Schild mit der Aufschrift "Gendern verboten" (Symbolbild)
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Söders Gender-Verbot: Viel Wirbel und offene Fragen

Bisher betonte Ministerpräsident Söder, jeder könne in Bayern reden, wie er wolle. Jetzt will er das Gendern in Schulen und Verwaltung verbieten. Welche Pläne gibt es? Drohen Sanktionen? Wie reagieren Lehrerverbände?

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Es waren keine 20 Sekunden der 76-minütigen Regierungserklärung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) – die Wirkung aber war groß: Im Landtagsplenum gab es für die Ankündigung eines Gender-Verbots begeisterten Beifall der Abgeordneten von CSU, Freien Wählern und AfD, kurz darauf verschickten mehrere Medien die Nachricht als "Eilmeldung".

Doch was bedeutet Söders Ankündigung konkret? Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es? Kann es in Bayern künftig Strafen fürs Gendern geben? Was sagen Lehrer- und Elternvertreter dazu? Und was bedeutet Gendern eigentlich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Gendern: Was möchte Söder?

Söder warf in seiner Regierungserklärung am Dienstag der Ampel-Bundesregierung vor, sich nicht um die wesentlichen Probleme zu kümmern, sondern manche Dinge voranzubringen, "die nicht für alle entscheidend sind". Als Beispiele nannte er die geplante Cannabis-Legalisierung, das Selbstbestimmungsrecht und "all die Debatten" ums Gendern: "Haben wir denn eigentlich keine anderen Probleme in Deutschland, als dass wir uns damit beschäftigen müssen?" In Bayern werde es kein verpflichtendes Gendern geben. "Im Gegenteil, wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltungen sogar untersagen, meine sehr verehrten Damen und Herren."

Nähere Angaben machte Söder in seiner Rede nicht. Auch aus der Staatskanzlei ist nicht mehr zu erfahren. Auf die BR24-Anfrage, wann das Verbot konkret kommen soll, wie es aussehen könnte und welche Sanktionen denkbar wären, teilte ein Sprecher lediglich mit: "Gestern in der Regierungserklärung ist alles gesagt worden, Details werden nun erarbeitet."

Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) betonte wenig später, gerade an Schulen und in der Verwaltung sei es wichtig, eine verständliche Sprache zu pflegen – "und nicht das Erlernen unserer Muttersprache unnötig zu erschweren". Mit dem Gender-Verbot halte sich der Freistaat "konsequent an die klare Empfehlung des Rates für deutsche Rechtschreibung, so wie es andere Länder auch schon tun, zum Beispiel Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Schleswig-Holstein". In der Tat: In einigen Bundesländern gelten bereits Verbote oder es gibt entsprechende Bestrebungen.

Warum kommt Söders Forderung jetzt?

Das Thema Gendern ist schon seit mehr als zwei Jahren fester Bestandteil von Söders Parteitags- und Bierzeltreden. Bisher beschränkte sich der Ministerpräsident und CSU-Chef aber auf das Versprechen, dass es in Bayern keinen Genderzwang geben werde. Zugleich betonte er stets, dass der Freistaat Vorgaben ablehne. So schrieb Söder vor zwei Jahren auf Facebook: "Jede und jeder darf Sprache verwenden, wie sie und er will. (...) Bayern ist ein Freistaat und kein Belehrungsstaat." Noch am 14. Juli dieses Jahres betonte er mit Blick aufs Gendern: "Jeder soll es persönlich halten, wie er es will!" Die Frage, warum der Ministerpräsident jetzt ein Verbot will, lässt die Staatskanzlei unbeantwortet.

Die Bundesregierung hatte schon vor Monaten mehrfach Vorwürfe aus der CSU zurückgewiesen, die Ampel wolle das Gendern staatlich verordnen und es drohten Sanktionen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) beklagte vor einem Jahr "falsche Tatsachenbehauptungen".

Die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze warf Söder am Dienstag im Plenum eine "Obsession für das Thema Gendern" vor: "Wenn hier jemand eine Verbotspartei ist, dann sind Sie es. Für uns Grüne gilt: Redet doch, so wie ihr möchtet!" Der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek dagegen sieht in Söders Ankündigung ein "klares Zeichen, dass nicht die Ideologie zählt, sondern der gesunde Menschenverstand". In Schulen und Verwaltung wolle man das Gendern verbieten, sonst sei "jeder frei, das zu tun, wie er will".

Was sagt die Kultusministerin?

Die bayerische Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) reagierte zurückhaltend auf Söders Vorstoß. "Wir haben an den Schulen bereits einen klaren Leitfaden zur sprachlichen Repräsentanz der Geschlechter", teilte Stolz auf BR-Anfrage mit. Das Ministerium werde jetzt prüfen, ob es Änderungsbedarf gebe. "Eines ist mir ganz wichtig: Wir wollen und werden gute und verlässliche Regelungen für alle Beteiligten finden."

Dagegen versicherte der für die Hochschulen zuständige Wissenschafts- und Kunstminister Markus Blume (CSU), in seinem Bereich werde das Verbot "selbstverständlich" umgesetzt. Konkreter wurde er allerdings nicht.

