Außen-Ansicht des Eingangs der JVA Kaisheim
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JVA Kaisheim

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Die JVA Kaisheim: Bayerns schlimmster Knast?

Drogenumschlagplatz, schmuggelnde Beamte, Einzelhaft statt Beschäftigung und Willkür bei der Umsetzung von Disziplinarmaßnahmen: Häftlinge und Anwälte erheben schwere Vorwürfe gegen die JVA Kaisheim. Ist das Gefängnis Bayerns schlimmster Knast?

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

"Von Entkriminalisierung oder Resozialisierung ist hier gar nichts zustande gekommen. Die Zustände hier sind unerträglich. Viele leiden hier". Diese Zeilen schreibt uns ein Häftling aus der JVA Kaisheim. Wir nennen ihn Stefan, um ihn zu schützen. Und auch andere Gefangene wenden sich schriftlich an uns. Sie erheben schwere Vorwürfe. Von Willkür der Beamten in der JVA ist die Rede, von fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten, unklaren Strukturen und von "Bayerns Nummer eins", was die Verfügbarkeit von Drogen betrifft.

Was hinter den Gefängnismauern vor sich geht, lässt sich von außen nicht 1:1 überprüfen. Allerdings ähneln sich viele der Schilderungen. Auch Anwälte üben Kritik.

Die JVA Kaisheim – ein Drogenumschlagplatz?

In den Augen der Augsburger Strafverteidigerin Alexandra Gutmeyr ist das Gefängnis ein Drogenumschlagplatz. Gutmeyrs Einschätzung basiert dabei auf ihren Kontakten zu Mandanten. In Kaisheim seien überdurchschnittlich viele Drogen im Umlauf sowie überdurchschnittlich viele Gefangene abhängig.

In dem Gefängnis sind über 500 Straftäter untergebracht, die in der Regel bis zu sechs Jahre sitzen. "Schwere Jungs" also, oftmals haben sie schon eine lange Gefängniskarriere hinter sich. Wie Stefan. Er sitzt nicht das erste Mal, war schon in einigen anderen bayerischen Gefängnissen. Auch er hat ein Drogenproblem. Seiner Meinung nach gebe es nirgendwo so viele Drogen wie in Kaisheim, von Heroin, Hasch über Chrystal Meth bis hin zu neuartigen, psychoaktiven Stoffen.

Mit diesen Stoffen wird Papier getränkt, die Häftlinge rauchen das dann - eine sehr gefährliche Angelegenheit, da die Drogenmenge schwer zu dosieren ist. Oftmals würden Gefangene nach dem Konsum zusammenbrechen, berichtet Stefan.

Anwältin fordert mehr Substitution für Häftlinge in Kaisheim

Eine Hilfe für Drogenabhängige ist die Substitution. Aber, so schreibt Stefan, in Kaisheim bekämen nur wenige Häftlinge Drogenersatzstoffe. Laut der Anstaltsleitung entscheidet der Anstaltsarzt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer auf Grundlage einer Einzelfallprüfung, wer zur Substitution zugelassen würde und wer nicht.

Gut zehn Prozent der Gefangenen würden derzeit substituiert. Für die Drogenberatung sind zwei externe Sozialarbeiter täglich vor Ort. Diese stünden jedem Gefangenen zur Verfügung, so der Anstaltsleiter. Zwei für über 500 Gefangene, von denen die Mehrheit ein Drogenproblem hat, seien zu wenig, kritisiert der Nördlinger Anwalt Florian Engert. Er hat bereits zahlreiche Insassen der JVA vertreten.

"Wenn ich höre, dass jemand, der willig ist, eine Therapie anzutreten, erst mal auf eine Warteliste gesetzt wird, um zum Erstgespräch zu kommen, und dann nach Monaten heißt es, wir schauen was wir tun können. Das ist keine Hilfe, das ist Augenwischerei", sagt Engert.

Wie kommen Drogen und Handys ins Gefängnis?

