Vier Klimaaktivisten sitzen mit angeklebten Händen auf dem Zubringer einer Start-und Landebahn am Airport Franz-Josef-Strauß. (Archivbild: 08.12.2022)
Bildrechte: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Ein Loch im Zaun ist schnell gemacht: Klimaaktivisten legen im Dezember 2022 den Münchner Flughafen lahm.

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Nach Geisel-Drama in Hamburg: Wie sicher sind Flughäfen?

Nach der Geiselnahme am Hamburger Flughafen sind Flughafenbetreiber und die Politik mit der Analyse des Vorfalls beschäftigt: Wie gut sind die Sicherheitskonzepte deutscher Airports? Experten kritisieren: Jeder Weihnachtsmarkt sei besser geschützt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die glimpflich ausgegangene Geiselnahme am Hamburger Flughafen und das mehrfache Eindringen von Klimaaktivisten auf Start- und Landebahnen deutscher Airports wirft die Frage nach der Sicherheit an deutschen Flughäfen auf. Können Zugänge und kilometerlange Zäune überhaupt ausreichend geschützt werden – und wer ist für deren Schutz verantwortlich? Experten fordern, entsprechende Gesetze und Vorgaben an die Betreiber müssten angepasst werden.

Mann durchbricht Barriere am Hamburger Flughafen mit Mietwagen

Am Hamburger Flughafen hatte ein 35-jähriger Mann mit seiner vierjährigen Tochter als Geisel mit seinem Auto eine Absperrung am Tor zum Vorfeld des Airports durchbrochen. Laut Polizei schoss er auf dem Gelände in die Luft und warf Brandsätze aus dem Wagen. Mehr als 18 Stunden lang stand sein Auto danach neben einer Maschine der Turkish Airlines. Über Stunden versuchte die Polizei, die Geiselnahme unblutig zu beenden – am frühen Sonntagnachmittag schließlich mit Erfolg. Bis dahin waren Hunderte Flüge ausgefallen.

Wenn es nicht möglich sei, das gewalttätige Eindringen zu verhindern, dann habe es für den Flughafen oberste Priorität, den oder die Täter schnellstmöglich zu stoppen, so der Hamburger Flughafen am Sonntag. Wichtig sei dabei "der funktionierende Mix aus technischen Maßnahmen und physischer Präsenz der Sicherheitskräfte".

Können 40 Kilometer Zaun überhaupt gesichert werden?

Bei der Größe des Hamburger Airports – er entspricht der Größe von fast 800 Fußballfeldern – könne nicht ausgeschlossen werden, "dass ein hochkrimineller, unbefugter Zutritt zum Sicherheitsbereich mit brachialer Gewalt erfolgen kann". Selbstverständlich entsprächen die Sicherheitsmaßnahmen am Hamburg Airport den gesetzlichen Vorgaben – teilweise überträfen sie diese sogar. Allerdings zeigten die Vorfälle laut der Flughafen Hamburg GmbH, dass die Sicherheitskonzepte mit allen Beteiligten laufend neu bewertet werden müssen. Das gelte für die gesamte kritische Infrastruktur. "Wir arbeiten den Vorfall selbstverständlich mit den zuständigen Behörden und Sicherheitskräften auf", teilte der Hamburg Airport mit.

Rückendeckung für die Hamburger gibt es vom Flughafenverband ADV. Bei großen Flughäfen könnten die Zaunanlagen eine Länge von mehr als 40 Kilometern erreichen. Hinzu kämen Tore und Zugangsanlagen, die an bestimmten Stellen auch aus Sicherheitsgründen – etwa für die Feuerwehr – schnell passierbar sein müssten, teilt der Verband mit. Auch mit Blick auf das Eindringen des 35-Jährigen auf das Vorfeld des Hamburger Flughafens erklärt der Verband: "In diesen Fällen ist ein 100-prozentiger Schutz gegen das Durchdringen mit brachialer Gewalt unmöglich."

Sicherheitskonzept: Hamburg will nachlegen, München will prüfen

Doch offenbar gibt es auch im Rahmen der bereits geltenden gesetzlichen Vorgaben Verbesserungspotenzial. Der Hamburger Flughafen kündigte am Montag an, sein Sicherheitskonzept zu erhöhen. "Wir werden weitere bauliche Maßnahmen umsetzen, um mögliche Zugangspunkte zum Sicherheitsbereich zu verstärken", sagte eine Flughafensprecherin.

Auch am Münchner Airport wird das Sicherheitskonzept noch einmal unter die Lupe genommen. Man werde zusammen mit den Aufsichtsbehörden und der Polizei die Lage analysieren und prüfen, ob es noch Optimierungsbedarf gebe, sagte ein Sprecher der Flughafen München GmbH auf BR24-Anfrage. Allerdings gehe man im Erdinger Moos auch jetzt schon über die gesetzlichen Anforderungen hinaus. Diese würden etwa die Beschaffenheit des Zauns und der Zugänge zu sicherheitsrelevanten Bereichen betreffen.

Nürnberg sieht sich gut gerüstet

Der Albrecht Dürer Airport in Nürnberg sieht aktuell keine Notwendigkeit für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. In Nürnberg sind die Eingänge, die einen direkten Zugang zum Vorfeld ermöglichen, etwa durch eine Schranke und zwei Stahltore gesichert. Diese sind jeweils drei Meter hoch und wie eine Schleuse konstruiert. Der Zaun rund um den Airport werde zudem ständig überwacht.

Haben Flughafenbetreiber aus Vorfällen mit Klimaaktivisten gelernt?