Ist ein solches Verbot rechtlich möglich?

Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis erläuterte im Bayern2-Interview, Söder könne über das zuständige Ministerium den Lehrern die Anweisung geben, "dass im Unterricht und insbesondere bei Klassenarbeiten das Gendern nicht erlaubt" ist. Lehrerinnen und Lehrer seien Staatsbedienstete. Allerdings könne eine solche Anweisung nur für den Schulbetrieb gelten, nicht dafür, "wie sie zu Hause reden". Der Jurist betonte, dass es aber eine "nur begrenzt wirksame Anweisung" wäre: "Wie die Schülerinnen und Schüler sprechen und schreiben – das kann der Staat nicht vorschreiben."

Welche Sanktionen könnte es fürs Gendern geben?

Nach Ansicht des Juristen Battis wären Strafen für Verstöße gegen ein Gender-Verbot "sicher unverhältnismäßig". Er glaubt nicht, dass hier das Strafrecht zum Zuge kommen wird: "Das ist doch eine weitgehende und in Grundrechte scharf eingreifende Sanktion, die meines Erachtens in diesem Zusammenhang gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde." Bei Lehrerinnen und Lehrern könnte man dem Staatsrechtler zufolge aber "disziplinarrechtlich vorgehen" und wegen eines Verstoßes gegen die Amtspflichten zum Beispiel einen Verweis aussprechen.

CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek (CSU) sagte vor Journalisten dazu, es gehe nicht um Bestrafung. "Ich gehe davon aus, dass sich jeder Lehrer an das hält, was sein Kultusministerium ihm möglicherweise sagt."

Wie schnell soll das Verbot kommen?

Holetschek geht davon aus, "dass die Kultusministerin das jetzt sehr schnell umsetzt". Ob zum neuen Schuljahr oder schon vorher, wisse er nicht. Aber das Verbot lasse sich ja mit einem Schreiben oder einer Bekanntmachung in die Verwaltung einspeisen, "möglichst unbürokratisch". Söder habe seine Aussage getroffen. "An sich kann sich jetzt schon jeder daran halten."

Was bedeutet Gendern?

Welche Formen des Genderns Söder bei seiner Ankündigung besonders im Blick hat, blieb bisher offen. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg setzt "Gendern" mit "geschlechtergerechter Sprache" gleich: "Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung alle Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden." In der Praxis heißt das in der Regel, einen Weg zu finden, das "generische Maskulinum" zu vermeiden – also nicht von "Kunden", "Bürgern", "Ärzten" zu sprechen, wenn dabei sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache unterscheidet zwischen einer Reihe von Möglichkeiten. Neben der "Paarformel" oder "Doppelnennung" (zum Beispiel "Schülerinnen und Schüler") gibt es mehrere "Sparschreibungen" oder Kurzformen: die Schrägstrichlösung "(Schülerinnen/Schüler", "der/die Lehrer/-in"), die Klammerlösung wie "Fahrer(innen)" oder "Kolleg(inn)en", die "Binnenmajuskel" ("LehrerInnen"), den "Gendergap" ("Verkäufer_in", "Sammler_innen"), das Gendersternchen ("Verkäufer*in"). Hinzu kommen noch diverse Ersatzformen, darunter substantivierte Partizipien oder Adjektive ("der/die Bevollmächtigte", "die Teilnehmenden"), passive Formulierungen oder Umformulierungen mithilfe eines Adjektivs.

Was empfehlen Rechtschreibrat und Gesellschaft für deutsche Sprache?

Der Rat für deutsche Rechtschreibung befasste sich zuletzt im Juli mit den unterschiedlichen Genderformen, verzichtete aber auf neue Empfehlungen und will die Entwicklung weiter beobachten. Somit bleibt es vorerst beim Nein zum Sternchen, Unterstrich und Co. Das Gremium verwies darauf, dass bei Personenbeschreibungen Sonderzeichen im Wortinneren "nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie" gehörten. Ihre Verwendung könne in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt seien – zum Beispiel zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen ("der*die Präsident*in").

Im März 2021 hatte der Rat bekräftigt, die Aufnahme "verkürzter Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern" in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung werde zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen. Zwar solle allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden. "Dies ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann", teilte die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung damals mit.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache empfiehlt in ihren Leitlinien insbesondere die Verwendung von Doppelformen, also "die konsequente Nutzung weiblicher und männlicher Formen". Damit lasse sich eine starke Vorstellung von Frauen und Männern erzeugen. Unklar ist, ob Söder auch das bei seinem geplanten Verbot im Blick hat. Mit gewissen Abstrichen hält die Gesellschaft auch Klammer- und Schrägstrichschreibungen sowie Partizip- oder Ersatzformen für praktikabel. Gendergap, -stern und Binnen-I empfiehlt sie dagegen explizit nicht.

Was gilt bisher an Schulen?

