Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, spricht während eines Gedenkakts für die Opfer des Nationalsozialismus
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Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags, spricht während eines Gedenkakts für die Opfer des Nationalsozialismus

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"Nie wieder ist jetzt!": Aigner warnt vor Judenhass und rügt AfD

Beim Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus zeigt sich Bayerns Landtagspräsidentin Aigner besorgt über den Antisemitismus in Deutschland und die Deportationspläne in der AfD. "Die Gegenwart ist der Geschichte nicht enteilt."

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hat die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus mit einer eindringlichen Mahnung an Politik und Bevölkerung verbunden. "Mehr denn je ist uns gerade in diesen Tagen klar: Diese Geschichte endet nicht 1945. Die Gegenwart ist der Geschichte nicht enteilt", sagte Aigner beim Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag. "Das 'Nie wieder!' hat uns eingeholt."

Aigner: Erdrückendes Maß an Antisemitismus

Aigner erinnerte an die brutale Jagd von Hamas und islamischem Dschihad auf Menschen in Israel. "Im Blutrausch hatten die Islamisten ein Vorbild: die Nazis." Zwar habe es einerseits großes Entsetzen über den "mörderischen Antisemitismus" gegeben, auch in Deutschland. Andererseits sei auch hierzulande ein erdrückendes Maß an Antisemitismus zu erleben. "Wir erleben Judenhass mit und ohne Migrationshintergrund."

Überdurchschnittlich häufig sei dies unter jenen Muslimen der Fall, die unsere Werte ablehnten, so Aigner. "Da will ich deutlich werden: Wer Teil unseres Landes sein will, muss Teil unserer Erinnerungskultur sein, unseres Kampfes gegen jeden Antisemitismus und unseres Bekenntnisses zum Staat Israel." An dieser roten Linie endeten Toleranz und Gastfreundschaft.

Zugleich zeigte sich die CSU-Politikerin irritiert über das Schweigen in Milieus, "die sehr schnell und absolut zu Recht aufschreien, wenn Menschen angefeindet werden". Sie vermisse das Mitgefühl etwa für die israelischen Frauen, "die brachial vergewaltigt und dahingeschlachtet wurden". Und sie kritisiert all jene, die mit "einem verqueren Weltbild" ausgerechnet den jüdischen Staat zum Feindbild machten.

"Alle demokratischen Parteien in der Pflicht"

Wohin Faschismus führe, sei bekannt: Hass, Rassismus, Antisemitismus, wahnhafte Ideologie." Aber wir wissen auch, wie es anfängt. Und wir sehen sie doch, die Anfänge." Es sei unerträglich, wenn sich jüdische Menschen nicht trauten, als jüdisch erkennbar zu sein. Deutschland müsse sicher sein für Jüdinnen und Juden. "Demokraten müssen immer hinsehen, wenn Menschen verachtet werden. Da gibt es auch wirklich kein Zuwarten: Nie wieder ist jetzt!", mahnte Aigner.

Wenn radikale Kräfte Pläne zur Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen schmiedeten, werde Geschichte zur Schablone, warnte die Landtagspräsidentin mit Blick auf die AfD. "Wir erkennen doch das Muster. Die bewusste Anlehnung." Dann seien alle demokratischen Parteien in der Pflicht, sich diesen Plänen entgegenzustellen: Mit einer Politik, die Probleme löse und die die Menschen wieder für Demokratie und Freiheit begeistere.

Aigner kritisiert AfD-Fraktionsvize Böhm

Direkt sprach Aigner den AfD-Vize-Fraktionschef Martin Böhm an. "Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender hier im Hohen Haus hat das Ziel als charmant empfunden, mich persönlich zu beschädigen und zu delegitimieren – zugunsten eines mutmaßlichen Volksverhetzers und Himmler-Verehrers in ihren Reihen." Das habe Böhm auch auf großer Bühne bekannt: "Das ist eine neue Qualität!"

Böhm hatte kürzlich auf einem AfD-Landesparteitag eingeräumt, seinem jungen Kollegen Daniel Halemba geraten zu haben, sich öffentlichkeitswirksam im Landtag festnehmen zu lassen. Es sei darum gegangen, Landtagspräsidentin Ilse Aigner zu delegitimieren. "Dann wäre sie die Präsidentin gewesen, zu deren Zeit Oppositionelle im Bayerischen Landtag verhaftet werden." Gegen Halemba ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Volksverhetzung.

Aigner warf Böhm vor, er habe mit möglichen Bildern von der Festnahme Empörung und Hass in sozialen Medien säen wollen. Damit treibe er die Täter-Opfer-Umkehr auf die Spitze. Wenn Böhm ihr unterstelle, die AfD zu hassen, irre er sich. "Ich hasse nicht! Das ist für mich überhaupt gar keine Kategorie. Aber mein Herz schlägt für unser Land, für unsere Verfassung, für unseren Parlamentarismus und unsere Demokratie." Als echte Patriotin werde sie sich auch weiterhin zu Wort melden, "wenn ich unsere demokratischen Werte bedroht sehe".

