Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland.
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Berühmt wurde Nawalny durch Auftritte bei Anti-Regierungs-Protesten, Internet-Videos und Blogs. Nun ist er gestorben.

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Nawalny: Putins innenpolitischer Feind Nummer eins

Er galt als der prominenteste Kritiker von Putins Herrschaft in Russland - und bezahlte dafür womöglich mit dem Leben: Alexej Nawalny starb laut russischen Angaben in seiner Strafkolonie. Wer war der Mann, der sich öffentlich gegen den Kreml stellte?

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Seit seiner Verlegung in eine sibirische Strafkolonie im Dezember war es still geworden um das wohl bekannteste Gesicht der größten Oppositionsbewegung in Russland. Nun ist Alexej Nawalny offenbar im Alter von 47 Jahren gestorben. Nach Angaben der russischen Justiz brach er nach einem Spaziergang zusammen. Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es. Für den Kreml ist damit der vielleicht mächtigste innerpolitische Störfaktor der vergangenen Jahre weggefallen. Aber was hat Nawalny dazu gemacht? Ein Porträt über sein Leben.

Gestartet als Anti-Korruptions-Aktivist

Nawalny kam am 4. Juni 1976 auf die Welt. Seine Kindheit verbrachte er überwiegend in Obninsk, etwa 100 Kilometer südwestlich von Moskau. Nach der Schule machte er einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen weiteren in Finanzwesen. Später arbeitete als Anwalt und verbrachte dank eines Stipendiums einige Zeit in den USA an der Eliteuniversität Yale.

Nawalnys jahrelanger Kampf gegen die höchsten Ebenen in Russland startete dann Mitte der 2000er Jahre. Als Blogger berichtete der Jurist immer wieder über Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft im Kreml. 2007 begann er, Aktien staatlicher russischer Ölkonzerne zu kaufen, um so Zugang zu Unternehmensberichten zu erhalten, die er dann nach Beweisen für Korruption durchforstete, um sie in seinem Blog zu dokumentieren. Im selben Jahr wurde er aus der liberalen Oppositionspartei Jabloko ausgeschlossen, weil er sich an "nationalistischen Aktivitäten" beteiligte.

Rasch zum Anführer bei Wahlprotesten

In den darauffolgenden Jahren veröffentlichte Nawalny zusammen mit seinen Unterstützern immer wieder aufwendige Recherchen, die die Bereicherung der russischen Obrigkeit belegen. Im Internet stießen diese auf ein Millionenpublikum. 2011 gründete Nawalny schließlich eine Anti-Korruptions-Stiftung, die mit ihren Enthüllungen über riesige Reichtümer der Kreml-Eliten eine große Anhängerschaft gewann.

Die Machtkreise rund um Russlands Präsident Wladimir Putin prangerten Nawalny offen als "Partei der Gauner und Diebe" an. Im Winter 2011- 2012 führte er große Proteste nach den russischen Parlamentswahlen an, die Putins regierende Partei "Geeintes Russland" gewann und die von Betrugsvorwürfen überschattet waren. Bei den Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen wurde Nawalny zum Wortführer und erlangte durch seine feurigen und regierungskritischen Reden auch über die Grenzen Russlands hinaus Berühmtheit.

Vorwurf der Veruntreuung: Nawalnys erste Verurteilung

Prompt stand er an der Spitze der Protestbewegung. Der Kreml sah ihn als Bedrohung und Nawalny wurde abgeführt. Es folgten zahlreiche weitere Festnahmen. Auf die Frage nach den Gefahren, die eine Konfrontation mit dem Kreml mit sich bringen könnte, antwortete er lediglich: "Warum sollte ich Angst haben?"

Im Juli 2013 erfuhr Nawalny dann erstmals die volle Härte der russischen Justiz. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er als Berater des Gouverneurs die Regierung der Region Kirow bei einem Holzgeschäft um 16 Millionen Rubel (damals etwa 370.000 Euro) betrogen haben soll. Er bestritt die Vorwürfe und gab an, sie seien ein Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen. Das Urteil wurde jedoch kurz darauf geändert und er kam auf freien Fuß.

Kandidatur für Bürgermeisteramt in Moskau

Zwei Monate später - im September 2013 - wagte Nawalny trotz aller Widrigkeiten den Sprung in die große Politik und trat als Kandidat für die Wahl des Bürgermeisters von Moskau an. Mit 27 Prozent der Stimmen landete Nawalny deutlich hinter dem vom Kreml unterstützten Amtsinhaber Sergej Sobjanin auf dem zweiten Platz. Seine Forderungen nach einer Neuauszählung wurden zurückgewiesen.

