Bayern hat zwar die niedrigste Armutsgefährdungsquote im Bundesvergleich. Dennoch leben im Freistaat rund zwei Millionen Menschen, die von Armut bedroht sind.
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Symbolbild zur Armut: Zwei Hände öffnen einen leeren Geldbeutel.

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Raus aus der Armut – Wie das gelingen kann

Armut, das heißt nicht immer Obdachlosigkeit und Hunger. Es bedeutet oft: kaum Geld für Kleidung, Auto, Kultur. In Bayern leben laut ifo-Institut rund zwei Millionen von Armut bedrohte Menschen. Die Frage ist, wie sie da herauskommen können.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Teufelskreis Armut: kein Geld, keine Zeit sich zu kümmern, keine Perspektive. Dazu kommen Scham und Überforderung: An wen soll ich mich wenden? Wer kann mir helfen? Die häufigsten Gründe, in Armut abzurutschen, sind: Kinder, Scheidung, Krankheit, Pflegefall in der Familie und Arbeitslosigkeit.

Laut Definition ist man von Einkommensarmut betroffen, wenn man netto weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Aber Armut bedeutet noch mehr: Wenn man sich nichts mehr leisten kann – wie ins Kino gehen, Essen gehen, Auto, Urlaub. Soziologen und Ökonomen sprechen dabei von mangelnder "soziokultureller Teilhabe".

Ein Positivbeispiel: Nach knapp 30 Jahren raus aus der Armut

Bei unseren BR24-Recherchen haben wir bei verschiedenen Verbänden und Beratungsstellen in Bayern angefragt, ob sie uns jemanden vermitteln könnten, der es geschafft hat, aus der Armut herauszufinden. Zu unserer Überraschung haben wir viele positive Beispiele zurückgemeldet bekommen. Wir erzählen hier die Lebensgeschichte von Andi Weinberger aus Straubing in Niederbayern.

Der 31-Jährige ist in Armut aufgewachsen. Sein Vater hat als Rangierer bei der Eisenbahn gearbeitet. Seine Mutter war zu Hause. Sie hat sich um die fünf Kinder gekümmert. Tagelang habe sich die Familie nur von Kartoffeln oder Nudeln ernährt, erzählt Andi Weinberger. Oder die Oma habe eine Suppe vorbeigebracht. Er ist von Geburt an auf einem Auge blind, hat einen Hauptschulabschluss und hat beruflich nie Fuß gefasst. Er musste immer kämpfen in seinem Leben. Irgendwann war er hochverschuldet. Er wurde schwer depressiv, hatte Suizidgedanken. Andi lag wochenlang in der Klinik. Er war am Tiefpunkt angelangt.

Hilfe vom Beruflichen Trainingszentrum

In der Klinik bekam Andi nicht nur medizinische und therapeutische Unterstützung. Mit ihrer Hilfe hat er auch Kontakt zum Beruflichen Trainingszentrum Straubing (BTZ) vom Sozialverband VdK aufgenommen. Das ist eine berufliche Reha-Einrichtung. Ein Team, bestehend aus einer Sozialarbeiterin, einer Psychologin und einem beruflichen Anleiter, hat ihn im BTZ aufgefangen, aufgebaut und ihm Arbeit vermittelt. So ist Andi Weinberger nach knapp 30 Jahren aus der Armut herausgekommen.

Sein Arbeitgeber ist Dimetria, eine Inklusionsfirma in Straubing, gleich neben dem BTZ gelegen. Sie bietet verschiedene Dienstleistungen an. Seit knapp vier Jahren arbeitet Andi Weinberger dort nun schon als Haushaltshilfe. Er putzt bei pflegebedürftigen Menschen, kümmert sich um ihren Haushalt.

BR24live: Raus aus der Armut - Wie das gelingen kann

Eine Hand greift in einen Geldbeutel mit Münzen.
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Eine Hand greift in einen Geldbeutel mit Münzen.

"Habe es geschafft, aus der Armut herauszukommen"

Die Arbeit sei sein Leben, erzählt Andi strahlend. "Ich liebe es, hier zu arbeiten, und ich möchte auch nicht mehr weg von hier." Der Straubinger schätzt den Zusammenhalt der Kollegen und der Chefs sowie das feste Einkommen. "Ich darf arbeiten gehen, ich kann arbeiten gehen." Dank der Arbeit sei sein Leben endlich wieder strukturiert. Er müsse zwar immer noch aufs Geld schauen, aber er habe jetzt eine eigene kleine Wohnung und eine Katze, die ihm sehr wichtig ist, wie er betont. Andi kann sich selbst versorgen, er lebt sein Leben.

Wir besuchen die Chefin von Andi Weinberger: Die beiden umarmen sich zur Begrüßung. Irene Schneider ist froh, ihn in ihrem Team zu haben. Er sei offen, freundlich und hilfsbereit. Von den Kunden kämen auch nur positive Rückmeldungen. "Andi ist ein toller Mitarbeiter, der leistet wirklich tolle Arbeit." Die ausgebildete Sozialpädagogin merkt: "Die Arbeit tut Andi gut. Er ist einfach motiviert und hat Spaß bei der Sache. Ihm ist die Arbeit sehr viel wert."

Raus aus der Armut: Durch Arbeit, Bildung und psychische Stabilität

Neben Arbeit und einem festen Einkommen gehörten auch psychische Stabilität und Selbstwirksamkeit dazu, es aus der Armut herauszuschaffen, sagt BTZ-Psychologin Karolina Stechele. Sie hat Andi Weinberger gut ein Jahr begleitet. Es selbst zu wollen, sei schon wichtig, aber die Betroffenen bräuchten auch unbedingt eine Hilfestellung, einen Anschub, um dann selbst die Schritte zu gehen.

"Wenn man von Kindheit auf gelernt hat, dass es nur Rückschläge und Brüche gibt, dass man keine Perspektive sich selber erarbeiten kann, dann ist man resigniert und hat Hilflosigkeit erlernt." Wichtig sei deshalb auch, dass die Betroffenen lernen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen: "Ich habe Einfluss auf mein Leben, ich kann etwas bewirken."

Tipps von Andi: Kämpfen - und sich trauen, Hilfe zu suchen

Das hat Andi Weinberger hinbekommen. Seine Psychologin nennt ihn ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man es aus der Armut herausschaffen kann. Er selbst ist dankbar, stolz und "einfach sehr glücklich", sagt der 31-Jährige und lacht. "Es hat sich alles zum Positiven entwickelt."

Sein Tipp für andere: "Den Kopf nicht in den Sand stecken, kämpfen, sich auch mal was trauen, Hilfe suchen und sich anderen öffnen."

Hier gibt es Hilfe und Unterstützung:

Weitere Anlaufstellen gibt es über das Bayerische Sozialministerium

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