Das Kultusministerium verweist darauf, dass schon jetzt die "Amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung in der jeweils gültigen Fassung" die verbindliche Grundlage des Unterrichts an allen Schulen sei. Die Lehrpläne wie auch die zugelassenen Lehrmittel seien eindeutig auf das Amtliche Regelwerk ausgerichtet. Ministerin Stolz sagte dem "Münchner Merkur", aktuell werde in schriftlichen Schülerarbeiten ein Gendersternchen angestrichen, aber nicht als Fehler geweitet.

Laut Ministerium wird in Schulen dem "Anliegen einer sprachlichen Repräsentanz aller Geschlechter" durch die Verwendung geschlechtsspezifischer Einzelformen ("Lehrerin"), Paarformeln ("Schülerinnen und Schüler") oder geschlechtsneutraler Ausdrücke ("Jugendliche") Rechnung getragen. Schülerinnen und Schüler dürften nicht dazu gedrängt werden, einen Gender-Stern, Unterstrich, Doppelpunkt oder "andere verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinneren" zu verwenden.

Welche Vorgaben gibt es für die Verwaltung im Bund und in Bayern?

Für Privatpersonen gibt es keine Vorgaben, aber für Verwaltungen. Im Bundesgleichstellungsgesetz heißt es, dass "Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes, die Dienstvereinbarungen der Dienststellen sowie die Satzungen, Verträge und Vertragsformulare der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen" die Gleichstellung von Frauen und Männern "auch sprachlich zum Ausdruck bringen" sollen. "Dies gilt auch für den Schriftverkehr." Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2015 und wurde zuletzt im August 2021 geändert – also von der Koalition aus CDU, CSU und SPD. Ebenfalls aus Vor-Ampel-Zeiten stammt die Vorgabe in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), dass Gesetzentwürfe "die Gleichstellung von Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck bringen" sollen.

In Bayern enthielt die "Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates" (AGO) bis Ende 2021 folgende Vorgabe: "Bei allgemeinen Personenbezeichnungen sollen möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet werden." Dieser Satz wurde Ende 2021 ersatzlos gestrichen.

In einer Broschüre des Innenministeriums für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden zur "bürgernahen Sprache in der Verwaltung" heißt es: "Machen Sie die unterschiedlichen Geschlechter auch sprachlich sichtbar". Und weiter: "Vermeiden Sie es, andere Geschlechter 'mitzumeinen', 'hineinzudenken' oder gar in eine Fußnote zu verbannen." Eine klare Absage an das generische Maskulinum. Die Broschüre empfiehlt stattdessen Paarformen ("Schülerinnen und Schüler"), geschlechtsneutrale Ausdrücke ("die Mitglieder") und Geschlechtsabstraktionen ("die Lehrerschaft", "das Lehrerkollegium"). Weiter heißt es: "Verwenden Sie bitte keine Schrägstriche, Klammern, großes 'Binnen-I' oder Sternchen."

Umfrage: Gendern für Großteil kein wichtiges Thema

Für die deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland ist gendergerechte Sprache laut einer Umfrage von Infratest dimap für den WDR kein drängendes Thema: Im September 2022 gaben 62 Prozent an, für sie sei das weniger oder gar nicht wichtig – ein leichtes Plus im Vergleich zu Oktober 2020 (+2 Punkte). Sehr oder etwas wichtig war das Gendern 36 Prozent (-2 Punkte).

Für Jüngere spielt das Thema der Umfrage eine etwas größere Rolle als für Ältere: Von den 14- bis 29-Jährigen hielten es in der Umfrage 43 Prozent für wichtig, 51 Prozent für unwichtig. Unter den 50- bis 59-Jährigen und ab 60-Jährigen hielt es ein Drittel für wichtig (31 bzw. 33 Prozent), zwei Drittel für weniger oder gar nicht wichtig (68 bzw. 66 Prozent).

Was sagen Lehrer- und Elternverbände?

Der Bayerische Philologenverband (bpv) lehnt zwar eine "vorschnelle Einführung" neuer Gender-Schreibweisen ab, hält aber ein hartes Verbot für "nicht zielführend". Es drohe eine Polarisierung in der Schulgemeinschaft. "Die Schulen in Bayern sind bislang gut mit den Vorgaben zur Rechtschreibung gefahren, die den Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung folgen", teilte bpv-Chef Michael Schwägerl mit.

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, forderte einen sensiblen Umgang mit dem Thema: "Wir wollen keine Gebote, Verbote oder enge Richtlinien an Schulen", sagte sie dem Evangelischen Pressdienst. "Wenn die Kinder aber nun gendersensibel sprechen oder schreiben – sollen wir denen einen Sechser geben?" Die Lehrkräfte seien kompetent genug, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Der Bayerische Elternverband betonte laut Deutscher Presse-Agentur, ihn lasse "diese Stichelei gegen die Ampelregierung unbeeindruckt". Söder stelle nur "in populistischer Art die geltende Rechtslage dar, wonach Deutsch die Amtssprache in bayerischen Schulen und Behörden ist". Der Landesvorsitzende des Elternverbands, Martin Löwe, betonte: "Ministerpräsident Söder verrät uns nicht, welche Sanktionen von ihm bei Zuwiderhandlung intendiert sind. Ein Verbot ohne Sanktionen hat allenfalls symbolischen Charakter."

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