Weil er im Wahlkampf aber von der Berichterstattung in den staatlichen Medien faktisch ausgeschlossen war und um besonders junge Wähler online zu erreichen, richtete Nawalny einen YouTube-Kanal ein. Gleichzeitig fiel es ihm jedoch schwer, mit Menschen außerhalb der Großstädte warm zu werden. Auch stieß er einige Bürgerrechtler vor den Kopf, weil er an ultranationalistischen Demonstrationsmärschen teilgenommen und gegen illegale Einwanderung gewettert hatte.

Kreml-Kritiker und dennoch Nationalist

In der Vergangenheit war Nawalny schon des Öfteren mit mitunter völkischen Ansichten aufgefallen. So trat er immer wieder für die Rechte ethnischer Russen ein und unterstütze später auch die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Moskau im Jahr 2014, obwohl die meisten Staaten dies als illegal ansahen. Zwar sei die Annexion der Krim eine eklatante Verletzung des Völkerrechts. Die Gebiete blieben aber Teil Russlands.

Auch innerhalb der Opposition wurden ihm populistische und nationalistische Züge angelastet. 2011 war er deswegen schon aus der liberalen Oppositionspartei Jabloko ausgeschlossen worden. In den vergangenen Jahre wandelte sich Nawalny ein Stück weit und entschuldigte sich für viele seiner ultrarechten Aussagen. Zudem kritisierte er zuletzt auch Russland für die verübten Kriegsverbrechen an der Ukraine.

Enthüllungen über Medwedew sorgten für weitere Unruhen

In den folgenden Jahren gewann Nawalny immer mehr politische Unterstützer. 2015 wurde er nach dem Tod des geachteten liberalen Politikers Boris Nemzow zur Galionsfigur der zersplitterten Opposition in Russland. In der Folge organisierte er Massenproteste im ganzen Land, besonders aber in Moskau. Seinem Ruf folgten vor allem Schüler und Studenten. Im russischen Staatsfernsehen war von Nawalny, dem "Rattenfänger" die Rede, der die Jugend verführe.

Parallel dazu liefen seine Enthüllungen weiter. Im März 2017 veröffentlichte Nawalny ein Video über den mutmaßlich verschwenderischen Lebensstil des damaligen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew. Die Enthüllung löste Proteste aus.

Ausgeschlossen von Präsidentschaftswahl

Nur ein Jahr später wollte der Kreml-Kritiker selbst zur Präsidentschaftswahl antreten. Doch die Justiz schob ihm einen Riegel vor. 2018 wurde er wiederholt wegen Betrugs- und Diebstahlsvorwürfen vor Gericht gestellt und letztlich wegen Veruntreuung verurteilt. Auch sein Bruder Oleg wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Nawalny warf dem Staat vor, den Bruder als Geisel genommen zu haben, um ihn selbst unter Druck zu setzen.

Wegen seiner Verurteilung wegen Veruntreuung durfte Nawalny auch nicht mehr gegen Präsident Putin zur Wahl antreten. Er forderte die Russen auf, die Wahl zu boykottieren, aus der Putin nichtsdestotrotz erneut als Sieger hervorging.

2020: Jahr des Gift-Anschlags

2020 wurde dann zu einer Art Schicksalsjahr für den mittlerweile weltweit bekannten Kreml-Gegner. Im August des Jahres verlor Nawalny während eines Flugs von Sibirien nach Moskau das Bewusstsein und fiel ins Koma. Das Flugzeug musste notlanden und Nawalny wurde auf die Intensivstation eines Krankenhauses in der Stadt Omsk gebracht. Dort kämpfte er zwei Tage lang ums Überleben.

Die Ärzte konnten zwar sein Leben retten, zur Weiterbehandlung wurde er aber auf Bestreben seiner Familie noch im Koma liegend nach Deutschland in die Berliner Universitätsklinik Charité gebracht. Dort zeigten Tests: Nawalny wurde mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet, welcher in der Sowjetzeit entwickelt wurde.

Nawalny wollte wieder zurück nach Russland

Bis zuletzt waren er und sein Team davon überzeugt, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB auf Anweisung von Putin hinter dem Attentat steckte. Der Kreml wies Nawalnys Vorwürfe zurück. Russlands Präsident Putin erklärte wörtlich: "Wenn ihn jemand hätte vergiften wollen, hätten sie ihn erledigt".

