Ein Wahlplakat der Partei "Volt" hängt an einer Straßenlaterne.
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Ein Wahlplakat der Partei "Volt" hängt an einer Straßenlaterne.

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Europawahl: Warum die Kleinpartei Volt so gut abgeschnitten hat

Das Wahlverhalten junger Menschen bei der Europawahl hat für Aufmerksamkeit gesorgt: unter anderem wegen der vielen Stimmen für Kleinparteien. Eine davon: Volt. Deren Erfolg geht besonders zulasten einer Partei.

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Insgesamt 2,6 Prozent, bei den 16- bis 24-Jährigen sogar 7 Prozent: Für die Kleinpartei Volt war die Europawahl ein voller Erfolg. Was macht die Partei aus? Warum wählen so viele Junge Volt? Und wie sieht es mit den anderen Kleinparteien aus? Ein Überblick.

Wo Volt besonders gut abschnitt

Eher im Westen und stark in den Städten – so lässt sich das Europawahl-Ergebnis von Volt zusammenfassen. Das beste Ergebnis holte die proeuropäische Partei in Darmstadt mit 10,9 Prozent, gefolgt von Heidelberg (9,5 Prozent) und Karlsruhe und Freiburg mit jeweils 7,5 Prozent. In Bayern holte Volt ihr bestes Ergebnis in Würzburg mit 6,9 Prozent. Bundesweit war es das achtbeste Ergebnis der Partei. Im Vergleich der Metropolen war Volt in Hamburg am besten (6,0 Prozent), dann München (5,8 Prozent) und Berlin (4,8 Prozent).

Besonders junge Menschen haben Volt gewählt. Von den 16- bis 24-Jährigen machten 7 Prozent ihr Kreuz bei der proeuropäischen Partei – in keiner Altersgruppe war der Anteil höher. "Volt ist eine gute Mitte", sagt Alisa, eine Studentin in Heidelberg, dem SWR. Die Partei vereine linke Themen wie Klima mit dem Freiheitsgedanken.

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Kleinparteien bei jungen Wählern beliebt

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Volt bei Jüngeren beliebt

Für was die Partei steht und warum sie erfolgreich war

"Die Kampagne von Volt war online wie offline sehr sichtbar", erklärt Politikwissenschaftler Thorsten Faas im BR24-Interview. "Das ist natürlich eine notwendige Voraussetzung, denn aus dieser großen Masse an Parteien, die angetreten sind, muss man irgendwie hervorstechen." Insgesamt 35 Parteien warben bei der Europawahl um die Stimmen der Wähler. Volt habe mir ihrer paneuropäischen Agenda einen Nerv getroffen.

Offline warb die Partei mit Plakaten, die nicht nur wegen der lila Farbe auffielen, sondern auch mit den Slogans. Da hieß es unter anderem "Für mehr Eis – Deine Stimme für echte Klimapolitik gegen die Erderwärmung" oder "Sei kein Arschloch – Deine Stimme gegen Rechtsextremismus".

Online hat es die Partei geschafft, eine starke Präsenz in den sozialen Netzwerken aufzubauen und dort junge Wähler zu erreichen. "Das ist eine frische Partei, die gut kommuniziert, die im jugendlichen Sinne angemessen und auf Augenhöhe agiert", erklärt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Gespräch mit BR24.

Eine Partei für Kosmopoliten

Volt beschreibt sich inhaltlich als "paneuropäische, progressive Partei". Zu ihren Kernthemen gehört laut Programm Transparenz, Klimaschutz und der Einsatz für Vielfalt und Toleranz. Ziel sei es, ein starkes, gemeinsames Europa zu schaffen. Konkrete Forderungen sind beispielsweise die Schaffung "einer echten europäischen Regierung, die im Interesse aller Europäerinnen und Europäern handelt". Zudem solle das Europaparlament einen europäischen Ministerpräsidenten wählen.

