EU-Flaggen wehen vor dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel, dem Sitz der EU Kommission.
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EU-Flaggen wehen vor dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel, dem Sitz der EU Kommission.

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#faktenfuchs: Die fünf größten EU-Mythen

Zu teuer, personell aufgeblasen, regulierungswütig - an der EU gibt es viel herumzumäkeln, vor allem, wenn man ein Gegner derselben ist. Über "die da in Brüssel" kursiert auch reichlich Halb- und Unwissen. Die fünf größten EU-Mythen im #faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen.

Zurzeit, kurz vor der Europawahl, werden wieder viele Mythen über die EU verbreitet. Was ist an ihnen dran? Ein Fall für den #faktenfuchs.

Mythos Nr. 1: "Die EU – ein (zu) teurer Spaß"

Zugegeben: Die EU verfügt über einen eindrucksvollen Verwaltungsapparat. Rund 32.000 Menschen arbeiten aktuell in der Brüsseler Kommission, dem Herzstück des supranationalen Staatenverbunds. Allerdings werden in der Behörde auch wichtige und nützliche Entscheidungen getroffen. So wacht die sogenannte "Hüterin der Verträge" darüber, dass auch alle die gemeinsam festgelegten Regeln einhalten.

Außerdem geht es um viel Geld, das in die Mitgliedsländer zurückfließt, rund 94 Prozent des gesamten EU-Haushalts. Zum Beispiel in Form von Strukturhilfen für schwächere Wirtschaftsregionen oder als Direktzahlung an Europas Bauern. Ein Mindestmaß an Bürokratie ist da schon nötig. Zumal alle wichtigen Texte und Dokumente in die 24 Amts- und Arbeitssprachen der EU übersetzt werden müssen.

Im Verhältnis zu den gut 500 Millionen Menschen, die in der EU leben, ist die Zahl der Kommissionsbeamten erstaunlich klein. Sie entspricht zum Beispiel ziemlich genau dem Personalbestand der bayerischen Landeshauptstadt. In allen europäischen Institutionen zusammen (also einschließlich Rat, Parlament und EuGH) sind rund 55.000 Mitarbeiter beschäftigt. Damit kommt auf 10.000 Einwohner ungefähr ein EU-Funktionär. In München liegt das Verhältnis bei 1:40.

Auch die Kosten erscheinen in Relation zur Leistung vertretbar: Etwa 8 Milliarden Euro pro Jahr müssen Bürgerinnen und Bürger in der EU für die europäische Bürokratie berappen. 28 Mitgliedsstaaten geben für ihre jeweils nationalen Verwaltungen zusammen fast 300 mal so viel aus. Pro Kopf beläuft sich die Summe auf rund 16 Euro jährlich, das sind knapp vier Cent pro Tag.

Mythos Nr. 2: "Deutschland – Melkkuh Europas"

Es stimmt: In absoluten Zahlen ist Deutschland der mit Abstand größte Nettozahler in der Europäischen Union. Laut Statistik überweist die Bundesrepublik regelmäßig deutlich mehr Geld nach Brüssel, als sie an Leistungen von dort zurückbekommt. In den vergangenen Jahren waren das meist zwischen 10 und 15 Milliarden Euro. Der Anteil des EU-Beitrags am Bundeshaushalt beträgt freilich nur etwa ein Prozent. Pro Kopf und Tag kostet das vereinte Europa jeden von uns etwa so viel wie eine Tasse Kaffee.

Insgesamt zahlen gegenwärtig elf der noch 28 EU-Staaten mehr Geld ein, als sie empfangen. Zweitgrößter EU-Financier waren lange die Briten, deren Netto-Beitrag von ca. 5 Milliarden Euro durch den Brexit wegfallen würde. Wahrscheinlich ist, dass der Fehlbetrag auf die verbleibenden 27 Mitglieder umgelegt wird, wodurch die deutsche Kosten-Rechnung nochmal steigen könnte.

Umgerechnet auf die Bevölkerung zahlen andere EU-Länder ähnlich viel oder sogar mehr als wir. So kommen beispielsweise die Schweden auf einen Pro-Kopf-Anteil von netto rund 139 Euro. Jeder Bundesbürger zahlte 2017 statistisch gesehen 10 Euro weniger.

Wer aber nur auf die EU-Finanzen schaut, der übersieht das Wesentliche: Deutschland ist nämlich auch das Mitgliedsland, das am meisten vom europäischen Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung Euro profitiert. So gehen etwa zwei Drittel unserer Exporte in andere EU-Länder. Und seit der Osterweiterung haben die Ausfuhren fast jedes Jahr um rund neun Prozent zugelegt. Inge Grässle, die Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europa-Parlament, nennt die EU darum auch ein "Riesengeschäft". 

