Forscher haben eine embryoähnliche Struktur aus einer menschlichen Stammzelle erzeugt. Wie ist das Ganze ethisch zu bewerten?
Bildrechte: picture alliance / Westend61 | Andrew Brookes

Forscher haben eine embryoähnliche Struktur aus einer menschlichen Stammzelle erzeugt. Wie ist das Ganze ethisch zu bewerten?

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Künstliche Embryonen: Forschungserfolg mit Ethikproblem?

Forscher haben eine embryoähnliche Struktur aus einer menschlichen Stammzelle erzeugt. Die frühe Embryonalentwicklung könnte so besser erforscht werden. Doch wie ist das Ganze ethisch zu bewerten? Ein Interview mit Alena Buyx vom Deutschen Ethikrat.

Über dieses Thema berichtet: Interview der Woche am .

Vorträge eines Forscherteams über embryonähnliche Strukturen aus menschlichen Zellen sorgen in der Wissenschaftsgemeinde momentan für Aufsehen. Die sogenannten synthetischen Embryos, die eine Gruppe um Magdalena Żernicka-Goetz aus jeweils einer einzelnen Stammzelle erzeugt haben will, sollen echten menschlichen Embryonen sehr ähnlich sein. BR24 hat darüber mit Prof. Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, gesprochen.

BR24: Erstmal zur Klärung - was genau ist denn da tatsächlich entstanden, wenn wir über synthetische Embryos reden?

Prof. Buyx: Das Allerwichtigste, was man jetzt erst einmal sagen muss, ist, dass diese Ergebnisse noch nicht das durchlaufen sind, was man in der Wissenschaft das "Peer-Review"-Verfahren nennt. Es gibt also noch keine unabhängige Prüfung. Deswegen muss man da immer ein bisschen vorsichtig sein.

Die meisten Expertinnen und Experten unterstreichen, dass das gerade keine Embryonen sind, sondern das sind embryoähnliche Strukturen menschlichen Ursprungs. Das klingt jetzt irrsinnig kompliziert, und es ist es auch. Das sind Strukturen, die sich schon ein Stück weit wie menschliche Embryonen entwickeln, bis so um den vierzehnten Tag herum. Aber die sind entstanden aus humanen embryonalen Stammzellen und nicht über eine Verschmelzung einer Eizelle und einer Samenzelle. Sie haben beispielsweise keine Anlagen für zentrale Organe wie Hirn oder Herz. Und das bedeutet, dass sie zumindest in zweierlei Hinsicht, nämlich einmal morphologisch, also davon, welche Strukturen sie haben, nicht so aussehen wie menschliche Embryonen im eigentlichen Sinne und dass sie von ihrer Entstehung her natürlich auch ganz anders geschaffen wurden. Und deswegen sprechen die meisten entweder von Embryonenmodellen oder eben von embryoähnlichen Strukturen.

BR24: Das heißt, aus diesen embryoähnlichen Strukturen könnte sich kein Mensch entwickeln?

Prof. Buyx: Ich bin natürlich keine Embryologin, aber nach jetzigem Stand und das, was diejenigen, die wirklich auch ganz an der Front an diesen Dingen forschen, sagen: Nein.

BR24: Und die Unterscheidung zwischen Embryo oder embryoähnlichem Modell ist deshalb wichtig, weil sich danach auch die rechtliche Lage damit entscheidet. Denn in Deutschland dürfen Embryonen nicht hergestellt werden. Das heißt, der "Vorteil" dieser embryoähnlichen Zellstrukturen wäre, dass an ihnen geforscht werden dürfte?

Prof. Buyx: Auf der einen Seite gibt es eine rechtliche Dimension. Die Forscherinnen und Forscher sagen, dass das eine Art Umgehungsstrategie ist, um an Strukturen zu arbeiten, die eben nicht unter die in vielen Ländern geltenden, sehr strengen rechtlichen Regelungen fallen, was den Umgang mit frühen menschlichen Embryonen anbelangt. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch aus ethischer Sicht sehr erheblich. Denn die Forschung an frühen Embryonen wird ethisch sehr kontrovers diskutiert - selbst etwa in Großbritannien. Dort ist diese Forschung an frühen menschlichen Embryonen rechtlich zulässig, gleichwohl aber immer noch umstritten.

Zudem zeichnet sich nun bereits ab, dass es ein Interesse daran gibt, zu schauen, wie sich diese Strukturen weiterentwickeln. Und das ist aus ethischer Perspektive ganz relevant. Deswegen müssen wir jetzt schnell über diese Art von Forschung diskutieren. Denn je näher diese Strukturen dann doch in Richtung entwicklungsfähiger Embryonen rücken, desto wichtiger wird sein, zu sagen, wo verläuft da gegebenenfalls eine Grenze? Und das ist die zweite Frage. Die wird auch schon eine ganze Weile heftig diskutiert. Sollte die Position zum Umgang mit der sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung überdacht werden? Das fordern durchaus einige, auch schon länger. Sie sagen, da hat sich so viel verändert. Sollte man da vielleicht noch mal auf diese ethische Debatte einen Blick werfen?

