Eine Asylunterkunft in Nürnberg
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Vergewaltigung in Asylbewerberunterkunft? Security angeklagt. Die Kritik an den Unterkünften wächst.

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Wie sicher sind Asylbewerber-Unterkünfte für Frauen?

Ein Security-Mitarbeiter soll zwei Frauen in einer Nürnberger Asylbewerberunterkunft mindestens 77 Mal vergewaltigt haben. Das wirft die Frage auf, wie sicher solche Einrichtungen sind. Pro Asyl kritisiert das System der Massenunterkünfte vehement.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat Anklage gegen einen Security-Mitarbeiter erhoben. Der Vorwurf: Zwischen 2018 und 2022 soll der Mann zwei Bewohnerinnen einer Nürnberger Asylbewerber-Unterkunft vergewaltigt haben - allein eine der Frauen mindestens 72 Mal. Wie kann so etwas geschehen?

Pro Asyl: Vorhandene Konzepte funktionieren nicht

Am 11. Mai 2011 hat der Europarat in Istanbul ein Übereinkommen zur "Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" getroffen – auch "Istanbul-Konvention" genannt. Auch Deutschland hat diese unterzeichnet und gesetzlich verankert. Zum Recht auf Gewaltschutz gehörten auch Beschwerdestellen und Monitoring, sagt Pro Asyl-Referentin Andrea Kothen im BR-Interview. Das Problem ist laut Kothen aber, dass diese Konzepte nicht funktionieren.

"Offensichtlich hat hier jegliche Form der Absicherung gefehlt", so Andrea Kothen über den Fall in Nürnberg. Viele Akteure, wie Verbände und Kommunen, verfügten zwar über Konzepte zum Gewaltschutz, doch seien diese oft nicht verbindlich. Auch würden Umsetzung und Wirksamkeit nicht überprüft, so Kothen. Im Gewaltschutzkonzept der bayerischen Staatsregierung seien Übergriffe durch das Sicherheitspersonal kein Thema, kritisiert die Referentin von Pro Asyl.

Studie: Massenunterkünfte begünstigen Angst

Ein Schattenbericht von Pro Asyl, Flüchtlingsräten und der Universität Göttingen zur Istanbul-Konvention kommt zu folgendem Ergebnis: Nicht nur der fehlende Gewaltschutz sei das Problem, sondern das ganze Setting der Massenunterkünfte an sich sei gewaltvoll, so Andrea Kothen. Gerade in Bayern seien diese zahlreich und häufig "sehr einschüchternd" und verängstigten Frauen. Sicherheitsmängel wie nicht abschließbare Zimmertüren und Sanitärbereiche sowie die Unterbringung auf engem Raum sorgten für Frustrationspotenzial und gefährdeten Frauen zusätzlich, so Kothen weiter.

"Es ist ein Drama, dass man Menschen so unterbringt, dass Security notwendig ist." Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl e.V.

Massenunterkünfte seien der falsche Weg, für die Geflüchteten müssten Wohnungen gesucht werden.

"Niemand weiß, wie viele Frauen betroffen sind"

Im Bayerischen Landtag habe es erst dieses Jahr eine Anhörung zu Gewaltschutz von geflüchteten Frauen gegeben, so Simone Eiler vom Bayerischen Flüchtlingsrat im BR-Interview. Dabei ist ihr der Bericht einer Betroffenen im Gedächtnis geblieben: Ihr zufolge habe niemand eine Ahnung, wie viele Verdachtsfälle, Vorwürfe und Betroffene es tatsächliche gebe. Laut Eiler brauche es eine andere Form der Datenerfassung als die der Kriminalstatistik - das sei die einzige Statistik auf die verwiesen werde.

Auch sie unterstreicht, dass es in Bayern mittlerweile viele Gewaltschutzkonzepte gebe. Welche Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, dazu gebe es keine Informationen, so Simone Eiler weiter. Zudem finde keine Überprüfung statt, die Konzepte seien nicht flächendeckend im Einsatz und auch nicht rechtsverbindlich. In der Einzelfallberatung stelle sich heraus, dass die Unterkünfte kein geschützter Raum seien: Es komme immer wieder zu Übergriffen auch durch Mitarbeitende in den Unterkünften. Betroffene Frauen wüssten häufig nicht, wohin sie sich wenden könnten.

Security-Mitarbeitende als Ansprechpersonen?