Mythos Nr. 3: "EU heißt Regulierungswut"

"Groß in großen Dingen und klein in kleinen." Dieses Motto hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Amtszeit, 2014, ausgegeben. Der Luxemburger griff damals den Vorwurf vieler Kritiker auf, "die da in Brüssel" würden sich mit absurden Vorschriften über die Größe von Duschköpfen oder die Durchlaufmenge von Klospülungen in jeden Winkel unseres Alltags einmischen. Das Gegenmittel gegen Regulierungswut lautet Subsidiarität. Schon seit geraumer Zeit sind die EU-Beamten angewiesen, sämtliche Maßnahmen einem Bürokratie-Check zu unterziehen und auf erkennbar Überflüssiges zu verzichten.

Juncker-Stellvertreter Frans Timmermans, erster Vizepräsident der Kommission, bekam sogar ein eigenes Ressort mit der Bezeichnung "Better Regulation" zugeteilt. Im Rahmen des sogenannten REFIT-Programms (= Regulatory Fitness and Performance) werden bestehende EU-Gesetze regelmäßig überprüft, vereinfacht und im Zweifelsfall wieder abgeschafft. Seit 2014 hat die Juncker-Kommission auf diese Weise rund 100 Gesetzesvorschläge zurückgezogen. Alles in allem wurden 80 Prozent weniger Initiativen eingebracht als in der Legislaturperiode davor.

Als ehrenamtlicher "Bürokratiejäger" war übrigens acht Jahre lang der frühere bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber in Brüssel tätig. Er ist stolz darauf, die rund 23 Millionen Betriebe in der EU in dieser Zeit um ein Viertel der bürokratischen Vorschriften entlastet und über 30 Milliarden Euro eingespart zu haben.

Gleichwohl ist die Regulierung des europäischen Binnenmarktes, mit seinen mehr als 500 Millionen Konsumenten und rund 20 Billionen Euro Wirtschaftsleistung, eine der wichtigsten und zugleich kompliziertesten Aufgaben der EU. Eine Aufgabe, die ihr von den Mitgliedsstaaten ausdrücklich übertragen wurde. Ziel ist es, für alle "Marktteilnehmer" – also Verbraucher, Unternehmen und staatliche Stellen – möglichst einheitliche Bedingungen zu schaffen – der Fachbegriff lautet: Level Playing Field. Ohne Regeln kein fairer Wettbewerb und keine sicheren Produkte.

Mythos Nr. 4: "Typisch Brüssel: Glühbirnenverbot und Gurkennorm"

"Brüssel" – das steht seit jeher synonym für absurde und realitätsferne Vorschriften, die keiner braucht und die den Bürgern nur das Leben schwer machen. Jeder schimpft gern auf die eigenmächtigen "Eurokraten" in der fernen EU-Hauptstadt und ihren angeblichen Regulierungswahn. Als vermeintliche Beweise fallen immer wieder die Begriffe Glühbirnenverbot, Gurkenkrümmung oder Ölkännchen-Verordnung.

Zugegeben: Das alles sind unterhaltsame Beispiele, um die EU und ihre Vertreter als bürokratisch, weltfremd und überflüssig hinzustellen. Insofern haben sie beträchtlichen Anteil am schlechten Image der EU und werden von ihren Gegnern fleißig strapaziert. Das Problem: Es sind falsche Beispiele, und sie gehören eigentlich ins Reich der Klischees und Vorurteile. Leider halten sie sich seit Jahren hartnäckig – in der Boulevardpresse, an den Stammtischen und neuerdings auch in den Sozialen Medien.

Zugleich lässt sich an ihnen gut zeigen, wie "Brüssel" zum Sündenbock für Regelungen gemacht wird, die im Interesse einzelner Lobbygruppen oder nationaler Regierungen sind. Beispiel Glühbirne: ihr Verbot ist nicht, wie gern behauptet wird, auf EU-Mist gewachsen, sondern auf dem Schreibtisch des damaligen Bundesumweltministers Gabriel. Der ließ sich 2007 vom Vorbild Australien inspirieren und hielt es für eine exzellente Idee, die "gute alte Glühbirne" durch die viel effizientere, allerdings auch teurere und ökologisch nicht unbedenkliche Energiesparlampe zu ersetzen.

Ironie der Geschichte: Im Rückblick erweist sich die Umstellung als keineswegs absurd, und die damalige Aufregung hat sich zehn Jahre später längst gelegt. Auch, weil moderne LED-Leuchten ebenfalls Strom sparen und das Klima schonen, aber kein giftiges Quecksilber enthalten und kein fahles, bläuliches Licht verbreiten.

