Söldner der Wagner-Truppe in Rostow am Don
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Streit zwischen Wagner-Söldnern und russischem Militär eskaliert

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Streit zwischen Wagner-Söldnern und russischem Militär eskaliert

Im Konflikt zwischen der Privatarmee Wagner und dem russischen Militär überschlagen sich die Ereignisse. Kämpfer der Söldnertruppe Wagner sind innerhalb Russlands auf dem Vormarsch. Moskau ermittelt wegen eines "bewaffneten Aufstands".

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen dem russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und der Militärführung ist eskaliert: Kämpfer von Prigoschins Söldnertruppe Wagner haben nach dessen Worten die Grenze von der Ukraine nach Russland überquert.

Söldnertruppe wohl auf dem Weg nach Moskau

Seine Einheiten griffen Einrichtungen des offiziellen Militärs im Süden des Landes an. Zunächst erlangten sie die Kontrolle über Stellungen in Rostow am Don, gegen Mittag wohl auch schon über solche in der Region Woronesch, rund 500 Kilometer weiter nördlich. Die Stadt liegt auf halbem Weg zwischen Rostow und Moskau.

Mittlerweile sind Prigoschins Truppen bis in die russische Region Lipezk rund 400 Kilometer südlich von Moskau vorgedrungen. Wagner-Söldner seien dabei, "sich auf dem Gebiet der Region Lipezk zu bewegen", teilte Regionalgouverneur Igor Artamonow im Online-Dienst Telegram mit. Bereits vorher hatten russische Behörden die dortige Bevölkerung aufgefordert, ihre Häuser und Wohnungen nicht zu verlassen.

Dabei wähnt Prigoschin das Land hinter sich. Die russische Bevölkerung unterstütze ihn, erklärte er in einer Audio-Botschaft. Seine Kämpfer hätten das russische Militär-Hauptquartier in der Stadt Rostow eingenommen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Allerdings seien seine Kämpfer von Hubschraubern und Artillerie beschossen worden.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen in Moskau

Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin hat den Montag in der russischen Hauptstadt aus Sicherheitsgründen zu einem arbeitsfreien Tag erklärt und die Bürger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. "In Moskau ist der Anti-Terror-Notstand ausgerufen worden. Die Lage ist schwierig", räumte Sobjanin am Samstag auf seinem Telegram-Kanal ein. Die Schließung der Betriebe und die Bitte an die Bürger, daheim zu bleiben, diene der "Minimierung der Risiken". Es könne teilweise zu Straßensperrungen kommen. In der Innenstadt von Moskau waren am Samstag gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Soldaten mit Sturmgewehren waren vor dem Hauptgebäude des Verteidigungsministeriums stationiert.

Putin: "Dolchstoß in den Rücken"

Russlands Präsident Wladimir Putin sprach im Fernsehen von einer tödlichen Bedrohung, Verrat und einem "Dolchstoß in den Rücken" mit Blick auf das Vorgehen des Söldnerführers Prigoschin. Wer an der Meuterei teilgenommen habe, werde bestraft, jeder, der die Waffen gegen die Armee erhoben habe, sei ein Verräter. "Wir werden siegen und stärker werden", sagte Putin.

Wagner-Chef Prigoschin widersprach: Er und seine Leute seien Patrioten. Er kündigte an, "Korruption, Lügen und Bürokratie" in Russland zu beenden. Damit forderte der Söldnerchef, der nach eigenen Angaben über etwa 25.000 Kämpfer verfügt, erstmals auch Putin offen heraus. Die russischen Streitkräfte haben etwa 1,5 Millionen Angehörige.

"Wir sind alle bereit zu sterben, alle 25.000", sagte er in einer in der Nacht zum Samstag veröffentlichten Audiobotschaft. "Denn wir sterben für das Vaterland, wir sterben für das russische Volk, das man von denen befreien muss, die die Zivilbevölkerung bombardieren."

Prigoschin: "Dieser Abschaum wird gestoppt werden"

Der 62-Jährige hatte am Freitag zu einer Rebellion aufgerufen. Er warf Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor, direkt für einen Raketenangriff auf Wagner-Feldlager verantwortlich zu sein, bei dem "eine große Zahl unserer Kameraden getötet" worden sei. Prigoschin behauptete, dass Schoigu persönlich zum russischen Militärhauptquartier in Rostow am Don gefahren sei, um den Angriff auf Wagner zu leiten, und dann "feige" geflohen sei. "Dieser Abschaum wird gestoppt werden", sagte er in Bezug auf Schoigu.

Gleichzeitig betonte Prigoschin, dass er nicht zum "Militärputsch" aufgerufen habe und sich auch nicht gegen den Präsidenten Putin stellen wolle. Nach dem "Marsch der Gerechtigkeit" gegen den Verteidigungsminister und den Generalstabschef würden seine Truppen wieder an die Front zurückkehren.

Prigoschin droht Festnahme und mehrjährige Haft

Das Verteidigungsministerium wies die Vorwürfe Prigoschins zurück. Alle Anschuldigungen seien falsch und eine "Provokation", heißt es in einer am Abend verbreiteten Erklärung. Der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow nahm nach Angaben des Kremls Ermittlungen wegen "Versuchs eines bewaffneten Aufstands" auf. Prigoschin drohen zwischen zwölf und 20 Jahren Freiheitsstrafe.

