Blick in einen Mülleimer am Potsdamer Platz, Berlin
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UN-Studie: 19 Prozent aller Lebensmittel landen im Müll

Eine Milliarde Tonnen Lebensmittel landen pro Jahr weltweit in der Tonne: Das rechnet die UN vor und kritisiert die Verschwendung – bei 800 Millionen Hungernden und einer Klimakrise. Wie Initiativen zur Lebensmittel-Rettung in Bayern dagegen kämpfen.

Mehr als eine Milliarde Tonnen Lebensmittel landen weltweit pro Jahr auf dem Müll. Das ist – so rechnet eine neue UN-Studie vor – fast ein Fünftel der globalen Produktion. Die Autoren halten das nicht nur wegen der fast 800 Millionen Hungernden für bedenklich, sondern auch wegen der Klima- und Umweltfolgen.

Eine Milliarde Mahlzeiten pro Tag im Müll

Die Forscher analysierten jeweils Länderdaten zu Haushalten und Dienstleistern wie Restaurants und Einzelhändlern. Demnach verschwendet im Schnitt jeder Mensch pro Jahr etwa 79 Kilogramm Nahrungsmittel. Das entspricht täglich einer Milliarde Mahlzeiten weltweit. Privathaushalte sind den Zahlen zufolge für den Verlust von 631 Millionen Tonnen Lebensmittel verantwortlich – das macht über 60 Prozent der weggeworfenen Nahrungsmittel aus.

Restaurants, Kantinen und weitere Dienste seien für 28 Prozent der Verschwendung verantwortlich, Supermärkte, Metzger und weitere Geschäfte für zwölf Prozent. In ländlichen Gebieten ist die Vergeudung geringer ist als in Städten. Die Autoren führen das darauf zurück, dass dort mehr kompostiert wird oder an Tiere verfüttert.

Ein Problem sei, dass die Menschen zu viel einkauften und keine Reste verwerteten. Zudem werde zu viel Essen weggeworfen, sobald das Haltbarkeitsdatum überschritten ist, obwohl es noch genießbar sei. Für Unternehmen sei es nicht zuletzt meist "günstiger und schneller", Lebensmittel zu vernichten und neu zu produzieren, als in nachhaltige Alternativen zu investieren.

Weggeworfene Lebensmittel: "Könnten Hungernde ernähren"

Angesichts der Tatsache, dass 783 Millionen Menschen weltweit chronisch unter Hunger leiden, seien solche Zahlen der reinste Hohn, sagt Autorin Clementine O'Connor. Mit den weggeworfenen Lebensmitteln könnten "alle hungernden Menschen auf der Welt" mit einer Mahlzeit am Tag ernährt werden.

Die Verschwendung von Nahrungsmitteln ist aber auch wegen der Umweltfolgen bei ihrer Erzeugung von globaler Bedeutung. Lebensmittelabfälle verursachen acht bis zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. "Wäre die Verschwendung ein Land, stünde sie nach China und den USA an dritter Stelle." Außerdem seien riesige landwirtschaftliche Flächen nötig, um Kulturen anzubauen, die niemals gegessen würden.

Kein "Luxusproblem" reicher Länder

Die Autoren des Berichts erklären, die Unterschiede bei der Pro-Kopf-Lebensmittelverschwendung zwischen Ländern mit hohem und niedrigem Einkommen seien erstaunlich gering. Für Autor Richard Swannel zeigt das, dass Lebensmittelverschwendung "kein Problem der reichen Welt ist. Es ist ein globales Problem". Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern würden oft Nahrungsmittel weggeschmissen, weil es keine ausreichenden Kühlmöglichkeiten gebe.

Was gegen Lebensmittelverschwendung getan werden kann

Etwas vage ist der Bericht bei der Beschreibung positiver Beispiele. Im Einzelhandel spiele die Umverteilung von Lebensmitteln – einschließlich der Spende von überschüssigen Nahrungsmitteln – eine wichtige Rolle. Zudem nutzten Regierungen, regionale und industrielle Gruppen "öffentlich-private Partnerschaften, um Lebensmittelabfälle und deren Beitrag zu negativen Klima- und Wasserfolgen" zu reduzieren.

