Ein Jäger mit Gewehr bei Sonnenaufgang im Wald.
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Aiwanger hat die Jagd, Kaniber Wald und Forsten.

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Aiwanger oder Kaniber: Wer hat das Sagen im Wald?

Zwei Minister wollen in Bayern im Wald das Sagen haben: Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Aiwanger hat die Jagd, Kaniber den Forst. Noch belauern sie sich – doch der Ton wird rauer.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat schon jetzt einen vollen Terminkalender in seiner neuen Zuständigkeit als Jagdminister. Bei der Hubertus-Messe der Berufsjäger im Gebirgsort Fall vor drei Wochen sitzt er mit adligen Hoheiten ganz vorne als Ehrengast.

Aiwanger lässt sich gerne sehen bei den Jägern. Er bleibt meistens den ganzen Tag, in Fall bei Lenggries sogar bis in die Nacht hinein – bei Vollmond und Fackelschein. Womöglich fühlt er sich dort wohl, schließlich ist er ja auch Jäger. Aber es dürfte auch politisches Kalkül dahinterstecken. Es geht um Einfluss und Wählerstimmen. Und darum, wer das Sagen hat im Wald.

Aiwanger als Jagdminister: "Eine gute Sache"

"Herr Aiwanger ist Landwirt, Waldbauer und Jäger", sagt Ernst Weidenbusch, Präsident des Bayerischen Jagdverbandes, im Gespräch mit dem BR. Dass Aiwanger nun auch für Jagd zuständig ist, sei "eine gute Sache". Er hoffe, dass nun alle "zum gesunden Menschenverstand zurückkehren", sagt Weidenbusch und zeigt aufs Landwirtschaftsministerium von Michaela Kaniber (CSU): "Ich habe die Sorge, dass das Kaniber-Ministerium auch weiterhin nichts Positives beitragen wird."

Das hat gesessen. Und Weidenbuschs Spitze gegen die eigene Parteikollegin zeigt, wie sehr der Jagdverband und Kanibers Ministerium mittlerweile auseinanderliegen.

Aiwanger: "Dreinreden ohne von der Sache eine Ahnung zu haben"

Hubert Aiwanger sieht die Jagd öffentlich zwischen zwei Extrempositionen. "Die einen werfen den Jägern vor, zu viel Wild 'abzuknallen', weil sie die Tiere hassen und Lust am Töten hätten. Die anderen sagen, die Jäger würden das Wild zu sehr hätscheln und füttern, statt zu schießen, so dass die Wälder aufgefressen würden", schreibt Aiwanger dem BR. Aber beide seien sich einig, dass der Jäger alles falsch mache, so Aiwanger. "Am besten sollten diese Leute sich erst gegenseitig überzeugen, bevor sie uns dreinreden, ohne von der Sache eine Ahnung zu haben."

Uns dreinreden. Das ist auffällig. Aiwanger antwortet immer wieder in der "Wir-Form". Hier ist er nicht der stellvertretende Ministerpräsident, sondern hier ist er Aiwanger, der Jäger. Und er trifft einen Nerv. Die Jäger fühlen sich ohnehin zurückgesetzt. Ähnlich wie Aiwanger äußert sich auch Jagdverband-Chef Weidenbusch. Immer wieder ist vom "Dreinreden" die Rede – und von "denen, die keine Ahnung von Wald und Wild haben".

"Wald vor Wild" als Grundsatz im Waldgesetz

Beispiel Waldpakt 2023, den die Staatsregierung im Juni dieses Jahres mit den Waldbesitzern geschlossen hat: Vor allem im Punkt Jagd ist der Waldpakt eindeutig. "Waldverträgliche Wildbestände müssen auf ganzer Fläche realisiert werden", heißt es darin. Die Staatsregierung stellt sich zudem klar hinter den Grundsatz "Wald vor Wild".

Das Problem: Weder die Freien Wähler noch der Jagdverband haben an den Gesprächen teilgenommen. Sie waren nicht eingeladen. "Wir haben es als Koalitionspartner leider auch erst nachträglich aus der Zeitung gelesen, was drinsteht", sagt Aiwanger heute. Jagdverbandschef Weidenbusch winkt ab und bezeichnet den Waldpakt als reinen "Holzproduzentenpakt".

Kaniber: "Forstministerium bleiben wir!"

