Muslime in Bayern.
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Wie sind Muslime in Bayern organisiert?

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Moscheen und Gemeinden: Wie sind Muslime in Bayern organisiert?

Wenn in Bayern von Muslimen die Rede ist, ist oft nicht klar, wer für wen steht oder spricht. Besonders auffällig wird das immer dann, wenn eine Stellungnahme der muslimischen Community erwartet wird, etwa zum Terror der Hamas. Ein Überblick.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Ganz simpel heruntergebrochen könnte man sagen: Muslime sind anders organisiert als Christen. Keine Landeskirchen, keine Bistümer und es gibt keine bundesweit verfassten Institutionen wie die Bischofskonferenz oder die EKD-Synode: Jede Moschee in Bayern ist als eigener Verein organisiert, der in manchen Fällen einem größeren Verband angeschlossen ist. Und genauso, wie es nicht "die Christen" gibt, so gibt es auch nicht "die Muslime".

Türkische Verbände: Ditib, Millî Görüş, Islamische Kulturzentren

Die größten drei Verbände in Bayern sind: die Islamische Gemeinschaft "Millî Görüş" (IGMG), der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Bayern (VIKZ) und der größte Verband, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz "Ditib". 153 der rund 350 Moscheen in Bayern gehören Ditib an.

Der größte Moscheeverband Bayerns untersteht institutionell der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Personalentscheidungen wie etwa die Besetzung der Imame in den Ditib-Moscheen in Deutschland werden in der Türkei gefällt. Der deutsche Ditib-Dachverband sitzt in Köln. Zusätzlich zum Dachverband organisieren sich in Ditib auf bayerischer Ebene auch ein Landesjugendverband, ein Landesfrauenverband und ein Landeselternverband.

Jede Moschee, egal welchem Dachverband sie angehört, ist an das deutsche Vereinsrecht gebunden. Neben türkischen Gläubigen kommen in die Ditib-Moscheen auch Muslime aus vielen anderen Länder zum Freitagsgebet zusammen. Das Gebet ist auf Arabisch, die Predigten auf Türkisch und immer öfter auch auf Deutsch. Immer mehr Ditib-Gemeinden verfügen über deutsche Imame, die in Deutschland geboren und hierzulande islamische Theologie studiert haben, bevor sie in der Türkei die Imam-Ausbildung machen.

Bücher, Jugendarbeit und Unterricht auch auf Deutsch

Ein Trend, der sich verstetige, sagt Aykan Inan von der Info-Plattform "Islamforum Bayern": "Vor 20 bis 30 Jahren wurden alle Veranstaltungen in den jeweiligen Muttersprachen angeboten. Heute findet etwa die Jugendarbeit auf Deutsch statt und viele religiöse Bücher werden auch auf Deutsch publiziert. Auch der islamische Unterricht in den Moscheen wird in beiden Sprachen erteilt, der jeweiligen Muttersprache und auf Deutsch." Nicht alle Verbände legen jedoch gleich viel Wert auf ein zweisprachiges Angebot.

Vom Verfassungsschutz beobachtet: Verband Milli Görüs

Der zweitgrößte Verband in Bayern wird vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet: die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). In ihr sind bayernweit rund 55 Moscheen zusammengeschlossen. Der Verfassungsschutz geht von rund 3.000 IGMG-Mitgliedern aus. Der bundesweite Sitz von Millî Görüş, die auch als Bewegung bezeichnet wird, liegt in Köln. Im Bericht für das Jahr 2022 schreiben die Verfassungsschützer über den Verband: "Ihr erklärtes Fernziel ist die weltweite Einführung einer islamistischen Staats- und Gesellschaftsordnung nach dem historischen Vorbild des Osmanischen Reiches unter der Führung der heutigen Türkei."

Das Konzept beinhaltet eine Sultan-ähnliche türkische Führerfigur sowie Züge einer nationalistischen Monarchie. Im Bericht heißt es weiter: "Die Bestrebungen der 'Millî Görüş-Bewegung' richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung." Zudem sei die "antisemitische oder zumindest stark antizionistische Ideologie" der Millî Görüş-Bewegung unvereinbar mit der Religionsfreiheit und richte sich gegen die Völkerverständigung. Millî Görüş negiere das Existenzrecht des Staates Israel, dessen Regierung und Bevölkerung. Auf Anfrage wollte sich die Islamische Gemeinschaft nicht zu den Einschätzungen der Verfassungsschützer äußern.

