Gut sichtbar: Das größte Gipfelkreuz in den Bayerischen Alpen steht auf der Kampenwand in den Chiemgauer Alpen.
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Gut sichtbar: Das größte Gipfelkreuz in den Bayerischen Alpen steht auf der Kampenwand in den Chiemgauer Alpen.

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Gipfelkreuz: Vom Wetterzeichen zum politischen Streitsymbol

Sollen neue Kreuze auf Berggipfeln aufgestellt werden oder nicht – diese Debatte wird, politisch aufgeladen, derzeit in Italien und Österreich geführt. In Deutschland werden Gipfelkreuze ersetzt, wenn sie morsch sind. Neue kommen eher selten dazu.

Über dieses Thema berichtet: Für Bergsteiger am .

Das Aufstellen eines neuen Gipfelkreuzes sorgt derzeit in Österreich und Italien für Diskussion. Ausgelöst wurde die Debatte vergangene Woche von einem Vertreter des italienischen Alpenvereins, Club Alpino Italiano (CAI). Er hatte gesagt und in einem Artikel geschrieben, dass keine neuen Gipfelkreuze mehr aufgestellt werden sollen. Das Thema ist über die Landesgrenze nach Österreich geschwappt - und dort hat sich nun der Präsident des österreichischen Alpenvereins (ÖAV) zu Wort gemeldet und sich ebenfalls gegen neue Gipfelkreuze ausgesprochen. Das erhitzt vor allem politische Gemüter.

"Gipfelkreuze waren schon immer ein politisches Symbol"

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Gipfelkreuze waren schon immer auch ein politisches Symbol. Das sagt die Philosophin und Bergsteigerin Claudia Paganini, die als eine der Ersten zum Thema Gipfelkreuz geforscht hat. "Beispielsweise wurde es in der Frage 'gehört Südtirol zu Italien' massiv politisch missbraucht, mit sehr nationalistischen Sprüchen.

In der Nazizeit waren die Gipfelkreuze verboten, da wurden dann die Querbalken abgenommen. Das Kreuz stand für die Nazis zu sehr für die Eigenständigkeit der Bevölkerung. In Nacht- und Nebelaktionen wurden die Querbalken dann immer wieder hinaufgetragen und von nationalsozialistischen Behörden immer wieder abgenommen."

Deutscher Alpenverein zeigt sich unaufgeregt

Präsident Roland Stierle vom Deutschen Alpenverein verfolgt die momentane Debatte in Italien und Österreich, gibt sich aber bei dem Thema gelassen. Bisher habe es beim DAV keine Diskussion dazu gegeben, denn der Alpenverein sei auch kein Eigentümer von Berggipfeln. "Der DAV hat wenig Gipfelkreuze aufgestellt. Die meisten wurden von kirchlichen oder öffentlichen Einrichtungen, Gemeinden, Tourismusverbänden oder Privatleuten aufgestellt. Aber immer nur mit der Zustimmung des Eigentümers, des Ortseigentümers. Und deswegen hat der DAV nur sehr wenig Einfluss genommen auf die ganze Entwicklung." Er persönlich finde es immer angenehm, wenn auf einem Berg ein Gipfelkreuz steht. "Für mich ist es ein Kulturgut. Wir würden aber vom DAV nicht dazu raten, neue Gipfelkreuze aufzustellen. Ich denke, in Bayern, in Deutschland gibt es auf fast allen nennenswerten Gipfeln oder Aussichtspunkten ein Kreuz. Ich glaube, das reicht auch."

Vorläufer vom Gipfelkreuz: Wetterkreuze von Hirten

Tatsächlich muss man in den bayerischen Alpen lange nach einem Gipfel suchen, der kein Kreuz auf seiner höchsten Stelle hat. Auch in den gesamten Ostalpen ist das Gipfelkreuz weit verbreitet. Vorläufer waren – vor Hunderten von Jahren - so genannte Wetterkreuze, die von Hirten und Bergbauern als Schutz fürs Vieh aufgestellt wurden. Allerdings nicht auf Gipfeln, sondern an Stellen, wo man angenommen hat, dass sie entscheidend fürs Wetter seien, sagt Claudia Paganini von der Hochschule für Philosophie in München. Erst später wanderte das Wetterkreuz auf den Gipfel.

Britische Alpinisten brachten Markierung auf die Gipfel

Gipfel zu markieren war eigentlich ein Brauch britischer Alpinisten, die Erstbesteigungen in den Ostalpen durchgeführt haben. "Da waren die Einheimischen, so wie es heute im Himalaya der Fall ist, mehr als Träger und Führer dabei," sagt Claudia Paganini. "Die Alpinisten haben dann Fahnenstangen aufgestellt, als Zeichen der Erstbesteigung und auch als Zeichen der Macht und Stärke. Die Einheimischen hatten dann Bedenken, dass man damit Gott vielleicht verärgern könnte, und so wurden diese Fahnenstangen schnell gegen Gipfelkreuze getauscht."

Das Kreuz auf dem Gipfel ist also aus zwei Traditionen entstanden - den Wetterkreuzen der Hirten und den Fahnenstangen der Alpinisten.

Grundsatzfrage Umgang mit der Natur

Die Frage, ob neue Gipfelkreuze aufgestellt werden sollen oder nicht, sei nicht wirklich das Thema, sagt die Philosophin Claudia Paganini. "Ich denke, es sollte uns heute auch darum gehen, dass wir uns grundsätzlich fragen: Wie gehen wir mit der Natur um? Die Ostalpen sind sehr gut erschlossen, man hat auch schon vor langer Zeit entschieden seitens der Alpenvereine, dass man keine neuen Wege mehr baut. Und in diesem Kontext ist auch die Debatte um die Gipfelkreuze zu sehen, meiner Meinung nach."

Kreuz auf der Benediktenwand zum fünften Mal ausgetauscht

Die Alpenvereine sind sich einig, dass morsche Kreuze weiterhin ersetzt werden. Auf der Benediktenwand wird jetzt im Juli das Kreuz zum fünften Mal ersetzt. Seit 1877 ziert ein Kreuz den 1.800 Meter hohen Gipfel der Benediktenwand in den bayerischen Voralpen. Das letzte Kreuz stand immerhin mehr als 60 Jahre am Gipfel.

Eine Debatte ums Kreuz gibt es in Benediktbeuern nicht, sagt Lorenz Kellner von der Freiwilligen Feuerwehr. "Das Gipfelkreuz hat eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Kritische Stimmen sind uns gegenüber überhaupt nicht geäußert worden. Natürlich tritt es in den sozialen Medien hin und wieder auf. Aber wir im Dorf freuen uns, dass wir es erneuert haben." Und es wird - wie in früheren Zeiten - nicht auf den Gipfel geflogen, sondern getragen.

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