Der Schatten von Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen der wöchentlichen Sitzung des Kabinetts in Berlin (Mai 2023)
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Der Schatten von Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen der wöchentlichen Sitzung des Kabinetts in Berlin (Mai 2023)

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Wegducken, wenn's weh tut? Klima-Kanzler und Klima-Schutz

Die Berliner Ampelkoalition ringt nach wie vor um das Gebäude-Energie-Gesetz. Es soll noch vor der Sommerpause im Bundestag diskutiert werden, allerdings blockiert die FDP. Vom Bundeskanzler hört man in dieser Frage nur leise Töne. Warum ist das so?

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Er kann ja schon, wenn er muss und genug gereizt wird. Olaf Scholz kann brüllen. Bei einem "Europafest" der SPD im brandenburgischen Falkensee war dem Kanzler zuletzt der Kragen geplatzt. Störer hatten ihn als "Kriegstreiber" beschimpft und "Hau ab!" gerufen. Da griff sich Scholz das Mikrofon, ließ alle Zurückhaltung fahren: "Liebe Schreihälse", schleuderte er den Kritikern entgegen, "Kriegstreiber ist Putin. Er ist mit 200.000 Soldaten in die Ukraine einmarschiert!" Er habe unglaublich viele Bürgerinnen und Bürger, Kinder und Alte in der Ukraine getötet. "Das ist Mord, um es klar zu sagen." Klartext-Kanzler. So wirbt jedenfalls die SPD-Fraktion im Bundestag auf Twitter.

Olaf Scholz on fire, so sieht man den Kanzler selten, aber möglicherweise haben die jüngsten Debatten innerhalb seiner Ampelkoalition das Nervenkostüm stärker in Mitleidenschaft gezogen. Von Parteifreund Florian von Brunn, in Bayern auf Wahlkampftour, gibt es für den Auftritt Lob. Er wisse, dass Olaf Scholz ein relativ cooler Hanseat sei, der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Er finde aber auch, dass der Bundeskanzler alles Recht der Welt hatte, hier mal Klartext zu reden.

Scholz duckt sich beim Klimaschutz weg

Klartext, der beim Klimaschutz und was das für den Einzelnen für Zumutungen bedeutet, von vielen vermisst wird. Der Kommunikationsberater Johannes Hillje beobachtet, dass Olaf Scholz, der sich als Klimakanzler plakatieren ließ, beim Klimaschutz zwar gerne von Transformation und industrieller Revolution spricht, unbequeme Wahrheiten aber anderen überlässt: "Er überlässt es den Grünen und überlässt ihnen damit auch diese kommunikative Herausforderung, die Menschen zu Verhaltensänderungen zu bewegen und sich dabei auch ein Stück weit die Hände schmutzig zu machen."

Vor allem bei der Debatte um das Gebäude-Energie-Gesetz ist Scholz auf Tauchstation gegangen und hat die stürmischen Reaktionen darauf seinem Wirtschaftsminister Habeck überlassen. Ist das nun politisch feige oder klug? Schließlich sind die Grünen natürliche Konkurrenten der SPD und ein starker Kanzlerkandidat Habeck für Scholz‘ weitere Ambitionen wenig hilfreich. Johannes Hillje nennt das Verhalten des Kanzlers "zumindest unehrlich". Klimaschutz sei nicht nur ein industrielles Projekt, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt, das in der Lebenswirklichkeit der Menschen angesiedelt sei. Im Klartext: Wer Klimakanzler sein wolle, müsse den Menschen auch Klimaschutz im Privaten zumuten.

Braucht es mehr Führung von Bundeskanzler Scholz?

Der bayerische SPD-Chef Florian von Brunn verteidigt die Zurückhaltung des Kanzlers. Von Brunn findet es gut, dass Scholz sich nicht in jeden Streit einmischt zwischen FDP und Grünen, weil er eben der Bundeskanzler sei. In entscheidenden Fällen sage Scholz dann, wo‘s langgeht. Genau das aber sieht der jüngste ARD-Deutschland-Trend anders. 84 Prozent der Befragten wünschen sich laut der Umfrage, dass Scholz stärker eingreifen und mehr führen soll. Bislang hat die Hitzigkeit der Debatte um das Gebäude-Energie-Gesetz lediglich dazu geführt, dass Bürgerinnen und Bürger verunsichert und die politischen Ränder gestärkt wurden. Der SPD nützt das Schweigen des Kanzlers jedenfalls nicht. Im ARD-Deutschlandtrend steht die Partei bei 18 Prozent. Gleichauf mit der AfD.

Sollte Scholz also stärker eingreifen, mehr führen? Von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kommt energischer Widerspruch. Das sei "Pseudostärke, wenn ein Regierungschef, nur um zu zeigen, was für ein toller Hengst er ist, die ganze Zeit auf den Tisch hauen" müsse. Gute Führung, so definiert es Kühnert, bedeute nicht, der "lauteste Maxe" zu sein. Kommunikationsberater Hillje erwartet aber, dass Scholz gemerkt hat, dass der Ampelregierung die Kommunikation über das Heizungsgesetz komplett entglitten ist. Und dass die Verunsicherung in eine sehr gefährliche Richtung abgedriftet ist: zu einem Zuspruch zu einer in Teilen rechtsextremen Partei.

Hoch der AfD besorgt auch bayerische Jusos

Leise Kritik kommt aus dem Süden. Die bayerische Juso-Chefin Reka Molnar vermisst in der aufgeladenen Debatte um das Gebäude-Energie-Gesetz, in dem sich Grüne und FDP gegenseitig die Schuld für das Kommunikationschaos zuschieben, die Handschrift ihrer Partei. Sie glaubt, dass es ein Problem in der Außendarstellung gibt, dass die SPD eine lautere Stimme sein muss.

Gegenwind aus Berlin für die kommende Landtagswahl am 8. Oktober verspürt sie allerdings nicht. Für die bayerischen Jusos sei es wichtig, selbst Wind zu machen, unabhängig von dem, was im Kanzleramt passiert. Man sei keine Kanzler-Jugend und kritisiere den Kanzler auch scharf, wenn es sein müsse. Politikberater Hillje kann sich vorstellen, dass Olaf Scholz sein Kommunikationsverhalten der Situation anpassen wird. Allerdings nicht sofort. Scholz werde erst dafür sorgen, dass es intern eine Einigung oder einen Kompromiss gibt. Bekannt sei schließlich auch, "dass der Kanzler erst nach innen moderiert, bevor er nach außen kommuniziert."

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