Zahlreiche Menschen versammeln sich beim politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen vor der Stadthalle von Biberach an der Riß, um zu demonstrieren.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Silas Stein

Nach den massiven Protesten in Biberach gegen eine Veranstaltung der Grünen fordert die Politik Konsequenzen.

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Bauernproteste in Biberach: "Rote Linie wurde überschritten"

Mit scharfer Kritik haben Politiker auf die teils gewaltsamen Proteste von Landwirten bei einer geplanten Veranstaltung der Grünen zum Aschermittwoch in Biberach reagiert. Innenministerin Faeser sieht eine Grenze überschritten.

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Dass es am politischen Aschermittwoch oft rau hergeht, ist nichts Neues. Bislang bezog sich das aber nur auf die Rhetorik der Redner in den Festhallen. Im baden-württembergischen Biberach kam es in diesem Jahr aber auch vor dem Versammlungsort zu gewaltsamen Ausschreitungen. Hunderte Landwirte hatten dort teils aggressiv gegen eine Veranstaltung der Grünen demonstriert. Politiker fast aller Parteien verurteilten die tumultartigen Proteste.

Bundesinnenminister Faeser warnt vor "giftigen Debatten"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht gar von einer Grenzüberschreitung. "Wenn eine politische Veranstaltung wegen Gepöbel und Gewalt abgesagt werden muss, dann ist eine rote Linie überschritten", sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Legitimer Protest ende dann, wenn Menschen eingeschüchtert und bedroht würden. Sie warnte davor, das Geschehen zu verharmlosen und forderte: "Die zunehmende Vergiftung von Debatten und die Hetze gegenüber demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern muss ein Ende haben." Dazu gehöre zuerst, "verbal abzurüsten".

Ähnlich sieht es offenbar auch Faesers Amtskollege auf Landesebene. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl erklärte, das aggressive Verhalten von Protestierenden in Biberach sei völlig inakzeptabel. "Wer Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge bewirft und eine demokratische Partei in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert, überschreitet ganz klar eine Grenze", so der CDU-Minister Strobl. Straftaten in diesem Zusammenhang würden "konsequent verfolgt". Nachdem die Bauern in den vergangenen Wochen friedlich demonstriert hätten, habe ihr Verhalten am Mittwoch ihrer Sache "einen Bärendienst erwiesen".

Lärm, Mist und eine wütende Menge

Am Mittwochmorgen hatten Hunderte Menschen, darunter auch Landwirte, lautstark vor der Veranstaltungshalle in Biberach demonstriert und unter anderem die Zufahrtsstraßen zur Stadthalle, wo die Veranstaltung stattfinden sollte, mit Sandsäcken und Traktoren blockiert. Vor der Treppe zur Halle hatten Landwirte einen Misthaufen abgekippt, darauf Grünen-Wahlplakate, die die Demonstranten mit "leere Versprechen" gekennzeichnet haben. Immer wieder skandierte die Menge in Richtung Halle "Haut ab, haut ab". Journalisten wurden als "Lügenpresse" beschimpft. Zu sehen waren auch Flaggen des Königreichs Preußen.

Laut Polizei kam es dabei auch zu aggressivem Verhalten. Einsatzkräfte und Polizeifahrzeuge seien mit Gegenständen beworfen worden. Dabei seien mehrere Beamte leicht verletzt und ein Polizeiwagen beschädigt worden. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Ein Tatverdächtiger wurde laut Behördenangaben festgenommen.

Grüne sahen sich zur Absage gezwungen

Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler gab bekannt, dass bereits am frühen Morgen gegen 3.30 Uhr Hupkonzerte der Demonstranten, darunter auch viele Bauern, begonnen hätten. Immer wieder seien auch Böllerschüsse zu hören gewesen, sagte der parteilose Rathauschef. Die Aktionen seien daraufhin immer weiter eskaliert. Die Feuerwehr sei zu zehn Brandeinsätzen gerufen worden, die Feuer seien gezielt gelegt worden, sage Zeidler. Außerdem seien Einsatzkräfte an der Durchfahrt gehindert und Helfer angepöbelt worden. Auch vor der Stadthalle seien Feuer entzündet worden, kritisierte der Oberbürgermeister. Bengalos seien abgebrannt, Pflastersteine aus dem Gehweg genommen und eine Autoscheibe eingeschlagen worden.