Politikwissenschaftler Schroeder von der Universität Kassel sieht die Partei im Gespräch mit BR24 so: "Volt kommt gut an bei einer kleinen Teilgruppe, die kosmopolitisch orientiert ist, die in universellen Werten, im Miteinander der Menschen ein wesentliches Anliegen von Politik sieht und in der Europäischen Union ganz konkret eine wesentliche Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit." Als Beispiel nennt Schroeder Umwelt, Klima, Natur, Migration und auch die Frage nach der Gestaltung des Sozialstaats.

Volt profitiert von Schwäche der Grünen

Damit kam die Partei besonders bei Jüngeren gut an. Bei der Bundestagswahl 2021 waren bei den Jungen Wähler zwischen 18 bis 24 Jahren noch die Grünen ganz vorn, sie holten bei dieser Altersgruppe 23 Prozent. Bei der Europawahl stimmten von den 16- bis 14-Jährigen nur noch 11 Prozent für Grün.

Volt sei es gelungen, in eine Lücke hineinzustoßen, die die Grünen aufgemacht haben, erklärt Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. "Wenn man sich anschaut, wo Volt besonders stark ist, dann ist das in Westdeutschland, in Großstädten, vermutlich auch bei Menschen mit formal hoher Bildung – traditionell eine Klientel, die bei den Grünen lange hoch im Kurs standen, aber dieses Mal offenkundig aus Enttäuschung über die Grünen sich nach Neuem und umgeschaut haben und bei Volt fündig geworden sind", so Faas weiter.

Grüne: Zu etabliert? Zu angepasst?

Grünen-Co-Chef Omid Nouripour erklärte, dass man das Ergebnis detailliert analysieren wollte. "Es ist offensichtlich, dass wir es mit einer Generation zu tun haben, die sehr gelitten hat, die letzten Jahre über die Pandemie und über die Inflation und vieles andere mehr", so Nouripour im Interview mit dem HR, "und ich glaube, dass wir als Gesellschaft uns nicht ausreichend damit beschäftigt haben."

Ursache für das schlechte Ergebnis gerade bei Jüngeren sieht der Parteivorsitzende aber auch in der Bundesregierung: "Als Teil der Ampelkoalition ist das aber vielleicht gerade ein Problem, dass die Grünen in Deutschland in der Regierung sind und deshalb bei vielen jungen Leuten als zu etabliert, als zu angepasst rüberkommen."

Auch Politikwissenschaftler Schroeder sieht im Erfolg von Volt bei Jüngeren eine Schwäche der Grünen. Dem einen Teil sei die Regierungspartei zu hart – "zum Beispiel beim sogenannten Heizungsgesetz, wo ein größerer Teil der Bevölkerung den Eindruck hatte, die gehen jetzt an unsere Lebensführung heran und wollen uns ein bestimmtes Modell aufzwängen." Dem anderen Teil seien die Grünen dagegen zu weich geworden. Hier sieht Schroeder den Vorwurf, "dass die Grünen ihre eigentliche Mission zur Verhinderung des Klimawandels nicht ernst genug nehmen". Deswegen sei hier eine Chance für eine junge, Europa-orientierte Partei entstanden.

Wie und wann Volt entstand

Die Idee für Volt entstand laut eigener Aussage im Jahr 2016 – als Reaktion auf das Brexit-Votum sowie den wachsenden Rechtspopulismus in Europa. Die drei Köpfe hinter der Idee waren der Italiener Andrea Venzon, die Französin Colombe Cahen-Salvador und der Deutsche Damian Boeselager.

2017 wurde die Partei gegründet, ein Jahr später gab sie auch in Deutschland. Bei der Europawahl 2019 landete Volt in Deutschland mit 0,7 Prozent auf Platz 13. Das reichte für ein Mandat im Europaparlament, das Damian Boeselager wahrnahm und sich dort der Fraktion der Grünen anschloss. Später wechselte noch eine niederländische Abgeordnete zu Volt.

Künftig mit fünf Abgeordneten im Europaparlament

Das Ergebnis in Deutschland konnte Volt nun fast vervierfachen. 2,6 Prozent und Platz 10 sind es geworden. Damit schickt die Partei drei deutsche Vertreter nach Brüssel, in den Niederlanden konnte die Partei zwei Mandate holen. "Allein kann sie im Europaparlament nichts ausrichten", erklärt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im BR24-Interview, aber durch Beteiligung in der Grünen-Fraktion könne Volt eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise dass der New Green Deal, der 2019 eingerichtet worden ist, weiterverfolgt werde.