Das Forstministerium von Michaela Kaniber gibt sich zunächst gelassen und verweist nüchtern auf Zuständigkeiten. Doch am vergangenen Donnerstag schlägt Kaniber plötzlich einen anderen Ton an. Der Termin: Verleihung des Staatspreises für vorbildliche Waldbewirtschaftung. Ein harmloser Wohlfühltermin, doch Kaniber schaltet auf Angriff: "Wir werden ideologiefrei und faktenbasiert die Interessen der Waldbesitzer vertreten." Und sie ruft den Waldbesitzern zu: "Forstministerium bleiben wir!"

Im Anschluss sagt Kaniber dem BR, sie sei dankbar, "dass wir den Waldpakt auch in den Koalitionsvertrag reingeschrieben haben, mit dem Motto 'Wald vor Wild'", so Kaniber. Das kann man als Spitze in Richtung Aiwanger verstehen. Schließlich hat Aiwanger als FW-Chef den Koalitionsvertrag auch unterschrieben. Was kann er nun dagegen sagen? Und daraus leitet Kaniber wohl für sich eine Position der Stärke ab. Ihre Botschaft: Sie hat das Sagen im Wald. Allerdings mit einer Einschränkung: Die Rechtsaufsicht über die Bayerischen Staatsforsten, eine Gesellschaft des öffentlichen Rechts, die den Staatswald mit gut 800.000 Hektar bewirtschaftet – gut 11 Prozent der Landesfläche – gehört seit neuestem zu Aiwangers Wirtschaftsministerium.

Forstministerium: "Jagdliche Einzelinteressen an zu hohen Wildbeständen"

Das Ministerium legt auch nochmal nach: "Wald vor Wild" bedeute nicht "Baum vor Tier", sondern das bedeute, dass das Ökosystem Wald mit seinen lebenswichtigen Funktionen für die Gesellschaft und für unsere heimische Tierwelt Vorrang habe vor jagdlichen Einzelinteressen an zu hohen Wildbeständen. "Angesichts der Klimakrise ist dieser gesetzliche Auftrag wichtiger denn je", sagt ein Sprecher dem BR.

Bayerns Waldbesitzer: "Dramatische Situation"

Bayerns Wälder sind im Wandel. Der Klimawandel verschärft die Situation. Schädlinge wie der Borkenkäfer fressen ganze Waldstriche wie zum Beispiel den Frankenwald zusammen. Mischwälder sind das Gebot der Stunde. Doch dem Wald kann man nicht einfach von heute auf morgen einen neuen Anstrich verpassen.

Hans Ludwig Körner, Geschäftsführer des Bayerischen Waldbesitzerverbandes, spricht gegenüber dem BR von einer "dramatischen Situation". Die waldbauliche Situation sei ganz und gar nicht zufriedenstellend. Etwa die Hälfte der Hegegemeinschaften weisen demnach eine "nicht-tragbare Verbissbelastung auf", sagt Körner. "Das liegt nicht am Waldbesitzer oder dem Waldbau, sondern am Verbiss!" Es geht um Rehwild, das junge Bäume verbeisst. Und damit nimmt er die Jäger in die Pflicht. Die Waldbesitzer verlangen von den Jägern, mehr Rehe zu schießen. Dazu muss man wissen: Wald- und Jagdpolitik liegen im Grabenkampf.

Wald und Jagd im Dauerkonflikt

Waldbesitzer und Förster wollen, dass die jungen Bäume, die sie pflanzen, oder auch die Naturverjüngung, also Bäume, die von selbst nachwachsen, nicht durch Rehe verbissen werden, sondern unverkrüppelt aufwachsen können. Aus Sicht der Forstwirtschaft ist deshalb eine intensive Jagd nötig. In dieser Logik klingt das simpel. Dort wo zu viel Wild unterwegs ist, werden zu viele Jungbäume kaputtgefressen. Deshalb müsse man mehr Rehwild schießen, damit die Bäumchen überleben.

Doch vor allem um die Zahl der Reh-Abschüsse pro Jagdrevier schwelt erbitterter Streit. Den Waldbesitzern ist eine günstige, natürliche Verjüngung des Waldes ohne Wildschutzzäune am liebsten. Die Jäger halten dagegen den Rehbestand nicht für zu hoch und bremsen bei den Abschussvorgaben. Der Klimawandel, der die Forstwirtschaft zum Umbau des Waldes zwingt, hat diesen Dauerkonflikt noch verschärft.

