Kind auf Schaukel, Erwachsene schiebt an
Bildrechte: Balu und Du / Besim Mazhiqi

"Balu und Du" ist ein Verein mit einem besonderen Bildungsangebot. Junge Erwachsene unternehmen etwas mit Grundschulkindern.

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Kindern helfen: Wenn "Balu" das Vorbild ist

Das Ehrenamt spielt in Schulen eine immer größere Rolle. Freiwilligenvertreter legen aber Wert darauf, nicht für klassische Schulaufgaben eingespannt zu werden. Es geht um zusätzliche Angebote, die nicht weniger wertvoll sind als Deutsch oder Mathe.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Aurelia steht vor der Schule und wartet auf Viktoria. Gleich werden sie, wie jede Woche, gemeinsam losziehen und etwas Spannendes erleben. Es ist wie bei Balu und Mogli im Dschungelbuch: Die 25-jährige Aurelia ist "Balu der Bär", die achtjährige Viktoria der kleine Mogli, der noch so viel über das Leben im Dschungel lernen muss.

"Balu und Du" ist ein Verein mit einem besonderen Bildungsangebot, das Themen umfasst, die in der Schule eher weniger Platz haben. Junge Erwachsene unternehmen etwas zu zweit mit Grundschulkindern, ein Jahr lang, einmal die Woche. Ganz nebenbei lernen die Kleinen von ihren großen Balu-Vorbildern. Es ist eine von vielen solcher Initiativen, die es immer mehr gibt.

Kinder lernen nicht nur in der Schule

Aurelia ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Agrarwissenschaften der TU München. Sie ist Balu. Viktoria ist Mogli und geht in eine Freisinger Grundschule. Die Eltern der Achtjährigen kommen aus Moldawien und der Ukraine und sind erst seit Kurzem in Deutschland. Beide sprechen kaum Deutsch und müssen ganztägig arbeiten. Entsprechend wenig können sie sich um ihre Tochter kümmern, die oft allein zuhause ist.

Darum wurde Viktoria bei "Balu und Du" aufgenommen. Das ist ein Verein, der "Balus" wie Aurelia anwirbt und ausbildet. Lehrer aus Partnerschulen von "Balu und Du" melden Kinder, bei denen sie Förderbedarf sehen.

Unbeschwert Spielen

"Handy und Schule", so sagt Aurelia, seien die beiden Hauptfaktoren, die das Leben von Viktoria bestimmen. Jedoch einmal die Woche, einen Nachmittag lang, unternehmen die beiden Dinge, bei denen "Handy und Schule" explizit keine Rolle spielen. Auch zum Beispiel Hausaufgaben machen soll in dieser Zeit nicht stattfinden, so gibt es "Balu und Du" vor.

Heute wollen die beiden auf einen Abenteuerspielplatz gehen. Dort toben sie auf einem Klettergerüst und auf einer riesigen Schaukel. Außerdem hat Aurelia für später auch Nadel und Faden dabei. Viktoria bastelt so gern und sie wollen Ketten auffädeln.

Ganz nebenbei lernen

Sabine Fincks leitet die Anlaufstelle für Schule und Ehrenamt bei FöBE, Netzwerk- und Fachstelle das Bürgerschaftliche Engagement in München. Ihr Ziel ist es, engagierte Bürger und Vereine mit Schulen zusammenzubringen. Auch "Balu und Du" hat sie im Angebot, denn der Verein ist nicht nur in Freising tätig, sondern bundesweit.

"Die Herausforderungen der Gesellschaft sind vielfältig", sagt Sabine Fincks. "Eltern und Schule sind damit oft überfordert. Grund ist hier oft nicht böser Wille oder mangelndes Engagement, es ist einfach die Menge der Herausforderungen und die Komplexität der modernen Welt." Sie nennen es informelles Lernen: "Wie man Zug fährt, wie man Bus fährt oder wie man mit Kindern umgeht, die vielleicht mit einem interagieren wollen, die mit einem spielen wollen oder wie man auf Erwachsene zugeht, wenn man etwas möchte. Das haben wir ganz viel geübt und gelernt", erklärt Aurelia. "Es passiert ganz nebenbei: Wenn wir irgendwo hinfahren, wenn wir andere Kinder auf der Straße oder im Schwimmbad treffen."