Laut eigenen Angaben hat die Partei rund 4.500 Mitglieder in Deutschland. Mehr als hundert Mandatsträger habe man inzwischen in Stadt- und Gemeinderäten sowie Regionalparlamenten, neben Erfolgen in Deutschland unter anderem auch in den Niederlanden, Italien und Bulgarien. Schließen sich Abgeordnete der Partei in Stadträten einer Fraktion oder einer Gruppe an, so suchen sie sich meistens Parteien links der Mitte als Partner.

"Volt hat nicht unerhebliche Erfolge auch auf der kommunalen Ebene in einigen deutschen Großstädten", meint Schroeder von der Universität Kassel. "Sie kann damit interessanterweise beweisen, dass sie nicht nur programmatisch und von der Symbolik her stark ist, sondern dass sie durchaus eine Idee hat, wie man auch im Kleinen die Dinge positiv gestalten kann."

Europawahl: Prominente Rolle der Kleinparteien

Das Wahlverhalten der Jüngeren bei der Europawahl stand nicht nur wegen Volt, sondern auch wegen des vergleichsweise schlechten Abschneidens von Grüne und FDP sowie dem guten der AfD in den Schlagzeilen. Der Bayerische Jugendring warnte deswegen vor einer Überbewertung. Sein Vorsitzender Philipp Seitz erklärte: "Junge Menschen stimmen für Europa" und führte an, dass mehr als zwei Drittel der 16- bis 24-Jährigen für proeuropäische Parteien gestimmt haben.

Neben Volt waren weitere Kleinparteien bei den Jüngeren beliebt. Ganze 28 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gaben ihnen ihre Stimme. Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht ein "Verhalten junger Menschen, das generell durch eine große Offenheit geprägt." Hier gebe es einfach noch keine jahrelangen Wahlerfahrungen, keine etablierten Bindungen an Parteien. "Insofern sind sie offen", so Faas.

"Jüngere Personen nutzen die Europawahl als Experimentierfeld", sieht es Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl im BR24live ähnlich. Man habe mehr Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, weil es die Sperrklausel nicht gibt. Bei Bundestagswahlen benötigt eine Partei 5 Prozent, um ins Parlament einzuziehen. Bei der Europawahl gibt es diese Hürde nicht – bei dieser Abstimmung reichten in Deutschland 0,6 Prozent, um ein Mandat in Brüssel zu erlangen. Allerdings wird sich das ändern.

Sperrklausel bei kommender Europawahl

Deutschland schickt 96 Abgeordnete ins Europaparlament – zwölf von ihnen gehören Kleinparteien an: neben Volt mit 3 Mandaten noch die Freien Wähler (3), die Satirepartei Die Partei (2), ÖDP (1), Tierschutzpartei (1), Familienpartei (1) und Partei des Fortschritts (PdF, 1). Nicht nur bei jungen Menschen holten die Kleinen Stimmen: Auch insgesamt stieg ihr Anteil im Vergleich zur letzten Europawahl um 1,3 Prozentpunkte auf 14,2 Prozent – und das, obwohl mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine prominente neue Option auf dem Wahlzettel stand, die aus dem Stand 6,2 Prozent holte.

Bei der kommenden Europawahl im Jahr 2029 ist die Lage für die Kleinparteien aber eine ganz andere. Denn dann gilt auch dort eine Sperrklausel, die der Bundestag vergangenes Jahr verabschiedet hat. Mindestens zwei Prozent - die genaue Höhe wird noch festgelegt - muss eine Partei dann erreichen, um Abgeordnete stellen zu dürfen. Gegen diese geplante Sperrklausel hatte die Satirepartei Die Partei geklagt, das Bundesverfassungsgericht wies die Klage im Februar aber ab. Für viele kleine Parteien dürfte der Weg nach Europa damit versperrt sein.

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