Ein großes Wahlplakat im hohen trockenen Gras neben einer Straße. (Symbolbild)
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Im ARD-DeutschlandTrend erreicht die AfD erneut einen Rekordwert: 21 Prozent.

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"Protestwähler-These war nie richtig": Wer wählt die AfD?

Im ARD-DeutschlandTrend erreicht die AfD erneut Rekordwerte. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden 21 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen. Wer gibt der Partei seine Stimme? Ein demografischer Überblick.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Mit der Wahl Robert Sesselmanns zum Landrat im Kreis Sonneberg in Thüringen stellt die AfD das erste Mal den ranghöchsten Beamten eines Landkreises in Deutschland. Seine Partei verbuchte das als großen Erfolg. Thüringens Landesverbandschef Björn Höcke hat bereits in der Vergangenheit versucht, seine in Teilen rechtsextreme Partei zur "neuen Volkspartei des Ostens" zu erklären. Zu Recht? Fest steht zumindest, dass die AfD sich in den östlichen Bundesländern mit ihren Wahlergebnissen in einer anderen Größenordnung bewegt als im Westen.

Die AfD ist im Osten deutlich stärker

In jedem der fünf Bundesländer wurde sie bei den letzten Landtagswahlen zweitstärkste Kraft, in Umfragen ist sie aktuell oft die stärkste. Der Politologe und selbstständige Politikberater Johannes Hillje (er arbeitete unter anderem für das Bundeswirtschaftsministerium, das Auswärtige Amt, VW und 2014 als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen) ordnet das so ein:

"Es gibt ein weitverbreitetes Gefühl der politischen Verlassenheit, das Gefühl, dass Politik sich nicht um die lebensweltlichen Belange der Menschen kümmert, zum Beispiel um Infrastruktur oder den öffentlichen Verkehr. Das schürt eine Unzufriedenheit mit den politischen Eliten, die im Osten ohnehin skeptischer beäugt werden." Johannes Hillje, Politologe und Politikberater

Ein zweiter wichtiger Punkt ist laut Hillje, dass gerade in Ostdeutschland rechtsextreme Parteien bereits seit langem versuchen, genau diese durch die Wende entstandenen Leerstellen in sozialer und öffentlicher Infrastruktur zu besetzen. So hat die rechtsextreme NPD früher bewusst stark auf Jugendarbeit gesetzt. Auch das erkläre die Stimmenstärke der AfD in den neuen Bundesländern.

Die Angst des sozialen Abstiegs trifft auf viele Wähler zu

Laut dem Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer, der seit 40 Jahren zu Rechtsextremismus, Gewalt und Konflikten forscht, haben die Menschen besonders in Ostdeutschland den Eindruck, mit ihren Anliegen nicht wahrgenommen zu werden:

"Da gibt es offensichtlich eine ziemlich große Lücke an Repräsentation, auch durch die demokratischen Parteien." Wilhelm Heitmeyer, Soziologe und Rechtsextremismusforscher

Häufig, so erläutert Johannes Hillje, werde bei Wählerinnen und Wählern der AfD von Menschen mit materiellen und kulturellen Verlustängsten gesprochen, die sich besonders im Zuge von Modernisierungsprozessen wie der Globalisierung verstärkt haben. Dabei reicht bereits das Gefühl eines sozialen Abstiegs: "Diese Menschen haben in ihrem unmittelbaren Umfeld erlebt, wie die Arbeitslosigkeit und der Niedriglohnsektor zunimmt oder junge Menschen massenweise wegziehen. Das erlebt man vermehrt in ländlichen Gebieten in Ostdeutschland", sagt Hillje.

Dort zieht es besonders die jungen und gut ausgebildeten Menschen – häufig Frauen – weg. In den ländlichen Regionen bleiben dann neben vielen alten Menschen besonders junge Männer mit niedrigem Bildungsniveau übrig. Diese seien, aufgrund des Gefühls, abgehängt worden zu sein, leichter empfänglich für populistische und autoritäre Botschaften. Pauschal könne man Stadt-Land-Unterschiede in Deutschland jedoch nicht beobachten.

So gibt es beispielsweise in Niedersachsen oder auch in Baden-Württemberg sehr ländlich geprägte Gegenden mit starker Landwirtschaft, wo die CDU außerordentlich stark ist und die AfD kaum Wähler erreicht.

Männer wählen öfter die Partei als Frauen

61 Prozent derjenigen, die bei der Bundestagswahl 2021 die AfD gewählt haben, waren männlich. Bei der Landtagswahl 2022 in Niedersachsen haben fast doppelt so viele Männer wie Frauen für die Alternative für Deutschland gestimmt.