Russlands Verteidigungsministerium rief die Wagner-Söldner zur Beendigung ihres bewaffneten Aufstands auf. Sie seien von ihrem Chef in ein "kriminelles Abenteuer" und die Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand reingezogen worden. "Bitte seien Sie vernünftig und nehmen Sie schnellstmöglich Kontakt mit Vertretern des russischen Verteidigungsministeriums oder den Ordnungsorganen auf. Wir garantieren die Sicherheit aller", hieß es in der Mitteilung.

Tschetschenen-Führer Kadyrow schickt seine Truppen zu Putins Unterstützung

Russische Politiker haben öffentlich Präsident Putin ihre Loyalität versichert. Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, sagte am Samstag, die Abgeordneten unterstützten Putin. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, teilte bei Telegram mit, Russland habe einen Oberbefehlshaber, nicht zwei oder drei. "Einen. Und er forderte alle auf, sich zu vereinen."

Der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, schickt nach eigenen Angaben seine Truppen in die "Spannungsgebiete" in Russland. Tschetschenische Kämpfer des Verteidigungsministeriums und der Nationalgarde seien bereits auf dem Weg, gab Kadyrow, ein enger Verbündeter von Kreml-Chef Waldimir Putin, am Samstag im Online-Dienst Telegram bekannt. Er fügte hinzu: "Der Aufstand muss niedergeschlagen werden und wenn harte Maßnahmen nötig sind, sind wir bereit dazu!" Kadyrow hat in der Vergangenheit Prigoschins Kritik an der russischen Kriegsführung in der Ukraine unterstützt.

Kreml-Angaben zufolge hat auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dem russischen Staatschef Wladimir Putin in einem Telefonat über den bewaffneten Aufstand in Russland seine "volle Unterstützung" zugesichert. Das türkische Präsidialamt bestätigte ein Telefonat. Erdogan habe Putin aufgefordert, mit Vernunft zu handeln, erklärte das türkische Präsidialamt. Er habe Putin mitgeteilt, dass die Türkei bereit sei, ihren Teil zu einer friedlichen Lösung der Situation beizutragen.

Kreml-Kritiker ruft Russen zur Unterstützung von Wagner-Chef auf

Der bekannte russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski rief die Russen derweil auf, Prigoschin in seinem Kampf gegen die Armeeführung zu unterstützen. "Wir müssen jetzt helfen, und dann werden wir diesen (Mann) wenn notwendig ebenfalls bekämpfen", schrieb der Kreml-Kritiker in der Nacht zum Samstag in Onlinemedien. "Selbst der Teufel" verdiene Unterstützung, wenn er gegen "dieses Regime" kämpfe. "Und Ja - dies ist erst der Anfang", schrieb der im Exil lebende Chodorkowski.

Der Söldnerchef Prigoschin galt als Vertrauter von Putin. Er wirft der russischen Militärführung seit Monaten Versagen im Ukraine-Krieg vor und hat mittlerweile zum Sturz von Verteidigungsminister Schoigu aufgerufen.

Genugtuung und Spott in der Ukraine

In der Ukraine waren die Berichte über den internen Machtkampf mit Genugtuung und Spott aufgenommen worden. Die ukrainische Armee schrieb auf Twitter: "Wir schauen zu." Die rivalisierenden russischen Truppen seien dabei, "sich im Kampf um Macht und Geld gegenseitig zu zerfleischen", kommentierte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow.

Krisenstab der Bundesregierung tagt - G7-Außenminister beraten

Wegen der aktuellen Entwicklungen ist der Krisenstab der Bundesregierung zusammengetreten. "Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklungen in Russland aufmerksam", erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Dazu tage zur Stunde unter Leitung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts, Andreas Michaelis, der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt. "Außenministerin Baerbock hat sich gerade mit den Außenministerinnen und Außenministern der G7 über die Lage beraten", erklärt der Sprecher weiter. Zu den G7 gehören neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien.

Die Reise- und Sicherheitshinweise für deutsche Staatsangehörige in Russland hatte das Auswärtige Amt bereits am Vormittag angepasst. In den Hinweisen heißt es nun, die betroffenen Gebiete und insbesondere die Stadt Rostow sowie deren Umland sollten gemieden werden. "In Moskau sollten staatliche, insbesondere militärische Einrichtungen weiträumig umgangen werden. Das Stadtzentrum sollte bis auf Weiteres gemieden werden. Den Anweisungen russischer Sicherheitsbehörden sollte unbedingt Folge geleistet werden."

Generell rät das Ministerium Bundesbürgern von Reisen nach Russland ab. Für deutsche Staatsangehörige und Menschen, die sowohl einen deutschen als auch einen russischen Pass besitzen, bestehe die Gefahr, willkürlich festgenommen zu werden.

Im Video: Kämpfer der Söldnertruppe Wagner sind innerhalb Russlands auf dem Vormarsch

Wagner-Söldner in Rostow am Don
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Streit zwischen Wagner-Söldnern und russischem Militär eskaliert

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

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