kanzlerkandidatur. Röttgen hat deutlich wie kein anderer Bewerber angekündigt, dass für ihn CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur nicht gottgegeben zusammengehören. Dabei hatte er auch viel Lob für Söder parat – natürlich sei ein Kanzlerkandidat Söder "eine realistische Möglichkeit". Zudem sieht sich Röttgen in erster Linie als Außenpolitiker, wäre also in einer Regierung mit Beteiligung der Union als Außenminister gut denkbar.

Dennoch dürfte es darauf kaum hinauslaufen. Dass die CDU aus freien Stücken mit Röttgen einen Parteichef wählt, der seinen Anspruch auf das wichtigste politische Amt im Staat von vornherein in Frage stellt, ist sehr unwahrscheinlich. Zudem hat Röttgen seit seiner Ausbootung durch Angela Merkel im Jahr 2012 innerparteiliche Narben – und auch nicht die Unterstützung seines NRW-Landesverbands, weil der mehrheitlich hinter Laschet steht.

Szenario 4: Spahn kandidiert doch – und wird CDU-Chef

Bundesgesundheitsminister Spahn hat mehrfach betont, dass er an seiner Unterstützung für Laschet als möglichem CDU-Chef festhält. Zuletzt erklärte Spahn im Deutschlandfunk, das sei eine "bewusste Entscheidung" gewesen, die weiterhin gelte. Dennoch gibt es Stimmen in der Union, die ihn zu einer Kandidatur drängen. Zuletzt forderten das, wie erwähnt, einige baden-württembergische Bundestagsabgeordnete – aber auch der Berliner CDU-Chef und der Hamburger CDU-Fraktionsvorsitzende. Übrigens jeweils mit dem Zusatz, man könne sich Söder als Kanzlerkandidaten gut vorstellen.

Aus heutiger Sicht ist es also fraglich, aber nicht ausgeschlossen, dass Spahn seinen Hut doch noch in den Ring wirft. Mit Söder versteht er sich gut, man trifft sich medienwirksam bei diversen Gelegenheiten. Im Fall seiner Wahl hätte Spahn auch gute Chancen in der K-Frage. Allerdings wäre er als aktuell 40-Jähriger auch jung genug, um die Kanzlerkandidatur gesichtswahrend Söder zu überlassen – und sich erst einmal um die Renovierung der CDU zu kümmern.

Generell gilt: CSU hat nur begrenzt Einfluss

Diese Gedankenspiele zeigen: Das Rennen um die Kanzlerkandidatur der Union ist offen – zumal bisher nicht einmal klar ist, wer am Endlauf teilnimmt. Hört man sich in der CSU um, gibt es grob gesagt zwei Erzählungen über einen möglichen Kanzlerkandidaten Söder: "Kriegt er die Chance, muss er sie nutzen" und "Als Ministerpräsident kann er mehr für Bayern erreichen".

Allerdings entscheiden über die Kanzlerkandidatur letztlich die Präsidien der beiden Unionsparteien. Dass eine Mehrheit der CDU-Mandatsträger riskiert, dass die kleine Schwesterpartei CSU im Falle einer erfolgreichen Söder-Kandidatur womöglich mehrere Legislaturen den Kanzler stellt - daran gibt es in der CSU durchaus Zweifel.

Strauß und Stoiber waren wenig erfolgreich

Erfahrene Christsoziale erinnern auch daran, dass es in Teilen der CDU eine ausgeprägte CSU-Abneigung gebe. Und dass die bisherigen CSU-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber nicht zuletzt an der nicht ganz so ausgeprägten Unterstützung durch die CDU im Wahlkampf gescheitert seien. Allerdings sind diese Vergleiche kaum auf die Gegenwart übertragbar: Bei Strauß gab es im Grunde ein bipolares Parteiensystem aus Union und SPD – und bei beiden gab es inzwischen zentrale Wahlkampf-Faktoren wie soziale Netzwerke noch nicht. Dazu kommt: In beiden Fällen war die Union in der Opposition, dieses Mal tritt sie als Regierungspartei an.

Bleibt die Interpretation von Söders zigfach wiederholtem Satz "Mein Platz ist in Bayern". Für die einen ist damit klar: Der 53-Jährige bleibt Ministerpräsident, zumal das nach eigenem Bekunden immer sein großes politisches Ziel war. Die anderen argumentieren dagegen: Söder bliebe auch als Bundeskanzler CSU-Chef. Und als solcher wäre sein Platz weiterhin auch im Franz Josef Strauß-Haus, das auf alle Zeit in München und damit nachweislich in Bayern steht.

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