Wie die Drogen ins Gefängnis kommen, ist eine der ungeklärten Fragen. Ebenso unklar ist, wie die Gefangenen an Handys gelangen. Sie dürfen im Gefängnis keine nutzen. Dennoch wurden in Kaisheim im vergangenen Jahr 49 Stück gefunden, bestätigt die Anstaltsleitung.

Wie Gefangene berichten, würde über die Handys oft auch der Drogenschmuggel organisiert – oder es würden andere kriminelle Geschäfte draußen weitergeführt. Auch Zeugen in anstehenden Gerichtsverfahren könnten theoretisch so beeinflusst werden.

Besucher, Anwälte und Gefangene werden durchsucht, bevor sie das Gefängnis betreten. Die Mitarbeiter unterdessen kommen, wie in vielen anderen Bayerischen Justizvollzugsanstalten auch, ohne Durchsuchung rein.

Schmuggelnde Beamte beschäftigen immer wieder die Gerichte

In den vergangenen Jahren flogen Presseberichten zufolge Mitarbeiter beim Schmuggeln verbotener Dinge auf, auch in anderen Justizvollzugsanstalten. Erst vor einigen Monaten wurde ein Bediensteter der JVA Gablingen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, wegen Drogenschmuggels.

In Kürze muss sich eine Beamtin aus Kaisheim vor dem Augsburger Amtsgericht verantworten. Der Vorwurf: Sie soll gegen Bezahlung Handys ins Gefängnis geschmuggelt haben. Laut dem Kaisheimer Anstaltsleiter ein "bedauerlicher Einzelfall". Das Personal zu durchsuchen, lehnt er ab – er wolle nicht jeden unter Generalverdacht stellen. Auch in anderen bayerischen Haftanstalten ist das nicht üblich.

Kritiker allerdings fordern ein Durchsuchungsgebot für alle, die die JVA betreten. So etwa der Augsburger Anwalt Thomas Galli. Galli hat früher selbst Gefängnisse geleitet. Es wäre eigentlich konsequent, einfach alle zu durchsuchen. Wenn man nichts zu verbergen hätte, sei ja auch nichts dabei, sagt er. Bei den Schilderungen seiner Mandanten über die JVA Kaisheim falle ihm auf, dass dort besonders viel Frust herrsche. Disziplinarmaßnahmen würden besonders schnell und hart durchgesetzt, so sein Eindruck.

Zu wenig Personal und hohe Überstunden?

Von Frust berichtet auch eine Quelle, die mehrere Jahre Einblick in die JVA Kaisheim hatte. Sie berichtet von Personalmangel, Überstunden und Krankheitsfällen. Die Gefangenen hätten deshalb oft mit wechselndem Personal zu tun, auch das sorge für Unruhe und Unzufriedenheit, genau wie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten für die Häftlinge. Im Bayerischen Strafvollzugsgesetz heißt es: "Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern."

Dennoch arbeitet in Kaisheim nicht einmal die Hälfte aller Gefangenen. Der Anstaltsleiter bestätigt, wegen Personalmangels hätten Betriebe geschlossen werden müssen, Beschäftigungsplätze seien weggebrochen. Für die derzeit gut 500 Häftlinge gebe es derzeit noch 350 Arbeitsplätze. Die aber sind nicht alle besetzt. Weil, schreibt uns der Anstaltsleiter, viele Gefangene „für eine Ausbildung, Grundlehrgänge oder ein Praktikum ungeeignet“ seien – weil sie drogenabhängig oder psychisch labil seien – oder: Weil sie keine Ausbildung hätten.

In solchen Fällen sieht das Bayerische Strafvollzugsgesetz allerdings etwas anderes vor: Wenn Gefangene zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig sind, sollen sie arbeitstherapeutisch beschäftigt werden, heißt es da. Eine Möglichkeit wäre basteln oder malen – doch: Auch die Kunstabteilung wurde geschlossen, nachdem der zuständige Beamte in Ruhestand gegangen war, bestätigt der Anstaltsleiter.