Die fragliche Asylbewerberunterkunft in Nürnberg ist laut Angaben der Regierung von Mittelfranken nahezu voll ausgelastet – nur Frauen und ihre Kinder sind dort untergebracht. "Es ist Aufgabe der Sicherheitskräfte, die Zugangskontrolle sicherzustellen und den Aufenthalt Unbefugter in der Unterkunft bzw. auf dem Areal der Unterkunft zu unterbinden", heißt es von der Regierung. Doch nicht nur das: Sie sollen auch "Ansprechpersonen vor Ort" sein bei "sich anbahnenden Konflikten, Gefahren- und Krisensituationen".

Letzteres ist für Andrea Kothen nicht nachvollziehbar. "Da muss man nicht weit denken. Welche Ausbildung haben Security-Mitarbeiter und welche haben Konfliktvermeider?", fragt Kothen. Privaten Sicherheitsfirmen sollten ihr zufolge keine sozialberaterischen Aufgaben überlassen werden.

Sicherheitspersonal als Streitschlichter?

In der Praxis sind Security-Mitarbeitende häufig als deeskalierende Personen im Einsatz, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft (BDSW) Andreas Paulick im Interview mit dem BR. Sie verfügten häufig über Schulungen in interkulturellen Kompetenzen, um streitschlichtend zwischen ethnischen Gruppen zu handeln.

"Übergriffe gegenüber Schutzbefohlenen sind inakzeptabel und dürfen nicht toleriert werden. Solche Einzelfälle bringen leider die ganze Branche in Verruf", so Paulick. "Denn in den allermeisten Flüchtlingsunterkünften wird vom Sicherheitspersonal gute und verantwortungsvolle Arbeit geleistet – oft unbeachtet unter schweren Bedingungen." Leider aber würden die Auftraggeber oft die billigsten Anbieter auswählen. Weshalb die Auswahl oft vom Preis bestimmt werde, nicht von der Sicherheit. Für die Ausschreibung hält Andreas Paulick somit eine Sicherheits- und Gefährdungsanalyse vorab für wichtig: Welche ethnischen, welche Altersgruppen, welche Personenkonstellationen halten sich in der Unterkunft auf?

Steigende Geflüchtetenzahlen: Problem erkannt?

Streitschlichter sind allerdings keine Sozialberater oder gar Ansprechpartner in Situationen wie der in der Nürnberger Unterkunft. Solche Mitarbeitenden sind bei den Betreuungsverbänden knapp. So wie auch bei der Diakonie Bayern: Rund 250 Diakonie-Mitarbeitende sind bayernweit beratend in Asylunterkünften tätig – und von zehn von ihnen arbeiten sieben ehrenamtlich, sagt Diakonie-Sprecher Daniel Wagner im Gespräch mit dem BR. Die Personalknappheit setze sich vor allem bei Dolmetschern und Kulturmittlern fort. Zur Sprachbegleitung biete die Diakonie ein Programm an, das diese mit Beratern vor Ort zusammenbringt. Die Betreuer würden tun, was sie könnten, die Zahl der Geflüchteten aber steige stetig.

Doch: Laut Daniel Wagner habe die Staatsregierung das Problem verstanden und reagiere nun mit einer Mittelaufstockung für insgesamt 50 verbandsübergreifende, zusätzliche Stellen. Zwar sei das finanzielle Engagement anerkennenswert, so Wagner weiter, doch er befürchtet, dass auch das nicht ausreichen werde.

Mutmaßlicher Vergewaltiger in U-Haft

Der 54-jährige mutmaßliche Vergewaltiger in Nürnberg befindet sich seit Januar dieses Jahres in Untersuchungshaft. Neben der mindestens 72-fachen Vergewaltigung wird ihm auch die Vergewaltigung in fünf Fällen einer zweiten Bewohnerin der Unterkunft vorgeworfen, auch soll er eine dritte Frau sexuell belästigt haben.

Der Angeschuldigte bestreitet die Vorwürfe. Wie die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth dem BR auf Nachfrage bestätigte, hatte der Mann vor seiner Festnahme selbst Anzeige wegen Verleumdung gegen eine der Frauen gestellt. Nach seinen eigenen Anschuldigungen ermittelte die Polizei, am Ende stand die Festnahme des mutmaßlichen Vergewaltigers. Die Strafkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth entscheidet nun, ob sie die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zulässt und das Hauptverfahren eröffnet.

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