"Die Opfer dürfen niemals vergessen werden"

Wenn man der Opfer des Nationalsozialismus gedenke, schaue man "hinein in den Abgrund der Unmenschlichkeit", sagte die Landtagspräsidentin. Die Opfer dürften niemals vergessen werden. "Ihr Andenken, ihr Vermächtnis ist das Fundament unserer demokratischen Wehrhaftigkeit. Diese Menschen bleiben ein Teil von uns!" Das gelte genauso für die Zeitzeugen.

Auch in den Familien der Opfer sei die Erinnerung an die Shoa Bestandteil des täglichen Lebens. "Gedenken ist kein Ritual, keine Routine. Darf es nicht sein! Gedenken ist ein aktiver Akt, ein Auftrag, ein Bekenntnis, ein bindendes Versprechen, eine Warnung."

Holocaustüberlebender fordert Bildungsoffensive

Der Holocaustüberlebende Abba Naor forderte mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen eine "Bildungsoffensive gegen Antisemitismus in den Schulen und Universitäten, in allen Bildungseinrichtungen und in Strafverfolgungsbehörden". Dafür müssten die Zeitzeugenberichte eine Grundlage sein.

Die Jugend brauche Unterstützung, sie benötige Hilfe aus der Politik. "Das heißt, dass noch mehr Geld als bisher ausgegeben werden muss." Denn was sei das Gedenken wert, wenn es nicht in die Bereitschaft münde, den erneuten Anfängen zu wehren? Naor verwies auf Wahlerfolge und hohe Umfrageergebnisse der in Teilen rechtsextremen AfD. Die Zukunft der Demokratie sei bedroht, warnte der 96-Jährige, der Vizepräsident des Comité International de Dachau ist.

Der Holocaustüberlebende Abba Naor im Landtag
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Der Holocaustüberlebende Abba Naor im Landtag

"Gegen Judenhass aufstehen"

Die deutsche Regierung stehe zwar an der Seite Israels. Aber Deutschland habe nach dem Massaker der Hamas an Juden noch ein anderes, für ihn erschreckendes Gesicht gezeigt: Jubel auf den Straßen und in den sozialen Medien. Naor verwies auch auf die sprunghaft gestiegene Zahl an antijüdischen Vorfällen und Übergriffen.

Anlässlich des Holocaust-Gedenktags rief er dazu auf, gegen Judenhass aufzustehen - "ob er sich gegen Israel richtet oder gegen die jüdischen Gemeinden in Deutschland" - und für die Demokratie zu kämpfen. Es gehe nicht nur um die Juden, "sondern auch um die Zukunft ihrer Kinder in einer demokratischen, freien Gesellschaft".

Stiftungsdirektor Freller: "Nie wieder ist immer"

Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, betonte ebenfalls die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte für die Gegenwart. "Wir lehren und lernen die historischen Tatsachen und suchen vor dieser Folie Antworten auf die Brüche, auf die Untiefen, auf die Bedrohungen der Gegenwart", sagte er in seiner Rede im Landtag. Wer das Gestern nicht kenne, mache morgen die gleichen Fehler. Freller mahnte: "Nie wieder ist immer."

An dem gemeinsamen Gedenkakt der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und des Landtags nahmen neben Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auch prominente Vertreter aus Gesellschaft und Kirchen teil. Unter ihnen waren der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Hans-Joachim Heßler, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der bayerische Landesvorsitzende des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Erich Schneeberger.

Söder: "Leider nimmt das böse Gedankengut zu"

Ministerpräsident Marku Söder (CSU) zeigte sich dankbar für den "bewegenden Gedenkakt" mit dem "beeindruckenden Zeitzeugen Abba Naor" aus Israel. Im Kurznachrichtendienst X versprach Söder anschließend: "Wir schützen jüdisches Leben in Bayern und stehen fest an der Seite Israels." Die Staatsregierung trete jeder Form von Hass, Antisemitismus und Rechtsextremismus entschlossen entgegen. "Leider nimmt das böse Gedankengut wieder zu." Alle Demokraten müssten zusammenstehen, damit sich die Gräuel des NS-Regimes nie wiederholen. In Bayern solle jeder frei und sicher leben können.

BR24live zum Gedenkakt des Landtags in voller Länge:

23.01.2019, Bayern, München: Ilse Aigner, bayerische Landtagspräsidentin, spricht während des Gedenkaktes des Bayerischen Landtags und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Anlass ist der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Foto: Peter Kneffel/dpa
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Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

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