"Ist jemand, der in vier Gerichtsbezirken auf Kaution frei ist, wirklich unsere beste Chance, Joe Biden zu schlagen?" Zu den politischen Freunden von Ex-Präsident Donald J. Trump zählt der frühere Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, sicherlich nicht. Denn der als pragmatischer Republikaner geltende Christie bewirbt sich zwar, wie Trump, um die Präsidentschaftskandidatur der Grand Old Party, aber mit äußerst geringen Chancen. Chris Christie stellt jedoch die zentrale Frage, die sich die republikanischen Wähler bei den Vorwahlen (primaries) stellten sollten, die Anfang 2024 beginnen: "Machen wir wirklich damit weiter, so zu tun, als ob das alles normal ist? Das ist es nicht", sagt der Ex-Gouverneur dem amerikanischen Nachrichtensender CNN.
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Großer Vorsprung für Trump
Doch neben Christie gibt es nur ganz wenige republikanische Mitkonkurrenten, die klare Flagge gegen Trump hissen. Darunter ist Trumps früherer Vize-Präsident Mike Pence, der am Tag des Sturms auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 verfassungstreu geblieben ist. Er hatte Trumps Forderung widerstanden, das Ergebnis des Wahlleute-Gremiums, des Electoral College, nicht zu zertifizieren. Schon frühzeitig gab Pence die Losung aus: "Niemand steht über dem Gesetz."
Politisches Gewicht innerhalb der republikanischen Partei haben aber die wenigen Trump-Gegner nicht. Trump führt inzwischen mit einem Vorsprung von nahezu 40 Prozent vor Herausforderer Ron DeSantis. Dessen geringe Zustimmungswerte sind weiter abgesunken. Alle anderen Konkurrenten im Lager der Republikaner, darunter eben auch Christie und Pence, dümpeln zwischen sieben Prozent und unter drei Prozent.
Behauptungen verfangen
Mit jeder neuen Anklage gegen den früheren Präsidenten, vier Stück innerhalb von fünf Monaten, "scheint es so, als hätte er seinen Einfluss auf die Republikanische Partei nur gefestigt". Ein wenig konsterniert kommt ein politischer Analyst im halb öffentlich-rechtlichen US-Radiosender National Public Radio zu dem Ergebnis: Trump sei wieder der Spitzenkandidat für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Er habe durch die juristischen Entwicklungen "Unmengen an Geld eingenommen". Und: Seine unbegründeten Behauptungen über angebliche Verschwörungen des "tiefen Staates" gegen ihn verfangen bei circa der Hälfte der Republikaner.
So sind zwei Drittel der republikanischen Wähler laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters von Anfang August der Meinung: Die Anschuldigungen gegen Trump seien "nicht glaubhaft". Und 75 Prozent schenken Trumps ständigen Behauptungen Glauben, wonach die Vorwürfe gegen ihn "politisch motiviert" seien.
Und wenn Trump verurteilt werden sollte?
Sollten sich die juristischen Wolkentürme, die sich über dem Ex-Präsidenten zusammengezogen haben, in folgenreichen Gewittern entladen, stünden die republikanischen Wähler allerdings nicht mehr allzu treu hinter Donald Trump. So würde knapp die Hälfte der republikanischen Wählerinnen und Wähler nicht für Trump stimmen, wenn er wegen eines Verbrechens verurteilt werden sollte. 35 Prozent der befragten Republikaner würden allerdings auch für einen verurteilten Ex-Präsidenten Trump votieren. Auf eine weitere Frage, ob sie für Trump stimmen würden, falls er im Gefängnis einsäße, gaben 52 Prozent der Republikaner in der Reuters-Erhebung zurück: Nein, dann nicht. Für immerhin knapp 30 Prozent der republikanischen Wähler würde auch das nichts an ihrer Treue zu Trump ändern.
Schwerwiegende Anklagen
Die Reuters-Umfrage wurde allerdings noch vor der Bekanntgabe der Anklagen drei und vier durchgeführt. Also noch vor der Anklageerhebung gegen Trump durch Sonderermittler Jack Smith in Washington wegen des Verdachts der Wahlverschwörung. Und ebenfalls vor der Anklageerhebung gegen den Ex-Präsidenten und 18 weitere Mitangeklagte am Montagabend durch das Bezirksgericht Fulton County im US-Bundesstaat Georgia. Dabei geht es um unter anderem um den Anklagepunkt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, um das Wahlergebnis in Georgia zugunsten des Wahlverlierers Trump zu kippen. Die Staatsanwaltschaften in New York, Washington, Florida und Georgia haben in insgesamt 91 strafrechtlichen Punkten Anklage gegen den 77-jährigen Trump erhoben. Ob es in einem der vier Gerichtsverfahren zu einer Verurteilung vor den nächsten Präsidentschaftswahlen Anfang November 2024 kommen wird, erscheint mehr als ungewiss.
Drama und Trauma für Amerika
Die vier Gerichtsverfahren böten einen Überblick "über das Trauma und das Drama, das Mr. Trump dieser Nation angetan hat". In einem nahezu leidenschaftlich, eindringlichen Kommentar wendet sich die "New York Times" an die republikanische Partei. Was solle denn noch geschehen? Es sei längst nicht mehr eine Frage von politischen Überzeugungen oder Temperament, ob Trump für das höchste Staatsamt geeignet sei. Die vier Gerichtsverfahren dokumentierten vielmehr "seine Verachtung für die amerikanische Demokratie". Nur die republikanischen Wähler bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur könnten diese Frage klären. Trump hätte immer sein Ego über alle anderen Interessen gestellt, die der Nation und die der republikanischen Partei. Jetzt gebe es für die Republikaner noch die Gelegenheit, "innezuhalten und die Kosten seiner bisherigen Politik für den Zustand der Nation und ihrer Partei zu bedenken".
Im Audio: Trump-Anklage Nummer vier
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