Ein BND-Mann muss sich aktuell in Berlin vor Gericht verantworten. Er soll geheime Informationen weitergegeben haben.
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Ein BND-Mann muss sich aktuell in Berlin vor Gericht verantworten. Er soll geheime Informationen weitergegeben haben.

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Im Dienste Russlands: Deutschland im Fadenkreuz der Spione

Russland scheint seine Spionageaktivitäten in Deutschland auszuweiten. Aktuelle Fälle sind für Experten Anlass zur Sorge. Angeworben wurden etwa auch Bundeswehr-Soldaten sowie BND-Mitarbeiter.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Wer sich von München aus mit russischer Spionage in Deutschland befasst, der muss nicht weit reisen, um über einen der prominentesten Fälle zu berichten: Eine Fahrt nach Weilheim reicht aus. Dort empfängt Dieter Pausch in der Geschäftsstelle des TSV Weilheim. Pausch ist hier Vorstand und in dieser Funktion einem Mann begegnet, der Russland Geheimdokumente geliefert haben soll: Carsten L., Soldat und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Großer Spionageprozess

Carsten L. habe er auf Sitzungen kennengelernt, schildert Pausch. L. habe einen "fordernden Ton" gehabt, was ihn nicht gewundert habe: L. sei ja "offiziell" Offizier der Bundeswehr gewesen und nebenbei eben ehrenamtlich als Jugendleiter der TSV-Fußballabteilung tätig. "Wenn er gefehlt hat, dann war er im Auslandseinsatz. Und damals war die Bundeswehr ja in Mali und Afghanistan", erinnert sich Pausch. Alles habe plausibel gewirkt.

Was genau Carsten L. wirklich getrieben hat, versucht gerade das Berliner Kammergericht herauszufinden – also das oberste Gericht des Bundeslandes. L. muss sich dort gemeinsam mit einem mutmaßlichen Komplizen in einem Spionageprozess verantworten, der seinesgleichen sucht in der deutschen Geschichte.

Vorwurf: Landesverrat

Den beiden Angeklagten wird Landesverrat in zwei besonders schwer zu wertenden Fällen vorgeworfen. L. soll aus den internen Datenverarbeitungssystemen des BND geheimhaltungsbedürftige Informationen abgefischt und dann an den anderen Angeklagten übergeben haben. Der Geschäftsmann Arthur E. wiederum soll das Material an Kontakte in Russland weitergeleitet haben. Schließlich sollen die geheimhaltungsbedürftigen BND-Informationen an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB gelangt sein.

Für seine Dienste soll Carsten L. 450.000 Euro erhalten haben, bei Arthur E. waren es offenbar 400.000 Euro. Die Anwälte der Angeklagten haben sich auf BR-Anfrage nicht zum Verfahren geäußert.

Reserveoffizier verurteilt

Dabei ist Carsten L. nicht der einzige aktive oder inaktive Bundeswehr-Soldat, dem aktuell Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten vorgeworfen werden.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte im Jahr 2022 einen Reserveoffizier unter anderem wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann spätestens seit Oktober 2014 Kontakt zu mehreren ranghohen Mitarbeitern der russischen Botschaft in Berlin hatte, die zugleich dem russischen militärischen Nachrichtendienst GRU angehörten. Ihnen übermittelte er eine Vielzahl von Dokumenten und Informationen.

Anwerbeversuch bei Abgeordnetem?

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter wurde vor geraumer Zeit von einem Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin angesprochen. Er erhielt Einladungen, kam diesen aber nicht nach, wie er im BR-Interview erzählt. Gut möglich, dass es sich dabei ebenfalls um einen Anwerbeversuch handelte. Die Kontaktperson war identisch. Kiesewetter ist Oberst a.D. der Bundeswehr und war Vorsitzender des Reservistenverbandes.

Spionageaktivitäten verstärkt

Für Experten deuten die inzwischen publik gewordenen Fälle darauf hin, dass Russland seine Spionageaktivitäten bereits infolge der Krim-Annexion 2014 verstärkt hat. Die Bundeswehr ist in den Augen des Russlandexperten Gustav Gressel ein "beliebtes Zielobjekt".

Russland habe als "militärischer Feind der NATO ein Interesse daran, Leute in einer der wichtigsten Armeen in Europa anzuwerben", sagt Gressel. Er arbeitet für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

Reicht die Sicherheitsüberprüfung aus?

Auch der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom sieht sich durch die Fälle in seinen Befürchtungen bestätigt. Die sogenannten Sicherheitsüberprüfungen seien bei deutschen Streitkräften und Geheimdiensten keinesfalls effektiv genug, mahnt er.

Hierbei wird etwa überprüft, ob eine Person vorbestraft ist oder Erkenntnisse über eine extremistische Einstellung vorliegen. Bei der Bundeswehr ist der Militärische Abschirmdienst (MAD) zuständig. Geht es nach Schmidt-Eenboom, wird bisher vor allem das Umfeld der Personen unzureichend durchleuchtet.

MAD reagiert – zuletzt 57.000 Überprüfungen im Jahr

Der MAD hingegen erklärt auf Anfrage, dass die Überprüfungen 2022 verschärft wurden. Zudem heißt es, dass im vergangenen Jahr rund 57.000 Überprüfungen abgeschlossen wurden. Man habe in mehr als 300 Fällen ein Sicherheitsrisiko festgestellt. "In weiteren knapp 2.000 Fällen erteilten die Geheimschutzbeauftragten Auflagen, Einschränkungen oder personenbezogene Sicherheitshinweise."

Ob hierbei Bezüge nach Russland festgestellt wurden, das lässt die Behörde offen und verweist auf Datenschutz- sowie Sicherheitsbedenken. Weiter teilt der MAD mit, dass sich zum 31. Dezember 2023 rund 68.000 Sicherheitsüberprüfungen in der Bearbeitung befanden. Laut MAD sind diese Zahlen nicht außergewöhnlich, weil Beschäftigte bei der Bundeswehr mit besonders empfindlicher Tätigkeit alle fünf Jahre überprüft werden müssen. Aber durch die Verschärfung Ende 2022 seien die Überprüfungen aufwendiger.

Zudem hat der MAD nach BR-Informationen mit einer bundeswehrinternen Publikation reagiert. Mit dieser sollen Soldatinnen und Soldaten für das Thema Spionage sensibilisiert werden.

Russland-Nähe bereitet Sorgen

Ob eine Überprüfung allerdings ausreicht, um Spionage zu entdecken, bezweifeln Experten. Schließlich war auch der BND-Mitarbeiter und ehemalige Soldat Carsten L. laut Bundesanwaltschaft sicherheitsüberprüft. Anlass zur Sorge gibt ihnen die Russland-Nähe gewisser politischer Kreise. Verbreitet sei sie etwa bei Anhängern der AfD, sagt Schmidt-Eenboom.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Sendung „Funkstreifzug“ am heutigen Mittwoch um 12:17 Uhr im BR24-Radioprogramm. Den Funkstreifzug-Podcast mit Recherchen und Analysen finden Sie einmal wöchentlich in der ARD Audiothek. Die aktuelle Folge können Sie hier hören.

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