Neuere Initiativen, wie das Verbot von Einwegplastik oder die Verschärfung von Grenzwerten, etwa beim CO2 oder beim Nitrat im Trinkwasser, gehen in dieselbe Richtung. Schließlich wären nationale Alleingänge hier sinnlos.

Ähnlich wie mit der Glühbirne verhält es sich im Übrigen mit der Gurke, dem wohl bekanntesten Beispiel für die als unnötig oder lächerlich empfundene Brüsseler Regelungswut. Auch hier kam der Anstoß aus den Mitgliedsstaaten. Wahr ist: Agrar-Erzeugnisse wurden schon immer in verschiedene Qualitäts- und Handelsklassen eingeteilt, nicht erst durch die EU. In Deutschland etwa gab es schon in den frühen 70er-Jahren eine entsprechende Verordnung für Obst und Gemüse, die nicht auf einer Brüsseler Vorlage basierte.

Solche Normierungen haben praktische Gründe, bei denen vor allem die Interessen der Hersteller eine Rolle spielen. Im Fall der Salatgurken war Erzeugern und Händlern daran gelegen, dass jeweils eine bestimmte Anzahl in einen genormten Karton passt. Und das lässt sich eben am besten gewährleisten, indem man den Krümmungsgrad festlegt.

Ach ja: als es seinerzeit darum ging, die Gurkennorm wieder abzuschaffen, kam der Widerstand nicht aus Brüssel, sondern aus Deutschland, Österreich und Frankreich. Trotzdem fiel sie 2009 dem Rotstift zum Opfer.

Mit Recht gestoppt wurde auch der Vorschlag, Gastwirten das Aufstellen von Einweg-Ölkännchen mit genormtem Etikett vorzuschreiben. Auch diese Idee hatte freilich einen durchaus gut gemeinten Kern. Ziel war es, die Qualität des angebotenen Öls zu steigern, und Restaurantbesucher vor gepanschtem und womöglich gesundheitsschädlichem Öl zu schützen, was letztlich auch im Interesse der Hersteller liegt.

Mythos Nr. 5: "Die EU – ein politisches Abstellgleis"

Besonders hartnäckig hält sich das Vorurteil, in der EU-Hauptstadt Brüssel würden – abgesehen von Beamten und Lobbyisten – vor allem Loser und Polit-Senioren ihr Unwesen treiben. Eine Versetzung nach Brüssel sei entweder eine Belohnung für treue Dienste an Partei und Land oder eine Quarantäne-Maßnahme, damit der Betreffende daheim keinen Schaden mehr anrichtet. Der Volksmund hat dafür sogar einen Spottvers gedichtet: "Hast du einen Opa, schick‘ ihn nach Europa!"

Wahr ist dagegen: Die Zeiten, als das EU-Parlament und die Kommission als "Elefantenfriedhöfe" für ehemalige Minister oder Ministerpräsidenten herhalten mussten, sind lange vorbei. Die Mitgliedsstaaten nehmen die europäische Ebene ernst. In die sogenannten Institutionen schicken sie längst nicht mehr nur Altpolitiker mit klangvollen Namen, sondern kompetente Führungskräfte.

Speziell das deutsche Personal in Brüssel kann sich in dieser Hinsicht sehen lassen: Martin Selmayr etwa, lange Zeit rechte Hand von Jean-Claude Juncker und inzwischen ranghöchster Beamter der Kommission. Oder Klaus Regling, Chef des europäischen Stabilitätsfonds ESM. Und mit Manfred Weber, dem Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen, hat erstmals seit Jahrzehnten ein Deutscher Chancen auf das Amt des Kommissionspräsidenten.

Auch beim weiblichen Spitzenpersonal muss sich die Bundesrepublik keineswegs verstecken: Die Fraktionen der Grünen und der Linken im EU-Parlament werden von Politikerinnen aus Deutschland geführt: Ska Keller und Gabi Zimmer. Die EU-Diplomatin Sabine Weyand hat mit den Briten den Brexit-Vertrag ausgehandelt, und ihre Kollegin Helga Schmid das Atomabkommen mit dem Iran.

Daheim in Deutschland wird das leider kaum wahrgenommen. In Frankreich oder Italien dagegen sorgt der starke deutsche Einfluss in Brüssel schon seit längerem für Neid und Kritik.

Vom 23. bis 26. Mai findet die Europawahl statt.
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Vom 23. bis 26. Mai findet die Europawahl statt.

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