In den Augen der Augsburger Anwältin Alexandra Gutmeyr sind solche Angebote aber wichtig für die Gefangenen: "Das sind so Zuckerle, die den Häftling zufriedenstellen – und je zufriedener ein Mensch ist, desto weniger dumme Ideen hat er auch."

Arrest statt Beschäftigung: Harte Umsetzung von Disziplinarmaßnahmen in Kaisheim?

Zu wenig Beschäftigung – stattdessen: Wegsperren, Einzelhaft oder auch gar Arrest: Das sei die Devise, so erleben es mehrere Gefangene. Der Mann, den wir Stefan nennen, erhebt schwere Vorwürfe – er schreibt in einem viele Seiten langen Brief: "Mir geht es von Tag zu Tag schlechter, mich macht die JVA kaputt. Die Decke und Wände werden schon oval und hab das Gefühl, dass sie auf mich zukommen."

Zu dem Zeitpunkt sitzt er seit Wochen allein in seiner Zelle, darf keinen Kontakt zu anderen Gefangenen haben. Er ist "auf 19.3"- , wie die Gefangenen es nennen. Um die Sicherheit der Ordnung in der Anstalt nicht zu gefährden, kann das angeordnet werden. Kontaktwege zu anderen Häftlingen sollen unterbunden werden. "Die Decke und Wände kommen schon auf mich zu. Ich komm da nicht mehr raus, ich halt das nicht mehr aus", schreibt Stefan.

Auch im "Bunker" war er schon viele Male. Bunker nennen die Gefangenen die härteste aller Disziplinarmaßnahmen, den Arrest. Bedeutet: Die Unterbringung in einer extra Zelle, alleine, ohne persönliche Gegenstände. Obwohl es die strengste "Bestrafung" sei, würde diese in Kaisheim sehr häufig angewandt, berichten mehrere Häftlinge übereinstimmend. Man müsse sogar warten, bis der Arrest vollzogen werden könne: Weil die Zellen ständig besetzt sein. Die dauerhafte Belegung der Arrestzellen bestätigt auch der Anstaltsleiter. Gesetzlich zugelassen ist der Arrest für eine Dauer von bis zu vier Wochen am Stück.

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Deutschland fordert allerdings eine Höchstgrenze von 14 Tagen am Stück, außerdem betont der CPT in seinem Bericht an die Bundesregierung, "dass eine auf Einzelhaft basierende Vollzugsform schädliche Auswirkungen auf die psychische und somatische Gesundheit der betroffenen Personen haben kann und in bestimmten Situationen zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung führen könnte“.

Schlange stehen für die Bestrafung – den Arrest?

Schlange stehen für den Arrest? Das hat Anwalt Daniel Amelung von der Initiative bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger noch nie gehört. Der Verein setzt sich für einen menschenwürdigen Strafvollzug ein. Amelung kritisiert: Es hänge stark von den Beamten ab, wie die Haft in den einzelnen Justizvollzugsanstalten ausgestaltet sei. Er plädiert dafür, dass alle Disziplinarmaßnahmen, die zur Gängelung missbraucht werden könnten, transparent und kontrollierbar sein müssen – eine lückenlose richterliche Kontrolle müsste hier gewährleistet sein, sagt Amelung. Das aber sei schwer umsetzbar, meint der Nördlinger Anwalt Florian Engert. Meist erfahre er erst viel zu spät davon, wenn ein Mandant in der Arrestzelle sitze. Es dauere in Kaisheim oft sehr lange, bis Briefe verschickt oder Anträge bearbeitet würden, kritisiert er: "Man kann von außen kaum hier regelnd eingreifen, oder auch für die Mandanten sinnvoll Anträge stellen, geschweige denn Rechtsmittel ergreifen."