Der Hamburger Flughafen ist in diesem Jahr nicht zum ersten Mal von einer Störung dieser Art betroffen. Im Juli hatten sich Klimaaktivisten in Hamburg und Düsseldorf auf die Rollfelder geklebt und so den Flugverkehr für mehrere Stunden teilweise zum Erliegen gebracht. Auch der Flughafen München war im Dezember vergangenen Jahres betroffen.

Die Aktionen der Klimaaktivisten führten laut einer Sprecherin des Hamburger Flughafens zu keinen neuen Anforderungen für Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen. Derzeit teste der Flughafen aber neue Kamera- und Zaunsensorik-Systeme, wie es am Sonntag hieß. "Zudem wurde die Bestreifung der Zaunanlage durch Sicherheitskräfte nachhaltig erhöht."

Experte: Flughafenbetreiber und Behörden "unfassbar naiv"

Das Urteil des Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt in Sachen Sicherheit fällt allerdings düster aus. "Der Hamburger Flughafen ist nicht sicher – und andere Airports in Deutschland auch nicht", sagte Großbongardt dem Nachrichtenmagazin "Spiegel". Es sei ein Skandal. Flughäfen "sind seit Jahrzehnten als bevorzugte Angriffsziele für Terroristen bekannt. Auf den Vorfeldern stehen Maschinen mit Zehntausenden Litern Kerosin im Bauch und Hunderten Passagieren an Bord." Großbongardt nennt die Flughafenbetreiber und Behörden deshalb "unfassbar naiv".

Auch der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) reicht das bisherige Vorgehen nicht mehr. "Es ist nur schwer vermittelbar, dass etwa Weihnachtsmärkte mit Betonbarrikaden gesichert werden, und unsere Flughäfen werden als Hochsicherheitsbereiche von Betreibern stiefmütterlich behandelt", sagt DPolG-Bundesvize Heiko Teggatz der Deutschen Presse-Agentur. "Offensichtlich zwingt niemand die Flughafenbetreiber ernsthaft, Sicherheitsmaßnahmen so hochzufahren, dass es zu solchen Vorfällen schlicht nicht mehr kommen kann." Die Politik unternehme da viel zu wenig. "Da vermisse ich auch eine Initiative von Bundesinnenministerin Nancy Faeser."

Kameraüberwachung, Bewegungssensoren, Nagelsperren

Es sei nicht auszudenken, was etwa bei einem terroristisch motivierten Ereignis passieren könnte, kritisiert der bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für Bundespolizei und Zoll zuständige Andreas Roßkopf im Gespräch mit tagesschau24. Zu den heute benötigten Standards gehöre etwa, Flughäfen und insgesamt gefährdete Infrastruktur mit Kameras zu überwachen und Bewegungssensoren einzusetzen, so der GdP-Vorsitzende. "Und wir müssen bei Zufahrtswegen mit Barrieren und Schranken arbeiten, die zumindest mit einem normalen Fahrzeug nicht zu durchbrechen sind." Allerdings handelten die Flughafenbetreiber immer nach den Vorgaben, die sie bekämen. Daher sei die Politik gefragt, diese Vorgaben entsprechend anzupassen, so Roßkopf.

Auch der frühere Geschäftsführer des Kölner Flughafens, Michael Garvens, sieht Verbesserungspotenzial bei der Sicherheit an Flughäfen. "Es wird nicht möglich sein, jeglichen Eintritt von außen zu verhindern. Da müsste man über die gesamte Länge eine fünf Meter hohe Betonmauer um den Flughafen herumlegen", sagte Garvens in der Bayern 2 radioWelt. Sogenannte Nagelsperren hätten den Geiselnehmer von Hamburg aber aufhalten können. "Nagelsperren sind meines Wissens an keinem deutschen Flughafen im Einsatz", so Garvens. Bei der Zaunsicherung seien auch Wärmebildkameras und Drohneneinsatz denkbar. Aber, und das gilt laut dem Luftfahrtexperten auch für andere kritische Infrastrukturen, "eine absolute hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht".

Bundesinnenministerium hält sich bedeckt

Das Luftsicherheitsgesetz schreibt unter anderem vor, dass Flughafenbetreiber zum Schutz vor Angriffen verpflichtet sind, "die Bereiche der Luftseite gegen unberechtigten Zugang zu sichern und, soweit es sich um Sicherheitsbereiche oder sensible Teile der Sicherheitsbereiche handelt, den Zugang nur hierzu besonders berechtigten Personen zu gestatten".

Inwiefern das Gesetz verschärft werden muss, dazu wollte sich das Bundesinnenministerium auf BR24-Anfrage nicht äußern. Jeder Flughafen sei anders aufgebaut und habe jeweils eigene ortsbezogene Sicherheitskonzepte und Notfallverfahren. "Dieser gesetzlichen Anforderung kommen die Flughafenbetreiber durch bauliche und technische Maßnahmen wie Umzäunung, Sicherheitstore, Sicherheitsschleusen, Videoüberwachung, eigene Bestreifung und Ähnlichem nach. Diese Sicherheitssysteme werden durch polizeiliche Maßnahmen wie z.B. motorisierte Streifen ergänzt", heißt es aus dem Ministerium.

"Wie überall, aber besonders im Sicherheitsgefüge Luftverkehr, werden sicherheitsrelevante Vorfälle mit den beteiligten Stellen und Behörden nachbereitet." Einzelheiten zu konkreten möglichen Anpassungen bei Sicherheitsverfahren könnten derzeit nicht genannt werden.

Ein Flieger am Hamburger Flughafen
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Wie gut sind die Sicherheitskonzepte deutscher Airports? Experten kritisieren: Jeder Weihnachtsmarkt sei besser geschützt.

Mit Informationen von dpa

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