Frankreich macht, Deutschland plant

Mit gutem Beispiel voran geht unter anderem Frankreich. Dort ist seit 2020 das sogenannte "Containern" – also die Entnahme von Essen aus Abfallbehältnissen etwa von Supermärkten – nicht mehr strafbar, sondern die Vergeudung von Lebensmitteln. In Bayern hingegen bekam 2022 der Jesuitenpater Jörg Alt in Nürnberg eine Vorladung der Kriminalpolizei: Er hatte aus verschlossenen Abfallcontainern Lebensmittel geholt und verschenkt. Der Vorwurf gegen ihn: besonders schwerer Fall von Diebstahl. Immerhin kündigte Bundesverbraucherminister Cem Özdemir Anfang 2023 an, das "Containern" künftig straffrei zu stellen. Umgesetzt ist das noch nicht.

Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung in Bayern

Besser sieht es hierzulande aus, wenn es um privates Engagement geht. Allen voran die "Tafeln", die zuletzt allerdings mit weniger Spenden mehr Kunden zu versorgen hatten. Daneben gibt es viele, oft sehr kreative, lokale Initiativen. In Bayreuth verkauft die Bäckerei Yesterday erfolgreich das "Beste von Gestern". In Kempten haben Lebensmittelretter aus leicht angematschtem Obst leckere Smoothies bereitet. Der Mixer wird dabei per Fahrrad-Dynamo angetrieben – allerdings noch nicht im Dauerbetrieb.

In größeren bayerischen Städten, wie München oder Augsburg, gibt es zudem schon seit einigen Jahren eine wachsende Foodsharing-Community. Dazu gehört auch die "Community Kitchen" im Münchner Stadtteil Neuperlach als Bayerns erstes Restaurant, das Lebensmittel verarbeitet, die sonst weggeworfen würden. Gründerin Günes Seyfarth ärgert sich, wenn zu kurz bemessene oder ganz unnötige Mindesthaltbarkeitsdaten (MHD) aufgedruckt sind – zum Beispiel auf Salz.

"Salz! Millionen Jahre im Berg, drei Jahre im Handel. Also, das ist einfach irre." Günes Seyfarth

Seyfarths Ziel ist es, dass im Umkreis von 100 Kilometern um München herum Erzeuger, Hersteller und Großmarkthändler künftig die Foodsharing-Community anrufen, bevor sie etwas wegwerfen.

Lebensmittelretter KI?

Ähnliche Beweggründe stecken auch hinter dem Projekt "Zukunftslabor 2030" vom Fraunhofer Institut und Hochschulen in Deggendorf und Bayreuth. Das Ziel: Verschwendung mithilfe von künstlicher Intelligenz bekämpfen. Erste Erfindung: ein "dynamischer Verderbnisanzeiger", der Fleisch erst dann als ungenießbar markiert, wenn es das auch ist.

💡 Der UN-Bericht zur Lebensmittelverschwendung

Der in Nairobi veröffentlichten Bericht des UN-Umweltprogramms Unep und der Nichtregierungsorganisation Waste and Resources Action Programme (Wrap) verfolgt die Fortschritte von Ländern bei der Erreichung des Ziels, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Die Zahl der Länder, die Meldungen zu dem Indexbericht beisteuern, habe sich im Vergleich zum ersten Bericht 2021 fast verdoppelt, so die UN. In jenem Jahr wurde die Verschwendung der 2019 erzeugten Nahrungsmittel auf 17 Prozent oder 931 Millionen Tonnen geschätzt. Direkte Vergleiche sind mangels ausreichender Daten in vielen Ländern aber nicht möglich.

Mit Material von AFP und dpa.

Zum Video: "Zukunftslabor 2030" – Mit KI gegen Verschwendung

Immer noch landen zu viele essbare Lebensmittel im Müll
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Auch qualitativ hochwertige Lebensmittel landen oft in der Tonne

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