Das Ortsschild der rund 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde Langweid im Norden von Augsburg. Eine Bluttat sorgte hier im Juli 2023 für Entsetzen.
Bildrechte: BR/Barbara Leinfelder

In der 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde sorgte der Dreifachmord im Juli 2023 für Entsetzen.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Dreifachmord von Langweid: Justiz sieht volle Schuldfähigkeit

Ein Mann erschießt drei Mitbewohner seines Hauses und verletzt zwei Menschen schwer – die Bluttat im Juli 2023 hat den Ort Langweid im Norden von Augsburg erschüttert. Seit heute steht der 64-jährige Sportschütze vor Gericht. Die Hintergründe.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Wegen der Ermordung dreier Nachbarn durch gezielte Kopfschüsse steht seit dem heutigen Dienstag ein 64 Jahre alter Sportschütze vor dem Augsburger Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft Gerhard B. neben dem dreifachen Mord auch versuchten Mord in zwei Fällen sowie gefährliche Körperverletzung vor.

Da das Mobiltelefon eines der Opfer während der Tat wohl zufällig gerade eine Audioaufnahme erstellte, konnten die Ermittler das Geschehen exakt rekonstruieren. Der Tonmitschnitt soll später im Lauf des Prozesses vorgespielt werden.

Immer wieder Streit unter Nachbarn

Zum Auftakt der Verhandlung wurde heute die Anklageschrift durch Staatsanwalt Thomas Junggeburth verlesen. Dem folgte der 64-jährige Angeklagte regungslos. An Händen und Füßen gefesselt, war er in den Gerichtssaal geführt worden. Es habe immer wieder Streit unter den Nachbarn in der Schubertstraße in Langweid gegeben, so der Staatsanwalt.

Der Angeklagte habe den anderen Mitbewohnern Vorgaben machen wollen und habe ein "impulsives Verhalten" an den Tag gelegt, wenn sich die Nachbarn nicht seinen Vorstellungen gemäß verhalten hätten. Mal ging es um die Mülltonnen, mal um die Lautstärke der Gespräche auf der Terrasse. Immer wieder wurde auch die Polizei verständigt. So auch am Tattag, am letzten Freitag im Juli vergangenen Jahres, als die Lage eskalierte.

Angeklagter tötete innerhalb von 16 Sekunden drei Menschen

Der Angeklagte habe einen Nachbarn beschimpft, der seinerseits mit Beleidigungen reagiert haben soll. Als dieser dann auch noch die Polizei alarmierte, war laut Staatsanwaltschaft das Maß für den Angeklagten voll.

Der Angeklagte habe sich laut Staatsanwaltschaft zurückgezogen, seine Pistole geladen, für die er als Sportschütze eine Erlaubnis hatte, er habe sich Ohrenschützer aufgesetzt und im gemeinsamen Treppenhaus aus kurzer Entfernung auf ein 49 und 52 Jahre altes Nachbarehepaar gefeuert. Der Mann war gerade dabei, die Wocheneinkäufe ins Haus zu tragen. Nur vier Sekunden später habe der Angeklagte auf die nachfolgende Ehefrau des Nachbarn geschossen und dann noch einen zweiten Kopfschuss versetzt abgegeben. Beide Opfer starben noch im Flur des Hauses an ihren schweren Verletzungen.

Anschließend soll er eine 72 Jahre alte Nachbarin durch deren Wohnungstür erschossen haben. Die Frau hatte wohl wegen der Schüsse durch den Türspion geschaut. Darauf soll der Angeklagte spekuliert und der Frau durch einen Schuss knapp neben den Spion ebenfalls in den Schädel gefeuert haben. Laut Anklageschrift dauerte die Tötung der drei Menschen gerade einmal 16 Sekunden.

Dann setzte sich der Mann ins Auto, fuhr zum Sohn der Nachbarin und eröffnete dort vor der Haustür das Feuer. Der Sohn konnte die Tür gerade noch rechtzeitig zudrücken, erlitt wie seine Partnerin aber einen Streifschuss.

B. besaß Waffe legal

Der Angeklagte hatte seit 1987 eine Waffenbesitzkarte, die damals vom Landratsamt Dillingen ausgestellt worden war. Seit 1990 lebt er im Landkreis Augsburg. Hier ließ er 1999 auch eine großkalibrige neun Millimeter Pistole auf sich eintragen, besaß sie damit also legal.

Mit dieser Waffe soll er im vergangenen Juli die drei Menschen aus der Nachbarschaft getötet und die beiden weiteren verletzt haben. Bei seiner Festnahme im angrenzenden Industriegebiet wurden in seinem Auto eine weitere scharfe Waffe, ein durchschlagstarker Revolver, sowie eine größere Menge Munition gefunden.

Zu den Vorwürfen gegen ihn hat sich der 64-Jährige bislang nicht geäußert, auch zum Prozessauftakt schwieg der Mann. Die Ermittler gehen davon aus, dass das Motiv für die Tat in der Persönlichkeitsstruktur des Mannes sowie in den jahrelangen Streitigkeiten mit den Nachbarn liegt. Laut seinem Verteidiger Walter Rubach könne er sich wohl nur noch bruchstückhaft an das Geschehen erinnern. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei jedoch zu keiner Zeit eingeschränkt gewesen, so der Staatsanwalt. Der Angeklagte gilt somit als voll schuldfähig.