Ahmadiyya erste muslimische Gemeinschaft nach dem Krieg

Im drittgrößten Islamverband, dem Landesverband der Islamischen Kulturzentren Bayern (VIKZ), sind rund 37 Moscheen organisiert. Die VIKZ-Gemeinden verstehen sich auch als Vermittler der türkischen Kultur und Bildung und bekennen sich ausdrücklich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Eine weitere islamische Gemeinschaft ist "Ahmadiyya", die in den 1880er Jahren in Britisch-Indien als islamische Reformbewegung gegründet worden ist. Von vielen Muslimen wird die Gemeinschaft und ihre Auslegung des Islam jedoch abgelehnt. In der Nachkriegszeit war Ahmadiyya die erste muslimische Gemeinde in Deutschland und somit für kirchliche und staatliche Institutionen lange Gesprächspartner und Repräsentant der Muslime in Deutschland. In Hessen ist Ahmadiyya als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt, in Bayern zählt die kleine Gemeinde nach eigenen Angaben etwa 1.500 Mitglieder.

Nationale Prägung vieler Moscheeverbände

Daneben gibt es zahlreiche kleinere Verbände, die meist von Menschen aus einem bestimmten Migrationshintergrund getragen werden: Der Zentralrat der Muslime, in dem vermehrt arabische Muslime wirken, betreibt in Bayern 14 Moscheen, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) zwölf Moscheen, der Zentralrat der Marokkaner drei Moscheen. Die Ausprägung einzelner Nationalitäten erklärt sich durch die Herkunft vieler Gläubiger, sagt Aykan Inan vom "Islamforum Bayern": "Es gibt durch die Tradition der Einwanderung nach Deutschland bestimmte Kulturen und Sprachen, die in einer Moschee dann vorherrschen und darum sprechen wir von türkischstämmig oder arabischstämmig. Aber die Gebete sind alle auf Arabisch in den Moscheen. Deswegen kann jeder Muslim in jeder Moschee mitbeten.

Zahlreiche Muslime sind nicht Mitglied einer Moschee

Von den rund 350 Moscheen sind landesweit 288 Moscheen in Verbänden organisiert, die restlichen 50 bis 70 unabhängig und in keinem Verband vertreten. Ähnlich sieht es bei den Gläubigen aus – nur ein Teil der 800.000 Muslime in Bayern ist formell Vereinsmitglied einer Moschee. Diesen Fakt müsse man beachten, sagt Islamwissenschaftler Mathias Rohe von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Es gebe auch nicht den einen Ansprechpartner bei den Muslimen, sagt Rohe: "Die muslimische Bevölkerung ist vielfältig. Wir haben ja auch im christlichen Spektrum keine einheitliche Vertretung, vielleicht noch pluraler ist es in der muslimischen Szene." Gleichzeitig plädiert der Islamexperte, Islamverbände ernst zu nehmen, selbst wenn sie nur einen kleinen Teil der Muslime vertreten: "Diejenigen, die sich organisiert haben, sollte man auch wahrnehmen. Und wer sich von denen nicht repräsentiert fühlt, möge sich eben selbst auch nach seiner eigenen Ausrichtung und Vorstellung organisieren."

Muslimische Wohlfahrtsvereine

Die Moscheevereine widmen sich nicht nur der Seelsorge. Auch religiöse Bildung, Jugendarbeit, Sozialarbeit oder die Organisation der Pilgerfahrt Hadsch gehören zur Gemeindearbeit, genauso wie Bestattungshilfen, Integrationsangebote oder der interreligiöse Dialog. Neben den Gemeinden sind Muslime in Bayern auch in Wohlfahrtsvereinen organisiert.

Wie zum Beispiel der "Sozialdienst Muslimischer Frauen in Kempten" (SMF). Der Verein wurde von motivierten muslimischen Frauen gegründet, in Anlehnung an den "Sozialdienst Katholischer Frauen" von der Caritas. "Unsere Angebote richten sich unabhängig von Nationalität und Religion an alle Menschen", sagt Vorständin Ayla Inan. Unter den Mitarbeitern sind auch Nicht-Muslime. Der "Sozialdienst Muslimischer Frauen in Kempten" bietet Hilfe im Alltag: Bewerbungstraining für Frauen, Kochen für Senioren oder Radfahrkurse.

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