Wie groß ist der Erfolg?

49 solcher Tandems gibt es aktuell in Bayern, Tendenz steigend. Prof. Fabian Kosse von der Uni Würzburg begleitet "Balu und Du" seit zwölf Jahren wissenschaftlich. Eine seiner Forschungsaufgaben ist die Untersuchung von gesellschaftlicher Ungleichheit. "Balu und Du", so die Erkenntnisse aus den Jahren, ist ein sehr wirksames Mittel, um hier gegenzusteuern. "Kinder aus benachteiligten Haushalten entwickeln sich anders als Kinder aus bildungsnahen Familien. Es geht um Selbsteinschätzung, soziale Fähigkeiten, aber auch um die Möglichkeiten, die sie in der Schule haben. Und das Interessante ist, dass Balu und Du dabei hilft, dass sich solche Lücken schließen oder zumindest kleiner werden."

Die Moglis und Balus treffen sich ein Jahr lang, einmal die Woche. Fabian Kosses Forschungen haben ergeben, dass dieser relativ kurze Zeitraum ausreicht, das Leben der Kinder nachhaltig zu ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mogli später das Gymnasium besucht, steigt um 20 Prozent. Der Unterschied zu Kindern aus privilegierten Haushalten hat sich damit um 50 Prozent verringert. Ähnlich sieht es etwa beim Sozialverhalten aus, bei der Selbstständigkeit oder dem Risiko später einmal selbst arm zu sein.

Senioren helfen beim Streitschlichten in der Schule

Szenenwechsel: Mechthild Müller und Ludwig Schmitt kommen immer freitags in die Reutersbrunnenschule in Nürnberg. Von der ersten bis zur sechsten Stunde können Schüler zu ihnen kommen, wenn sie Streit haben. Meist geht es um Konflikte untereinander, etwa auf dem Schulhof. Die beiden Konfliktparteien treffen sich dann bei den beiden Streitschlichtern in einem extra bereitgestellten Raum in der Schule.

"Es geht um eine wertschätzende Kommunikation. Beide werden gehört und ernst genommen. Es geht nicht darum, einen Schuldigen zu identifizieren oder sogar zu bestrafen", erzählt Mechthild Müller. "Jeder wird in seinen Bedürfnissen wahrgenommen. Wir müssen dann oft gar nicht so viel tun. Die Kinder erkennen oft selbst die Lösung und wie sie künftig miteinander umgehen, damit es nicht wieder zu so einem Konflikt kommt", fügt Ludwig Schmitt hinzu.

Beide gehören zum Verein "Seniorpartner in School". An knapp 70 Schulen in Bayern sind Mediatoren, immer in Zweierteams, beschäftigt. In besonderen Kursen werden immer neue Mediatoren ausgebildet, denn die Nachfrage der Schulen ist groß. "Wir wollen unser Wissen ja den Kindern weitergeben. Im besten Fall sind sie dann in der Lage, selbst Konflikte zu lösen und gewaltfrei zu kommunizieren", betont Mechthild Müller.

Vereine haben großen Wert für Gesellschaft

Zwei Beispiele aus vielen. Knapp hunderttausend Vereine gibt es in Bayern. Das Potenzial, auch an Schulen aktiv zu werden, ist damit sehr groß, genauso der Wert, den Vereine für die Gesellschaft haben können. Aurelia und Viktoria haben sich inzwischen eine Bank auf dem Spielplatz gesucht und basteln jetzt Ketten aus Hagebutten und Kastanien. Nächste Woche, wenn sie sich wieder treffen, wollen sie zum Trampolinspringen gehen. Darauf freuen sie sich schon beide!

Hinweis: Wir hatten in einer früheren Version von "Sozial benachteiligten Kindern" gesprochen. Dieser Begriff ist stigmatisierend. Wir haben das korrigiert.

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