Trotz einer nur schleppenden Erholung und aller Warnungen flog Nawalny Anfang 2021 halbwegs genesenen wieder zurück nach Moskau. "Russland ist mein Land. Moskau ist meine Stadt. Und ich vermisse es", sagte er zur Begründung. Kurz nach der Landung wurde er vor laufenden Kameras festgenommen und vor Gericht gestellt.

Der Kreml sah ihn als ausländischen Agenten

Die Festnahme löste eine der größten Demonstrationen in Russland seit Jahrzehnten aus. Zehntausende Russen gingen landesweit für seine Freilassung auf die Straßen. Viele davon wurden später selbst festgenommen. Im Februar wurde Nawalny zunächst zu zweieinhalb Jahren Haft wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen verurteilt. Der Politiker kam in ein Straflager.

Der Kreml stellte Nawalny als Kriminellen dar: Nawalny, so hieß es von Seiten russischer Behörden immer wieder, sei ein Handlanger und Unruhestifter des US-Geheimdienstes CIA. Er sei darauf aus gewesen, Russland zu destabilisieren, die Behörden zu stürzen und Moskau in einen gefügigen Vasallenstaat der USA zu verwandeln.

Nawalnys Team reagierte auf seine Art

Nawalny hat die Anschuldigungen stets bestritten und als politisch motiviert bezeichnet. Er und seine Anhänger entgegneten, dass es in Wahrheit darum gehe, Kritik an Putin zu unterdrücken. Seine politische Bewegung wurde verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland.

Der Kreml-Kritiker konterte seine Verhaftung, indem sein Team die Recherche "Putins Palast" veröffentlichte. Dabei ging es um einen Luxuspalast am Schwarzen Meer, der Putin angeblich durch Korruption geschenkt worden sein soll. Die Enthüllung zwang Putin zu einem seltenen Dementi.

Für seinen Mut wurde der bekannte Kreml-Kritiker im Westen bewundert. Im Oktober 2021 ehrte ihn die Europäische Union auf oberster Ebene: Nawalny erhielt den Sacharow-Preis, die höchste Menschenrechtsauszeichnung der EU. Den Preis nahm Nawalnys Tochter in Brüssel entgegen.

Weiterer Gerichtsprozess gegen bereits inhaftierten Putin-Kritiker

Im August 2023 musste sich Nawalny in einem weiteren Prozess verantworten. Ihm wurde erneut Veruntreuung und Missachtung des Gerichts vorgeworfen. Die Richter sprachen ihn schuldig und seine Strafe wurde auf neun Jahre ausgedehnt. Wenig später wurde Nawalny, der inzwischen in Gefangenschaft stark an Gewicht verloren hatte, zudem wegen "Extremismus" zu 19 Jahren Straflager verurteilt. Zunächst blieb er aber isoliert in einem Gefängnis bei Moskau inhaftiert. Insgesamt lag das Strafmaß bei mehr als 30 Jahren Haft.

Die Anhörungen bei seinen zahlreichen Prozessen waren zuletzt die einzige Möglichkeit, Nawalny zu sehen und zu hören. Die Vergiftung, der er 2020 zum Opfer gefallen ware, ein Hungerstreik und wiederholte Aufenthalte in Einzelhaft hatten ihn körperlich gezeichnet, ließen ihn aber nicht verstummen. So setzte er seinen Widerstand gegen Putin auch aus dem Gefängnis heraus fort, kämpfte für seine Grundrechte und brachte Gefängnisbeamte vor Gericht.

Offenbar Tod in abgelegenem Straflager

Mehrere Wochen lang herrschte schließlich Funkstille um den bekannten Oppositionellen. Weder seine Familie noch sein Team wussten für einige Zeit, wo er sich aufhielt. Im Dezember 2023 hieß es dann: Nawalny wurde verlegt, in ein Lager hinter dem Polarkreis. Ein weiterer Akt der Drangsalierung. Nawalny selbst berichtete in einem Beitrag bei Instagram unter anderem von Folter durch Schlafentzug.

Am 16. Februar 2024 dann die überraschende Nachricht: Nawalny ist nach Justizangaben in der abgelegenen Strafkolonie nach einem Hofgang zusammengebrochen und gestorben. Die Gefängnisverwaltung im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen teilte mit, er habe nicht wiederbelebt werden können. Die Ursache für den Zusammenbruch ist bislang unbekannt. Nawalny hinterlässt seine Ehefrau Julija und zwei gemeinsame Kinder.

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters.

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