Die Grünen sagten die traditionelle Veranstaltung daraufhin ab. Der Geschäftsführer der Grünen in Biberach, Michael Gross, begründete die Entscheidung mit Sicherheitsbedenken. Die Demonstranten vor der Stadthalle seien zum Teil "verbal aggressiv" aufgetreten. "Wir sehen nicht, dass wir eine ordnungsgemäße Veranstaltung durchführen können", ergänzte Gross.

Habeck: Veränderung nur durch Dialog

Bei der Veranstaltung hätten neben Lokalpolitikern der Grünen auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin und die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang sprechen sollen. Bis auf Trittin waren die Gäste aber erst gar nicht zur Halle durchgedrungen.

Lang sagte im Anschluss, sie halte kritischen Protest für ein hohes Gut in der Demokratie. Die Vorfälle in Biberach aber hätten "eine Grenze überschritten." Wer gewalttätig werde, verlasse den Rahmen des demokratischen Diskurses. Für Vizekanzler Robert Habeck sollte Protest immer so sein, dass man miteinander ins Gespräch kommt. Denn Veränderung wird in seinen Augen nur durch Dialog möglich. Die Ereignisse in Biberach würden den Grünen-Politiker aber an die Geschehnisse im Januar in Schleswig-Holstein erinnern, als er selbst von einer aggressiven Menschenmenge daran gehindert wurde, eine Fähre zu verlassen.

Agrarminister Özdemir äußert Verständnis

Bundesagrarminister Özdemir stellte sich noch vor dem eigentlichen Beginn der geplanten Grünen-Veranstaltung den demonstrierenden Landwirten. Er äußerte Verständnis für deren Ärger über die Subventionskürzungen. Die ursprünglichen Regierungspläne hätten die Landwirte über Gebühr belastet: "Das war falsch, deswegen waren die Proteste berechtigt", sagte Özdemir.

Die Stimmung heizte sich auf, als ein Zwischenrufer den Minister beschuldigte, sich bei den Bauernprotesten nicht gezeigt zu haben - und der Minister sich gegen diesen Vorwurf verwahrte. "Ich war auf den Kundgebungen", so Özdemir. Den Vorwurf bezeichnete er als "Frechheit" und sagte: "Das regt mich jetzt wirklich auf." Die Protestteilnehmer reagierten mit Buh- und Pfuirufen. Im Nachhinein nahm Özedmir die Bauern aber in Schutz: "Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben".

Trittin verweist auf Versäumnisse der Sicherheitskräfte

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin kritisierte derweil das Vorgehen der Polizei. "Ich glaube, dass sich die Polizei in Baden-Württemberg ernste Fragen stellen lassen muss, warum sie nicht in der Lage war, eine Veranstaltung des eigenen Ministerpräsidenten so abzusichern, dass sie durchgeführt werden kann", sagte er der Zeitung, "taz".

Aus der baden-württembergischen SPD hieß es, dass die Grünen die Veranstaltung wegen der Proteste absagen mussten, sei ein "absolutes No-Go". Der Landesvorsitzende Andreas Stoch unterstrich: "Dissens gehört zu unserer Demokratie, Diskussion auch - nur wer keine Argumente hat, wirft mit Steinen." Auch CDU-Landeschef Manuel Hagel rief die Landwirte zu friedlichen Protesten auf. "Dass der politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach heute nicht wie geplant stattfinden konnte, ist inakzeptabel", so Hagel.

Landesbauernverband distanziert sich von den Aktionen

Von der AfD kam Zuspruch für die Absage der Versammlung. Der AfD-Agrarexperte im baden-württembergischen Landtag, Dennis Klecker, betonte, die Absage der Grünen-Veranstaltung sei ein "Resultat gelebter Demokratie".

Der Grünen-Landesverband Baden-Württemberg teilte mit, man wollte weiterhin den Dialog suchen. Die Grünen hätten "bereits im Vorfeld der Veranstaltung Gesprächsangebote unterbreitet" und werden nun den Austausch in kleiner Runde fortführen.

Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg sowie der Kreisbauernverband Biberach haben nach eigener Auskunft nicht zu den Protesten aufgerufen. Laut Letzterem waren verschiedene Gruppierungen dafür verantwortlich. Demnach waren hauptsächlich Bauern, aber auch Fuhrunternehmer beteiligt. Die Proteste waren laut Polizei nicht angemeldet. Auch zu möglichen extremistischen Kräften darunter hatte ein Sprecher keine Erkenntnisse.

Mit Informationen von dpa und AFP

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