Die Evakuierungsflüge aus Afghanistan laufen. Hunderte Menschen sind bereits in Deutschland angekommen. Unter ihnen befinden sich Ortskräfte, Mitarbeitende von NGOs, Menschenrechtler sowie Journalistinnen und Journalisten. Die ersten Schritte sind geregelt: Die Geflüchteten werden registriert und kommen zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen. Etliche bayerische Kommunen haben bereits ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt.
Doch vieles ist auch noch unklar: zum Beispiel, wie viele Geflüchtete kommen werden, ob Deutschland die Zusage für bestimmte Kontingente treffen wird, ob eine europäische Vereinbarung zur Verteilung zustande kommen könnte. Während sich die Bundesregierung noch nicht zu diesen Fragen positioniert hat, läuft die Diskussion darüber. Vor allem Oppositionspolitiker bezogen bereits Stellung.
Baerbock (Grüne): Momentaner Fokus auf Retten von Menschenleben
Die Bundesregierung habe in den vergangenen Wochen bei der Afghanistan-Politik versagt und Warnungen nicht ernst genommen, so dass viele Ortskräfte nun in dem Land festsäßen, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im WDR. "Man muss sich nochmal vorstellen: Das sind Frauen, die sich jetzt irgendwo in Kabul verstecken, das sind Köche, das sind Dolmetscher mit Familienangehörigen, mit Kindern dabei, und deswegen gilt es jetzt, alles zu tun, um diese Leben zu retten."
Dazu gehöre auch, mit den Taliban zu reden. Momentan müsse der absolute Fokus auf der Rettung der Menschen liegen, betonte Baerbock.
Gauland (AfD): "Wir wissen nicht, ob diese Menschen verfolgt sind"
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland stellte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk in Frage, wer jetzt bei den Evakuierungsflügen an Bord sein soll. Er sprach sich dagegen aus, bei den aktuellen Evakuierungen auch Ortskräfte aufzunehmen, die in Afghanistan mit deutschen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet haben. "Es kann nicht sein, dass Leute, die befürchten, in Zukunft mal bedroht zu sein, schon kommen", sagte Gauland im Deutschlandfunk. Die Taliban hätten ja gesagt, dass die Leute nicht verfolgt würden. Deshalb müsse man das "erstmal abwarten".
Deutschland habe ein Asylrecht, das Verfolgten einen Anspruch gewähre. "Wir wissen nicht, ob diese Menschen verfolgt sind." Die Aufnahme müsse sich seiner Ansicht nach beschränken auf Menschen, die für die Bundeswehr gearbeitet hätten. Einheitliche Position der AfD sei dies allerdings nicht.
Wissler (Die Linke): Einen Großteil aufnehmen
Ein weiterer Punkt der aktuellen Debatte dreht sich darum, wie viele Geflüchtete Deutschland aufnehmen soll. Linken-Spitzenkandidatin Janine Wissler sieht Deutschland in einer besonderen Verantwortung, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. "Deutschland trägt eine Mitverantwortung für das Drama in Afghanistan", sagte die Parteivorsitzende den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Als reichster Staat in der Europäischen Union müsse die Bundesrepublik einen großen Teil der Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen.
Wissler sprach sich ausdrücklich für einen deutschen Alleingang aus. "Wir können nicht auf eine europäische Lösung warten", sagte sie. Sonst werde jegliche Aufnahme von Geflüchteten blockiert.
Dobrindt (CSU) gegen pauschale Zusage für Aufnahmekontingente
Aus der Union kommen Warnungen vor Aufnahme-Zusagen von afghanischen Flüchtlingen in Deutschland. "Unser Ziel muss es jetzt sein, die deutschen Staatsbürger und die afghanischen Ortskräfte auszufliegen, es kann aber keine generelle Zusage für die Aufnahme von Flüchtlingskontingenten in Deutschland geben", sagt Alexander Dobrindt (CSU) gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Probleme Afghanistans in Deutschland gelöst werden könnten. "Das würde das Risiko einer Fluchtbewegung nach Europa massiv erhöhen", sagte der CSU-Landesgruppenchef.
Die Bundesregierung forderte Dobrindt auf, der UN-Flüchtlingshilfe finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe zuzusagen, um Flüchtlinge aus Afghanistan in Camps in den Nachbarländern unterzubringen und zu versorgen.
Die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), wandte sich gegen ein deutsches Vorpreschen bei der Flüchtlingsaufnahme. "Wichtig ist, dass wir jetzt nicht alleine vorneweg marschieren", sagte sie im Radiosender Bayern 2. Niemand wolle, "dass wir quasi unkontrollierte Zuwanderung ermöglichen", sagte Lindholz. "Es muss geordnet, gesteuert und gemeinsam sein."
Migrationsexperte für klares Aufnahmekontingent
Der Migrationsexperte Gerald Knaus fordert hingegen von der Bundesregierung, ein klares Aufnahmekontingent für gefährdete Menschen aus Afghanistan zu nennen. Es sei wichtig, dass die Länder der Koalition, die in den vergangenen Jahren in dem Land am Hindukusch gekämpft hätten, nun vorangingen, sagte der Vorsitzende des Berliner Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nur dann könne man auch andere Länder davon überzeugen zu helfen.
"Es bringt nichts, auf imaginäre EU-Lösungen zu setzen", sagte Knaus. In Afghanistan warteten weit über Hunderttausend Menschen auf Hilfe, darunter nicht nur Ortskräfte westlicher Armeen, einheimische Mitarbeiter der UN und von Nicht-Regierungsorganisationen, sondern auch Menschenrechtler, Frauenrechtsaktivistinnen, Journalisten und freie Korrespondenten.
Bayern stellt sich auf mehrere Tausend Geflüchtete ein
Bereits am Mittwoch hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) berichtet, dass alle deutschen Bundesländer bereit seien, sich nach üblichen Verfahren, dem Königsteiner Schlüssel, an der Aufnahme afghanischer Flüchtlinge zu beteiligen. Allerdings fordern die Minister ein bundeseinheitliches Programm. Nach dem Verteilungsschlüssel müsste Bayern 15 Prozent der aus Afghanistan geflüchteten Menschen aufnehmen.
Noch sei unklar, wie viele insgesamt nach Deutschland kommen werden. "Wir stellen uns darauf ein, dass es schon mehrere Tausend in der Summe sein können," sagte Joachim Herrmann im Gespräch mit BR24.
Mehrere Kommunen und Städte im Freistaat haben angeboten, Geflüchtete aus Afghanistan aufzunehmen. Darunter sind München, Erlangen, Fürth, Bamberg, Würzburg, Aschaffenburg, Augsburg, Regensburg, Straubing und Weiden. Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) sagte: "Als Stadt des Friedens und der Menschenrechte sehen wir es als unsere Verpflichtung an, diesen Menschen in dieser Notsituation zu helfen."
Nach der Registrierung in Erstaufnahmeeinrichtungen
Wie BR24 bereits berichtete, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit mobilen Teams am Frankfurter Flughafen, um die Aufnahme und die Verteilung der ankommenden Ortskräfte aus Afghanistan sowie deren Familien zu steuern. Bei der Registrierung der Ankommenden, die zunächst einen Corona-Schnelltests machen müssen, hilft auch die Bundespolizei mit.
Nach der Registrierung sollen die Menschen zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht werden, die von den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Das hierfür erforderliche Verfahren wurde gemeinsam zwischen Bund und Ländern innerhalb weniger Stunden abgestimmt, so das BAMF.
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