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Bildung als Schlüssel: Wie Kinder einen Weg aus der Armut finden

Kein Zoobesuch, kein Urlaub, immer am Rande des Existenzminimums: In Bayern sind 13 Prozent der Kinder von Armut betroffen. Nach wie vor prägt das Elternhaus die Bildungschancen. Tut die Politik zu wenig, damit Kinder einen Weg aus der Armut finden?

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Dejan geht in die vierte Klasse einer Grundschule im Münchner Brennpunktviertel Hasenbergl. Jeden Tag nach der Schule besucht er den Lichtblick Hasenbergl, eine Betreuungseinrichtung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, um hier zu lernen. Der Elfjährige erzählt stolz: "Ich kann jetzt ins Gymnasium gehen und habe dann einen Gymnasiumabschluss. Vor ein paar Tagen haben wir Proben bekommen und ich hatte Einsen, in HSU und Mathe." Er habe viel gelernt und die Übung habe sich ausgezahlt, freut er sich. Denn Dejan möchte mal Ingenieur oder Architekt werden.

Trotz guter Noten kein Gymnasiumbesuch

Was Dejan noch nicht weiß: Vor Kurzem hat sich seine Mutter in Absprache mit seiner Lehrerin gegen das Gymnasium entschieden. Er wird erstmal auf die Realschule gehen. Da sie ihm nicht immer die Förderung und Aufmerksamkeit geben könne, die er dann brauche, so Silvia Tomic, die ihren richtigen Namen hier nicht lesen möchte: "Aber er streitet mit mir und sagt: Mama es ist besser für mich, wenn ich ins Gymnasium gehe." Der Drang viel zu schaffen, sei sehr groß. Doch sie möchte ihren Sohn nicht in eine schwierige Lage bringen. Da sie privat als Familie schon genug Probleme hätten. Sie wolle den Druck rausnehmen, erklärt die Alleinerziehende. Dejan könne auch über den zweiten Bildungsweg Abitur machen.

Silvia Tomic lebt zusammen mit ihren vier Kindern, die zwischen sieben und elf Jahre alt sind, im Münchner Stadtteil Hasenbergl. Ihr Alltag: ein knochenharter Job. Während andere Eltern ihre Kinder wecken, ihnen beim Anziehen helfen und mit ihnen frühstücken, muss die Alleinerziehende in einem Münchner Café putzen. Die Kinder müssen sich alleine für die Schule fertigmachen. Vom Vater der Kinder bekommt sie keine Unterstützung. Zudem ist immer das Geld knapp. Ohne den Lichtblick Hasenbergl hätte sie es nicht geschafft, erzählt Tomic.

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Im Lichtblick wird Bildung groß geschrieben

Stressbelastete Kinder schalten häufig ab

Bildung als Schlüssel aus der Armut ist bei der Münchner Organisation die Devise. Eltern-Kind-Gruppen, Kindergarten, Hort, Hilfe beim Schulabschluss, in der Ausbildung oder im Studium – in jedem Lebensalter versucht die Einrichtung, die Kinder und Jugendlichen aufzufangen und zu fördern.

Dörthe Friess ist die pädagogische Leiterin der Einrichtung. Sie erzählt, wie herausfordernd es für manche Kinder ist, zu lernen: "Wir alle gehen davon aus, dass wir einem Kind eine Aufgabe geben können, es sie durchliest und die Aufgabe lernt." Doch bevor man lernen könne, sei es notwendig, dass das Kind lerne wahrzunehmen, sich zu konzentrieren und Wissen zu verarbeiten. Wenn Kinder aber in einer hochgradig stressbelasteten Umgebungen aufwachsen, dann haben sie oft gelernt, einfach abzuschalten.

Staat muss mehr in frühkindliche Förderung investieren

Ein stabiles Zuhause, ein sicheres Aufwachsen sind die wichtigsten Grundlagen für einen schulischen Erfolg. Daher werden im Lichtblick auch die Eltern unterstützt. Viele Familien sind dauerhaft im Krisenmodus. Durch die Pandemie seien viele einfach abgrundtief erschöpft, erklärt die Sozialpädagogin. Der Lichtblick Hasenbergl springt dort ein, wo die elterliche Fürsorge nicht ausreicht und auch das Bildungssystem versagt. Das belegen auch zahlreiche Studien: Kinder aus armen Familien haben es in Deutschland meist deutlich schwerer in der Schule. Oft haben die Eltern weder die Zeit noch die Kraft, den Kindern zum Beispiel bei den Hausaufgaben zu helfen.

Kinder aus benachteiligten Familien werden in Kitas hierzulande immer noch zu wenig gezielt gefördert, stellt die Studie Ifo "ein Herz für Kinder" Chancenmonitor fest. Einer der Hauptgründe, warum diese Kinder schon in der Grundschule abgehängt werden, so das Fazit der Forscher. Die Politik müsse endlich mehr im frühkindlichen Bereich tun, fordert Florian Schoner vom Ifo-Institut. Es fehle ganz klar der beherzte Fokus auf bildungspolitische Themen und der unbedingte Wille, am Status quo der Bildungsungerechtigkeit etwas zu ändern.

Kinderarmut: Wissenschaftler warnt vor volkswirtschaftlichen Folgekosten

Der Bildungsökonom warnt vor den Folgekosten. Die Forschung zeige ganz klar, dass bessere Kompetenzen in der arbeitenden Bevölkerung in der Regel mit einem höheren Gesamteinkommen der Volkswirtschaft einhergehen. Anders gesprochen drohe uns ein erheblicher Wohlstandsverlust, wenn zu wenig gerade in benachteiligte Kinder investiert werde, so Florian Schoner.

Für die Politik gebe es in dieser Hinsicht viele Möglichkeiten zu fördern, wie zum Beispiel diese Kinder gezielt im Kita-Alter zu unterstützen oder Eltern von Kindern aus benachteiligten Haushalten aktiv bei der Platzsuche behilflich zu sein.

Sozialministerium investiert in die sprachliche Bildung

Tut die Politik zu wenig? Das Bayerische Sozialministerium verweist in einer schriftlichen Stellungnahme auf eine Reihe von Maßnahmen in diesem Bereich wie zum Beispiel einen Vorkurs-Deutsch in Kitas für Kinder mit Migrationshintergrund oder Broschüren zur frühen sprachlichen Bildung. Die frühzeitige Förderung der sprachlichen Bildung sei von grundlegender Bedeutung insbesondere für den weiteren Bildungsweg, so eine Sprecherin. Daher führe der Freistaat Bayern das Bundesprogramm "Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist" fort. Der Ausbau der Kita-Plätze allgemein liege allerdings im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Bei der Vermittlung von Betreuungsplätzen sei zudem das örtliche Jugendamt behilflich.

Fraglich ist, ob Broschüren oder Sprachkurse in einigen Kitas Familien tatsächlich aus der Bildungsmisere holen können. Bildungsökonom Florian Schoner ist davon nicht überzeugt. Denn Familien, die mit Existenzängsten zu kämpfen haben und vollkommen erschöpft sind, muss man mehr an die Hand nehmen und ihnen konkrete Hilfen anbieten. Außerdem geben ihm zahlreichen Studien Recht: Hierzulande zählt nicht das Potenzial des Kindes sondern seine Herkunft.

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