Häftling bekommt Recht vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht

Viele Gefangene können sich allerdings keinen Anwalt leisten. Das Mandat des Pflichtverteidigers endet mit dem Urteil. Was hinter den Gefängnismauern passiert, damit haben die Anwälte meist nichts mehr zu tun. Wenn die Häftlinge dennoch einen Anwalt haben, gibt es durchaus Wege, gegen Maßnahmen der JVA vorzugehen. Das zeigt das Beispiel von Michael, der nur beim Vornamen genannt werden will.

Vor einigen Monaten wurde er entlassen. Er saß wegen Insolvenzverschleppung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt – letztendlich wegen Steuer- und Sozialversicherungsbetrug. In der JVA war er als Schreiberling verschrien. So, erzählt er uns weiter, nennt man dort jemanden, der sich immer wieder beschwert – oder, wie er es sieht: seine Rechte einfordert. Er hat immer wieder Anträge gestellt, sein Anwalt hat ihn unterstützt. Er hat zum ersten Mal einen Häftling vertreten, der in Kaisheim einsaß.

"Diese Erfahrungen habe ich mit keiner anderen Justizvollzugsanstalt gemacht wie Kaisheim. Das ist sehr provozierend", so Reinhard Riedel. "Man ist ja dafür da, die Leute zu betreuen, das hat ja einen Sinn, eine Message, eine Aufgabe – und man hatte eher so den Eindruck gehabt – er kriegt noch mal eine drauf und noch mal eine drauf. Er ist ignoriert worden oder man hat ihn provoziert durch Untätigkeiten."

Sein Mandant Michael wollte Ausgang, um als Freigänger in einem Betrieb außerhalb der JVA arbeiten zu können und sich so auf die Zeit in Freiheit vorzubereiten – ganz so, wie das Strafvollzugsgesetz es vorsehe, sagt sein Anwalt. Um die Entlassung vorzubereiten, soll der Entzug gelockert werden. Die JVA Kaisheim lehnte das ab. Der Bescheid wurde jedoch vom Bayerischen Obersten Landesgericht für unzulässig erklärt, die JVA sollte einen neuen erstellen. Dem aber sei die JVA zeitnah nicht nachgekommen. Man habe es "weiterhin in die Länge gezogen", nicht sofort neu einen Bescheid erlassen "unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, wozu angewiesen wurde"- stattdessen habe man es "einfach wieder gedehnt und gestreckt."

Ein Drittel der Gefangenen wird rückfällig – teuer für den Steuerzahler

Kriminalität und fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten statt Resozialisierung? Davon berichten unsere Quellen, wenn sie über den Strafvollzug in der JVA Kaisheim sprechen. Laut Gesetz ist es allerdings Aufgabe des Vollzugs, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Eine Vorgabe, der zu wenig nachgegangen wird, kritisiert die Anwältin Alexandra Gutmeyr mit Blick nach Kaisheim. Ihr geht es um Grundsätzliches jenseits aller Sozialromantik – denn: Wenn es nicht klappt, mit der Resozialisierung, leiden wir alle als Gesellschaft darunter. 150 Euro kostet jeder Gefangene den Steuerzahler pro Tag im Schnitt.

Laut Bayerischem Justizministerium wird etwa jeder Dritte wieder straffällig und kommt erneut in den Knast, um eine Strafe abzusitzen.

"Die kommen dann raus, ohne alles, vielleicht mit 1.000 Euro Überbrückungsgeld. Die sind schnell weg. Und vorprogrammiert ist der nächste Weg, an den Bahnhof, sich den nächsten Schuss holen", sagt die Augsburger Anwältin Alexandra Gutmeyr.

Klar, es seien Verbrecher, so Gutmeyr. Aber dennoch: Sie kämen ja auch zurück, in die Gesellschaft. "Da würden wir sie doch eher so wollen, dass es funktioniert", sagt sie.

Mehr zu diesem Thema hören Sie heute (12.7.) um 12:17 Uhr im Radioprogramm von BR24 in der Sendung Funkstreifzug. Als Podcast finden Sie den Funkstreifzug schon jetzt. Zum Beispiel in der ARD-Audiothek.

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