Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München,
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Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München.

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Virologin Protzer: "Der erste Umgang war beeindruckend"

Webasto, Ischgl und warum die schwereren Krankheitsverläufe erst später kamen: Sechs Monate nach der ersten Infektion mit dem Coronavirus ordnet die Münchner Virologin Prof. Ulrike Protzer die Ereignisse rückblickend ein.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

BR24: Websto ist vor einem halben Jahr als erstes deutsches Unternehmen von der Coronakrise betroffen gewesen. Ist der Zulieferer aus Ihrer Sicht vorbildlich mit der Situation umgegangen?

Prof. Ulrike Protzer: Das war schon sehr beeindruckend. Das hat sehr gut funktioniert, weil die Firma sehr kooperativ war und das natürlich auch ein kleiner Ausbruch war: Der ließ sich gut begrenzen, das war eine Person, die das Virus eingeschleppt hat. Man hat relativ schnell die Kontaktpersonen ausfindig machen können und konnte die Ausbreitung damit schnell wieder in den Griff bekommen.

Ganz anders war das dann im März, als wir sehr sehr viele verschiedene Einträge aus Südtirol und aus Österreich hatten. Dann war es extrem schwierig, die Kontakte noch nachzuverfolgen. Es war nicht mehr möglich, das auf diesem Wege in den Griff zu bekommen und deswegen musste man dann eben andere Maßnahmen ergreifen.

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BR24: Können also Orte wie Ischgl für den massiven Anstieg der Infektionen in Bayern und Österreich verantwortlich gemacht werden?

Prof. Ulrike Protzer: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten: Wir wissen, dass die ersten Ausbrüche aus Italien kamen und Südtirol und Österreich liegen ja nicht so weit auseinander. Dass es da zu einer Einschleppung von Infektionen - nach Ischgl oder auch zu anderen Skiorten - kommt, verwundert einen nicht.

Doch in Ischgl herrscht eine Feierkultur, die die Verbreitung von Infektionen sehr begünstigt: Wenn die Menschen nahe beieinander stehen, wenn sie gemeinsam singen, vielleicht laut sprechen oder sogar schreien. Wenn ein bisschen Alkohol dazu kommt und man dann selbst die natürliche Distanz vergisst, dann überträgt sich ein solches Virus einfach sehr leicht. Und das ist, glaube ich, das, was passiert ist.

Wenn man sich beispielsweise die Infektionsrate, die die Forscher in Ischgl ermittelt haben, anschaut, dann ist es die höchste, die bisher weltweit bekannt ist. Also von den Einwohnern in Ischgl selbst sind wohl 42 Prozent infiziert gewesen. Das ist exorbitant hoch! Vergleicht man das beispielsweise mit New York, wo es etwa 10 Prozent sind, oder Spanien, wo man fünf Prozent hatte. Dann wird einem klar, wie viel das in Ischgl tatsächlich war und dass es sich dann natürlich von dort verbreitet hat und die Touristen haben es dann mit nach Hause genommen.

Also Ischgl war tatsächlich ein Hotspot, der erheblich zur Ausbreitung in Bayern, in Österreich, aber auch in Baden-Württemberg beigetragen hat. Eben in allen Ländern, wo Skifahrer zurückgekommen sind.

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BR24: Warum hatten die ersten Infektionen in Bayern vergleichsweise milde Symptome? Es kam ja erst ab März zu einer deutlichen Zunahme der schwereren Fälle.

Prof. Ulrike Protzer: Das waren am Anfang "relativ" milde Symptome. Denn selbst bei den ersten 14 Fällen im Webasto-Cluster waren ja schon Patienten dabei, denen es einfach nicht gut ging - die richtig krank waren und das auch für deutlich mehr als eine Woche.

Aber: Es ist damals niemand auf der Intensivstation gelandet. Das lässt sich erklären, wenn man sich den Altersdurchschnitt anschaut: Bei den Webasto-Mitarbeitern waren das ja alles relativ junge Mitarbeiter, die sich infiziert hatten. Deren Angehörige, die vielleicht mitinfiziert wurden, waren auch jung. Da ist die Chance, dass man da auf die Intensivstation muss, geringer. Das war auch in den ersten Phasen, in denen hauptsächlich Skifahrer und deren näherer Umkreis betroffen war, der Fall. Da war es ein kleiner Prozentsatz, der auf der Intensivstation gelandet ist und natürlich auch ein kleinerer Prozentsatz, der gestorben ist.

Als wir dann ein Überspringen auf die Altersheime und Pflegeheime hatten, haben wir dann eine deutliche Zunahme der schweren Fälle gesehen. Es ist bekannt, dass das absolut altersabhängig ist.

Das erklärt auch, warum wir dann doch insgesamt eine ungewöhnliche Letalität hier in Bayern hatten. Die liegt ja mit derzeit über 2 Prozent schon deutlich über dem, was man international erwarten würde. Das erklärt sich durch den Altersschnitt. Am Anfang war unsere Letalität, also das Risiko, daran zu sterben, auch sehr gering. Und später ist sie dann deutlich angestiegen - als es dann eben die ältere Bevölkerung getroffen hat.

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