Das Mosaik "Raum und Zeit" in der neuen Kantine der JVA in Kaisheim soll den weiten Horizont in die Enge der Gefängnismauern holen.
Bildrechte: BR/ Tobias Hildebrandt

Drei Meter breit ist das Mosaik "Raum und Zeit" für die neue Kantine der JVA in Kaisheim.

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Künstler holen den Horizont in die Enge eines Gefängnisses

Ungewöhnliches "Kunst am Bau"-Projekt in der JVA Kaisheim: Drei Künstler versuchen mit einem Mosaik, den weiten Horizont in die Enge der grauen Gefängnismauern zu holen – mithilfe einer pinken Kamera, die ausnahmsweise nicht die Gefangenen überwacht.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Es gibt viele Kameras an der Justizvollzugsanstalt im nordschwäbischen Kaisheim. Auf hohen Masten sind sie zur Überwachung auf die Höfe und Zäune des Gefängnisses gerichtet. Eine Kamera sticht heraus, sie ist pink und blickt nicht ins Gefängnis, sondern über die Mauer hinaus. "Diese Kamera blickt auf einen Ort, an dem für das normale Auge gar nichts zu sehen ist: Da ist eine Wiese und diese Wiese haben wir dann über ein Jahr lang gefilmt", sagt Martin Spengler. Er bildet zusammen mit Benjamin Stechele das Digitalkunst-Duo "Lab Binär". Gemeinsam mit dem Augsburger Künstler Felix Weinold haben sie an dem Projekt gearbeitet.

Ein Jahr lang jeden Tag ein Foto zur Mittagsstunde

Die pinke Kamera fängt den Ausblick aus dem Gefängnis ein. Eine Weite, die den Gefangenen und den Menschen, die in der JVA arbeiten, durch hohe Mauern versperrt ist.

Ein Jahr lang hat die Kamera jeden Tag ein Foto gemacht. Immer zur Mittagsstunde. Das Ergebnis: 365 Fotos mit demselben Bildausschnitt. Und doch ist jedes Foto anders: Im Januar liegt Schnee auf der Wiese, im Sommer weidet dort zwei Tage lang eine Herde Schafe und im Herbst färbt sich das Laub der Bäume im Hintergrund bunt.

Algorithmus macht aus 365 Fotos ein Bild

Ein Algorithmus fügt die 365 Fotos dann zu einem Bild zusammen: Von jedem Foto wandern 24 Pixel in das Bild. Spalte für Spalte baut sich so von links nach rechts das Gesamtwerk auf. Links ist die Wiese winterlich weiß, in der Mitte im Sommer kräftig grün und rechts, im Herbst, neblig-trüb.

Aus dem digitalen Bild wird ein klassisches Mosaik

Aus jedem Pixel wird im nächsten Schritt dann ein zwei Zentimeter großes Echtglas-Quadrat. Denn in der Mayerschen Hofkunstanstalt in München wird aus der digitalen Vorlage der Künstler ein drei Meter breites, analoges Mosaik gelegt. Das fertige Mosaik hängt in der neuen Kantine der JVA Kaisheim. Dort soll es seine Wirkung für diejenigen entfalten, die in dem Gefängnis arbeiten und inhaftiert sind: "Ein Gefängnis zeichnet sich dadurch aus, dass es einen Überschuss an Zeit hat, aber eine unglaubliche Begrenzung an Raum! Und für uns ist der Horizont das ideale Bild für die unbegrenzte Freiheit und Weite", sagt Künstler Felix Weinold.

Ein Blick zum Horizont statt auf graue Gefängnismauern

"Raum und Zeit" heißt das Mosaik. Felix Weinold spricht von einem "Zeitspeicher". 8.760 Stunden hat ein Jahr und so viele Steine hat das Mosaik. Wer vor den Tausenden Steinen im Mosaik steht, kann erahnen, wie lang sich ein Jahr anfühlen muss, wenn man hier eingesperrt ist. Und wer hier arbeitet, der sieht den Horizont im Mosaik – als Ablenkung im Alltag. "Der Blick über die hohen Mauern, der fehlt schon und da ist das Mosaik eine wunderbare Ergänzung dessen, was man den ganzen Tag über vermisst. Wir blicken ja tatsächlich alle, Inhaftierte, Bedienstete, auf die Innenseite der grauen Mauer, und das Mosaik ist ein schöner Blick hinaus in die Weite", sagt Peter Landauer, Leiter der JVA Kaisheim. Zu sehen bekommen das Mosaik die JVA-Beamten beim Mittagessen in der Kantine und die Gefangenen, die in diesem Bereich des Gefängnisses arbeiten.

Mosaik als "Kunst am Bau"-Projekt

Das Mosaik "Raum und Zeit" ist ein "Kunst am Bau"-Projekt. Bayern definiert sich laut Artikel 3 der Verfassung als Kulturstaat. Daraus leitet sich auch die Kunst am Bau ab. Bei neuen öffentlichen Gebäuden sollen zwei Prozent der Baukosten in bildende Kunst investiert werden. Bauherr der neuen Kantine und einer Sporthalle in dem Kaisheimer Gefängnis ist das Staatliche Bauamt Augsburg. Es rief deshalb zu einem Kunst-Wettbewerb auf. Für den Gewinner, das Mosaik-Projekt inklusive der aufwendigen Umsetzung, standen laut dem Staatlichem Bauamt insgesamt 90.000 Euro zur Verfügung.

20 Kunstwettbewerbe für neue Gebäude in Bayern

Innerhalb der vergangenen drei Jahre sind in Bayern mindestens 20 Kunstwettbewerbe für "Kunst am Bau" durchgeführt worden. Das teilt das bayerische Bauministerium mit. Diese Wettbewerbe gibt es meist bei größeren Baumaßnahmen, zum Beispiel beim Neubau eines Lehrgebäudes der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg, beim Finanzamt Donauwörth oder beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Würzburg.

Digitale Datensammlung, analoges Kunstwerk

Beim Besuch in der JVA in Kaisheim macht Künstler Felix Weinold viele Fotos von seinem Werk. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit den Digitalkünstlern von "Lab Binär" in diesem Fall auf ideale Weise geglückt. "Die Sammlung der Informationen fand digital statt und am Schluss wird eine geradezu archaische, Tausende Jahre alte Technik verwendet, um die Daten zu einem klassischen Mosaik zusammenzusetzen", sagt Weinold. Und die vielen Fotos, die der Künstler macht, haben noch einen Grund: Für die Öffentlichkeit und die Künstler selbst wird das Landschaftsmosaik künftig nicht mehr zu sehen sein. Schließlich hängt das Werk nicht in einem Museum, sondern im Gefängnis – dort, wo es keinen Horizont gibt.

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