Ein Gutachten im Zentrum des Streits

Im Zentrum des Streits: Das forstliche Gutachten. Darin wird die Situation der Waldverjüngung sowie die Verbiss- und Fegeschäden durch Schalenwild erfasst und bewertet. Schälen bedeutet: das Abziehen ganzer Rindenstreifen vom Baum. Und das Fegen: Rehböcke wie auch Hirsche versuchen an den Bäumen ihre Basthaut abzureiben, unter der das neue Geweih wächst. Das alles zerstört die jungen Bäumchen und macht aus Sicht der Forstwirtschaft eine starke Bejagung nötig.

Die Jäger lehnen das Gutachten ab. Ernst Weidenbusch vom Jagdverband sagt, das Gutachten solle den Wald verbessern, aber er sehe kein Ergebnis. Deshalb müssten die herangezogenen Daten hinterfragt werden. Jagdminister Aiwanger schlägt vor, "dass neben der Feststellung der verbissenen Bäumchen auch die waldbauliche Situation wie die Belichtung der Verjüngungsfläche erfasst wird."

Doch der Gegenwind bläst direkt aus Kanibers Forstministerium. Ein Sprecher teilt dem BR mit: Behauptungen, dass Belichtungsverhältnisse, Boden, Wasserverfügbarkeit etc. mehr Einfluss auf den Verbiss hätten als die Wilddichte, seien fachlich falsch. "Insofern macht es auch keinen Sinn, diese Punkte aufzunehmen." Auch Hans Ludwig Körner vom Waldbesitzerverband hält dagegen: "Die Systematik zu verändern, nur weil einem die Ergebnisse, die die Situation vor Ort widerspiegeln, nicht passen, ist der Dramatik der Situation in den Wäldern nicht angemessen."

Kaniber-Ministerium gibt sich selbstbewusst

Und auch beim forstlichen Gutachten pocht Kanibers Ministerium auf den Führungsanspruch: "Die Zuständigkeit liegt weiterhin im Forstministerium", sagt ein Sprecher. Das steht so auch eindeutig im Jagdgesetz. Allerdings steht im Koalitionsvertrag: "Wir prüfen gemeinsam mit allen betroffenen Verbänden, das forstliche Gutachten einvernehmlich weiterzuentwickeln und fachlich zu stärken."

Doch dazu gibt sich auch Hubert Aiwanger nicht gerade aussagefreudig: "Fachliche Gespräche und eine fachliche Weiterentwicklung, wenn man sich einig ist." Dagegen schreibt Kanibers Ministerium klipp und klar: "Aus unserer Sicht besteht fachlich kein Anpassungsbedarf."

Jagdgesetz stärkt Kaniber

Im Jagdgesetz steht, dass bei der Abschussplanung vorrangig der Zustand der Vegetation, insbesondere der Waldverjüngung zu berücksichtigen ist. "Den zuständigen Forstbehörden ist vorher Gelegenheit zu geben, sich auf der Grundlage eines forstlichen Gutachtens über eingetretene Wildschäden an forstlich genutzten Grundstücken zu äußern und ihre Auffassung zur Situation der Waldverjüngung darzulegen", steht im Jagdgesetz.

In einfachen Worten: Beim forstlichen Gutachten hat Kaniber das Sagen. Damit schmilzt der inhaltliche Gestaltungsrahmen für Aiwanger im Gegensatz zu Kaniber im Wald.

Konflikte zwischen CSU und FW vorprogrammiert

Aber Aiwanger hat für sich ein neues Spielfeld erschlossen. Wann auch immer Michaela Kaniber als Forstministerin spricht, auftritt und beschließt – Hubert Aiwanger kann als Jagdminister ebenso sprechen und auftreten. Nur mit dem Beschließen wird es nicht so einfach.

So oder so: Da kommen spannende Zeiten auf Bayerns Forstverwaltung zu. Und auch auf die Jäger, für die nun einer Regierungsverantwortung trägt, der mit der Jagd aufgewachsen ist und nicht erst als Mandatsträger den Jagdschein gemacht hat. Die Jagd der Volksvertreter bei Waldtagungen und Hubertus-Messen auf Einfluss und Wählerstimmen hat begonnen.

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