So reagieren die Menschen in Langweid

Der Tatort, ein Mehrfamilienhaus, liegt in einer ruhigen Seitenstraße unterhalb der Schule. Jürgen Gilg, der Bürgermeister der Kommune, wohnt nur einen Steinwurf entfernt. Er bekommt den Polizeieinsatz am Abend des 28. Julis mit. Die gesamte Gemeinde sei geschockt, äußerte er einen Tag später gegenüber dem BR.

Bei den Menschen in Langweid hat sich die Tat tief eingebrannt - auch weil ein Jugendlicher beide Eltern verlor. Schon allein deshalb ist aktuell das Interesse am Gerichtsverfahren groß. Insgesamt sechs Angehörige der Getöteten und die Verletzten begleiten das Verfahren als Nebenkläger.

Auch die Mutter des getöteten Mannes tritt als Nebenklägerin auf. Ihre Anwältin, Isabel Kratzer-Ceylan, sagte dem BR, ihre Mandantin "leide furchtbar unter dem Verlust". Ihr Sohn und sie hätten ein enges Verhältnis gehabt, jeden Tag zumindest miteinander telefoniert und sich regelmäßig gesehen. Dass er auf diese Art aus dem Leben gerissen wurde, sei für seine Mutter kaum auszuhalten.

Klare Mordmerkmale laut Ankläger erfüllt

Die Staatsanwaltschaft Augsburg sieht zwei Mordmerkmale als erfüllt – einmal die niedrigen Beweggründe und einmal Heimtücke, so Gerichtssprecher Christoph Kern: "Heimtücke ist juristisch gesehen, dass man sich in einem arg- und wehrlosen Zustand befindet. Das heißt, dass man keinen Angriff und auch keine Tötungsabsicht eines anderen vorhersieht."

Es gehe also laut der Anklage darum, dass der Angeklagte in einer Situation auf die Opfer geschossen haben soll, in der sie keinen Angriff erwarten konnten. Den Ermittlern zufolge hat der 64-Jährige den Opfern regelrecht im Hausflur aufgelauert und ohne Vorwarnung aus nächster Nähe auf sie geschossen.

Kritik an Kontrollpraxis

Der Angeklagte Gerhard B. sei als Sportschütze zuletzt 2022 überprüft worden, so das Augsburger Landratsamt auf Anfrage des BR. Spätestens alle drei Jahre werden darüber gesetzlich vorgeschriebene Auskünfte des Verfassungsschutzes und der Polizei, aus dem Bundeszentralregister und dem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister eingeholt. Daneben gebe es stichprobenartige Aufbewahrungskontrollen, bei denen eine Mindestanzahl an Waffenbesitzern pro Jahr kontrolliert werden müsse, so eine Sprecherin der Behörde.

Unklar ist jedoch, warum B. trotz mehrerer Anzeigen seiner Nachbarn und zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzungen seine Waffen behalten durfte, meint der Hamburger Waffensachverständige und Journalist Lars Winkelsdorf. Er stelle immer wieder fest, dass es an der Kommunikation zwischen Aufsichtsbehörden und der Polizei hapere, so der Experte gegenüber dem BR.

Denn eigentlich sei die Rechtslage klar, wenn ein Sportschütze mit dem Gesetz in Konflikt komme: "Aufgrund der Gefährdung, die sich da ergeben kann, kann die Waffenbehörde tatsächlich unmittelbar vorbeikommen - teilweise gleich am nächsten Tag - und die Waffen sicherstellen."

Allerdings seien viele Ämter unterbesetzt: "Und das kann dann eben dazu führen, dass solche Nachfragen bei den Polizeidienststellen schlicht übersehen werden. Das ist der zentrale Fehler im Waffenrecht – also wir haben nicht ein Defizit an Gesetzestexten, wie es gerne dargestellt wird. Wir haben ein Defizit bei der Umsetzung."

Keine stärkeren Kontrollen seit Vorfall

Zum Vergleich: Für den Vollzug des Waffenrechts sind beim Landratsamt Augsburg rund vier Vollzeitstellen vorgesehen, die unter anderem die Aufbewahrungskontrollen durchführen. Dem stehen laut Amt 29.000 scharfe Waffen von Jägern, Sportschützen, Sammlern und anderen Personen gegenüber.

Stärker kontrolliert werde seit dem Vorfall jedoch nicht, sagt der Augsburger Landrat Martin Sailer gegenüber dem BR: "Bezüglich der Waffenkontrollen wurden nach den Vorfällen in Langweid von Seiten des Landkreises Augsburg keine neuen Maßnahmen ergriffen, da wir bereits zuvor konsequent und den ministeriellen Vorgaben entsprechend kontrolliert haben."

Die tragischen Vorfälle hätten allerdings erneut gezeigt, wie wichtig es sei, den gesetzlich vorgegebenen, regelmäßigen Kontrollen nachzukommen, so Sailer. Allerdings könnten "auch regelmäßige Waffenschrankkontrollen nicht verhindern, dass rechtmäßige Waffenbesitzer mit ihren legalen Waffen Straftaten begehen."

Das Verfahren wird am Mittwoch mit ersten Zeugen fortgesetzt. Dann sollen mehrere Polizisten aussagen. Zuvor hat jedoch der Angeklagte am Vormittag die Gelegenheit, sich zu der Tat zu äußern. Ob er davon Gebrauch machen wird, ist allerdings ungewiss.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!