Der Politologe Hillje sieht außerdem die Geschlechterverteilung in der Partei selbst als Indikator. So ist die AfD in ihrer Sozialstruktur viel stärker männlich geprägt und auch auf der Liste für die Europawahl ist die erste Frau auf Platz vier - nur zwei sind überhaupt unter den ersten zehn (3 aus 15). Auch sieht Hillje die Kritik der AfD an der Gleichstellung von Mann und Frau als Grund für die männlich dominierte Wählerschaft:

"Die AfD hat in vielen Bereichen ein klassisches, auch patriarchales Gesellschaftsbild - und dazu gehört ein Familienbild, in dem der Mann der Ernährer ist und die Frau zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert. Es gibt eher regressive Vorstellungen von Familie und Gesellschaft. Und das ist wiederum ein Zurück zu einem Zustand, in dem der Mann in einer privilegierten und dominanten Stellung war. Und dass dieses Bild eher Männer anspricht, glaube ich, liegt nahe." Johannes Hillje, Politologe und Politikberater

Warum "Protestwähler" zu kurzgefasst ist

Lange Zeit sind gute zweistellige Wahlergebnisse der AfD damit erklärt worden, die allermeisten Wählerinnen und Wähler würden lediglich aus Protest, aus einer Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, der AfD ihre Stimme geben. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, warnt im Redaktionsnetzwerk Deutschland davor, die Wahl der AfD noch als Protest zu begreifen. Politikberater Johannes Hillje geht im BR24-Interview sogar so weit und sagt, dass das nie gestimmt habe:

"Ich glaube, die Protestwähler-These ist eine bequeme Erzählung der demokratischen Kräfte, um sich einzureden, es sei nicht der Rechtspopulismus oder gar Rechtsextremismus, der die Wähler anspreche und sie seien allesamt rückholbar für die anderen Parteien." Johannes Hillje, Politologe und Politikberater

Dieser Einschätzung schließt sich der Soziologe Wilhelm Heitmeyer an und auch Daten des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap bestätigen Hilljes These. Laut den Wahlforschern geben knapp drei Viertel der Wählenden an, ihre persönlichen Grundüberzeugungen seien sehr nah an denen der Partei. Knapp jeder Dritte, der der AfD seine Stimme gibt, hat laut Infratest dimap ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.

Über Jahre habe sich laut Hillje die Partei eine feste Wählerbasis aufgebaut, die von den anderen Parteien kaum mehr zurückzuholen sei. So seien weit mehr als die Hälfte derer, die aktuell die AfD wählen würden, mittlerweile Stammklientel und in ihrer Wahlentscheidung treu.

Wilhelm Heitmeyer sieht die AfD als neuen Typus eines politischen Angebots, was deren Politik an viele soziale Milieus anschlussfähig macht. Und auch deshalb schreckt die Einordnung der AfD als rechtsextreme Partei potentielle Wähler nicht mehr ab:

"Die Hoffnung in der Öffentlichkeit oder auch in den demokratischen Parteien, die Einordnung der AfD als rechtsextrem würde abschreckend wirken, zieht offensichtlich für eine erhebliche Gruppe in der Bevölkerung nicht mehr. Und das ist eigentlich das besonders Bedrohliche. Denn dadurch kommt es verstärkt zu einer Normalisierung der AfD. Und alles, was als normal gilt, kann man nicht mehr problematisieren." Wilhelm Heitmeyer, Soziologe und Rechtsextremismusforscher

Für Johannes Hillje ist der ideologische Klebstoff, der einen Großteil der Wählerschaft zusammenhält, "tatsächlich der Rechtspopulismus". Der Politologe spricht von einer "Anti-Establishment Einstellung" und weist auf die Rolle von Migrationspolitik und Rassismus hin:

"Die Vorstellung, dass es ein möglichst ethnisch homogenes Volk geben sollte und man ein Stück weit eine völkische Vision anstrebt, ist ein Kennzeichen von Rechtspopulismus." Johannes Hillje, Politologe und Politikberater

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass AfD-Wähler vor allem männlich sind und ein mittleres Alter haben. Mehr Menschen im Osten und auf dem Land wählen die Partei. Die Wähler sind häufig voll erwerbstätig, aus einfachen bis gehobenen Berufen der Arbeiterschicht und haben ein geringes Einkommen.

Nach Einschätzung des Rechtsextremismusexperten Prof. Wilhelm Heitmeyer handele es sich um eine stabile Wählerschaft, zu der etwa auch Handwerker und Industriearbeiter gehörten. Es seien nicht nur die Arbeitslosen, wie das häufig etikettiert werde. Selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern gäbe es Sympathisanten.

Transparenzhinweis: Wir haben dem Artikel noch eine weitere wissenschaftliche Expertise hinzugefügt: Die von Prof. Wilhelm Heitmeyer. Er ist Soziologe und Gewaltforscher an der Universität Bielefeld und gilt seit vielen Jahren als einer der renommiertesten Rechtsextremismusforscher Deutschlands. Seine Aussagen stammen aus dem Dossier Politik mit dem Titel "Gewählt weil radikal - wie wir auf den Erfolg der AfD reagieren sollten", das als Podcast in der ARD-Audiothek zu finden ist.

Im Video: Was wäre, wenn am Sonntag Wahlen wären?

Regierungsviertel in Berlin
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Was wäre, wenn am Sonntag Wahlen wären? Diese Frage stellt der ARD-DeutschlandTrend repräsentativ ausgewählten Bürgern.

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