BR24: Bevor wir das gleich auch noch tun, noch mal einen Schritt zurück: Es gibt Länder, wie Großbritannien, die sind da sehr viel liberaler. In Deutschland würde man sich für eine Definition "embryoähnliches Modell" entscheiden. Bisher ist das laut Juristen gar nicht geregelt. Eigentlich deckt das Embryonenschutzgesetz das nicht wirklich ab. Also auch da müsste man rangehen?

Prof. Buyx: Wenn man das wollte. Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Embryonenschutzgesetz beschäftigen, unterstreichen, dass das tatsächlich nicht anwendbar ist. Das sind nach der Definition im Embryonenschutzgesetz keine menschlichen Embryonen und entsprechend kann an ihnen geforscht werden. Das heißt, wenn man diese Art von Strukturen regulieren wollte, müsste man neu überlegen. Sollte man und muss man das? Und: Wenn man an das Embryonenschutzgesetz rangeht, dann werden sehr viele Stimmen laut werden, die sagen, auch dort müsste man die ethische Argumentation noch mal neu anschauen. Es ist eines der restriktivsten Gesetze, die es gibt. Andere Länder haben hingegen weniger restriktive Regelungen. Das heißt, es gibt eine ganz intensive Diskussion. Beispielsweise hat sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und auch eine Gruppe verschiedener wissenschaftlicher Akademien bereits dazu geäußert und einen Vorstoß gemacht, etwas liberaler zu werden, was den Schutz der frühen Embryonen anbelangt. Also das eine würde wahrscheinlich Hand in Hand mit dem anderen gehen.

BR24: Dann lassen Sie uns doch über die ethischen Aspekte etwas ausführlicher sprechen. Ein Pionier der Stammzellforschung, Hans Schüler, hat sehr gelassen reagiert, und gesagt: "Ich bin der festen Überzeugung, bevor nicht eine Maus auf diese Weise auf die Welt kommt, müssen wir keine Angst vor dem Menschen aus dem Labor haben." Wie entspannt sehen Sie das? Was antworten Sie darauf?

Prof. Buyx: Das sehe ich, ehrlich gesagt, genauso. Allerdings muss man sich klarmachen, dass der Weg dahin bei der Maus ein bisschen entspannter ist, als bei der Arbeit mit Strukturen menschlichen Ursprungs. Es ist völlig richtig, dass da noch weite Wege zu gehen sind und sich jetzt niemand ängstigen muss, sozusagen vor dem Menschen in der Petrischale. Aber was die prinzipielle technologische Möglichkeit anbelangt, ist man hier auf einem Weg, den man schon mit einer umfassenden ethischen Debatten begleiten sollte. Und zwar, das würde ich den Forscherinnen und Forschern raten, ganz im eigenen Interesse. Denn das sind Forschungen, die bei vielen Menschen auf moralische Bauchgefühle stoßen, und das sollte man abholen. Und die Forscherinnen und Forscher können erklären, warum sie das machen. Und ich finde das wirklich wichtig, zu betonen, dass das tatsächlich - jedenfalls jetzt - ein Verfahren ist, das weitaus weniger ethisch problematisch ist, als wenn man an tatsächlichen Embryonen forschen würde. Also das ist ja eine Umgehungsstrategie. Aber wenn man näher in Richtung menschliche Embryonen heranrückt, dann ist es sehr gerechtfertigt, dass aus der Öffentlichkeit, aus der Gesellschaft die Frage kommt: Sollten wir das tun? Und es wird eher darum gehen, ob man sich am Ende wieder darauf einigt, dass der frühe Embryo, egal ob dieser jetzt aus Stammzellen geschaffen wird oder aus einer befruchteten Eizelle entsteht, schutzwürdig ist und einen hohen moralischen Status hat. Dann darf man daran nicht forschen. Oder aber man sagt, hier haben sich vielleicht auch ein Stück weit die moralischen Überzeugungen auch in der Gesellschaft verändert und man geht von einem sogenannten stufenweisen moralischen Status aus, der zunimmt, je weiter sich der menschliche Embryo entwickelt.

BR24: Das moralische Bauchgefühl könnte bei diesem Thema brüllen und sagen: "Wir können jetzt Menschen klonen und brauchen dazu noch nicht mal Spermium und Eizelle, sondern eine Stammzelle reicht." Aber so weit ist es eben nicht ...

Prof. Buyx: Na, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das auch noch sagen, denn wir haben ja bisher über die Forschung gesprochen. Medizinerinnen und Mediziner wollen aus diesen Strukturen, und das ist ja das, was auch bei der frühen Embryonalforschung gemacht wird, Zellen entnehmen, mit denen man Krankheiten heilen oder behandeln kann. Das sind also ganz klar medizinische Forschungsziele. Mit dem gleichen medizintechnologischen Ansatz kann man aber im Prinzip tatsächlich auch das sogenannte reproduktive Klonen vollziehen. Das ist etwas, das im Prinzip weltweit geächtet wird. Da gibt es einen seltenen medizinethischen Konsens, den ich auch sehr begrüße. Und ich sehe tatsächlich auch niemanden, der in dieser Diskussion dafür plädieren würde, diesen Konsens nochmal neu anzugehen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!