Der Angeklagte (Bild gepixelt) und sein Anwalt im Landgericht Augsburg (08.05.23)
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Prozess um Hepatitis-Skandal

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Hepatitis-Skandal: Geringste Blutmengen reichen für Übertragung

Wie konnte ein Arzt über Jahre lang Medikamente abzweigen und zuletzt auch noch 51 Patienten mit Hepatitis C infizieren? Der Übertragungsweg ist noch immer ungeklärt. Die Erklärung des Arztes wurde heute vor Gericht von Experten nicht widerlegt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Ja, er habe sich an Spritzen mit Narkosemitteln bedient, die eigentlich für Patienten bestimmt waren. Das hat der Angeklagte bereits am ersten Prozesstag zugegeben. Seiner Aussage zufolge hat er das jahrelang gemacht. Er war schwer krank, litt an einer Depression und einer chronischen Darmerkrankung. Um dennoch arbeitsfähig zu bleiben, brauchte er die Medikamente.

Dass er in seinen letzten eineinhalb Jahren am Donauwörther Krankenhaus mit Hepatitis C infiziert war, wusste er zu dieser Zeit seiner Aussage zufolge nicht. Auch in dieser Zeit hat er sich weiter bedient, am Narkosemittel – und soll dabei 51 Patienten mit Hepatitis C infiziert haben.

Verletzungen beim Hantieren mit der Spritze

Doch wie kam das Blut des Narkosearztes mit dem der Patienten in Kontakt? Er habe dafür nur eine mögliche Erklärung, so der Angeklagte am ersten Prozesstag: Er müsse sich beim Hantieren mit der Spritze verletzt haben. Also, sich mit der Nadel gestochen haben, bevor er diese an der Spritze des Patienten angesetzt hatte, um Narkosemittel herauszuziehen. Manchmal habe er das auch gemerkt, dass er sich gestochen habe. Er habe oft stark gezittert, da sei das passiert. So könnte sein Blut mit dem Narkosemittel der Patienten vermengt worden sein, vermutet der Angeklagte bei seiner Aussage am ersten Prozesstag. Seit seiner Aussage und seinem Geständnis am ersten Prozesstag verfolgt er die Verhandlung fast regungslos, aufrecht sitzend, die Arme oft verschränkt - er zeigt keine Reaktion.

Geringste Blutmengen für Übertragung ausreichend

Im weiteren Verlauf der Verhandlung versuchte das Gericht zu klären, ob so winzige Verletzungen bei einem Stich mit der Nadel ausreichen, einen anderen Menschen mit Hepatitis C zu infizieren. Dazu waren zwei Sachverständige geladen, vom Landesamt für Gesundheit in Erlangen (LGL) und vom Institut für Virologie in Düsseldorf. Die Experten bestätigten in ihren Aussagen die Vermutung des Angeklagten.

Beide sagten, es könne sogar so wenig Blut sein, dass man es gar nicht sehe. Je höher die Viruslast des Infizierten, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus auch übertragen werden. Außerdem sei dieses Virus relativ lange überlebensfähig, auch wenn das Blut schon beginne, einzutrocknen. Sobald man sich mit der Nadel so steche, dass diese mit viruslastigem Blut in Kontakt komme, sei sie infektiös.

Studien stützen Erklärungsversuch des Angeklagten

Statistische Erhebungen zeigten, dass nach solchen Nadelstichen in 1,8 Prozent der Fälle eine Übertragung erfolgte, so der Experte vom LGL. Höher sei das Risiko noch, wenn diese winzige, kaum sichtbare Blutmenge in eine Flüssigkeit wie etwa das Narkosemittel gelange.

Im Fall des Narkosearztes geht es um etwa 1.700 Fälle, in der er eine Narkose verabreicht hat. 51 der Patienten war danach infiziert – also drei Prozent. Damit kann es sich theoretisch so zugetragen haben, wie der Angeklagte vor Gericht ausgesagt hat.

Die Ermittler sowie der damalige Leiter des Donau-Rieser Gesundheitsamts hatten das angezweifelt. Der ehemalige Amtsarzt sagte vor Gericht, von einer zweiten Spritze sei ihm nichts bekannt gewesen. Er war offenbar davon ausgegangen, der Arzt habe dieselbe Spritze für sich und die Patienten genutzt. Das bestreitet dieser. Ob er für sich eine andere Spritze genommen hat oder nich,t wird wohl auch bei der Klärung der Frage, ob er fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat, von Bedeutung sein.

Virustyp belegt: Arzt war Infektionsquelle

Unstrittig blieb am ersten Verhandlungstag, dass sich die Patienten bei dem ehemaligen Arzt angesteckt haben müssen. Denn der Genotyp des Virus, der bei den Infizierten festgestellt worden war, war der gleiche, der bei dem ehemaligen Arzt gefunden wurde. Dieser Genotyp komme in Deutschland nur zu etwa einem Drittel vor, so die Experten vor Gericht. Hätten sich die Patienten an verschiedenen Quellen angesteckt, hätten in ihren Proben aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedene Genotypen gefunden werden müssen. Vor allem nicht dieser seltene Typ, der in allen positiven Proben bestätigt wurde. Demnach gilt als gesichert, dass sich alle 51 bei dem ehemaligen Narkosearzt infiziert hatten.

Sehr gute Heilungschancen für Hepatitis-C-Infizierte

Für die Betroffenen hatten die Experten unterdessen zumindest für die Zukunft gute Nachrichten: Dank neuer Medikamente sei Hepatitis C zu 98-99 Prozent heilbar. Für wen das nicht gelte, für den gebe es weitere Präparate, die auch hier eine Ausheilung erwarten ließen. Wenn zwölf Wochen nach Therapieende keine Viruslast mehr feststellbar sei, gelte man als geheilt. Weil es dennoch keine Langzeitstudien zu den neuen Medikamenten gibt, empfiehlt der Experte vom LGL weitere Blutuntersuchungen in den folgenden Jahren. Medizinisch sei das allerdings nicht notwendig, so die Ansicht von Professor Joerg Timm vom Institut für Virologie in Düsseldorf. Da die Infektion bei allen frühzeitig entdeckt wurde, seien Spätfolgen wie eine Leberzirrhose auszuschließen, so die beiden Experten übereinstimmend.

Pflegepersonal fand Arzt "auffällig"

Am nächsten Prozesstag soll unter anderem Pflegepersonal der Donau-Ries Klinik aussagen. Mehrfach hatten Krankenschwestern den Chefarzt der Anästhesie im Donauwörther Krankenhaus, Ludwig Düthorn, auf den Narkosearzt angesprochen. Der sei auffällig, so die Pflegerinnen. Konkretisiert hätten sie das nicht, so der Chefanästhesist bei seiner Zeugenvernehmung. In der Folge habe er den Narkosearzt mehrfach zum Gespräch gebeten, der habe aber alles abgestritten. Manchmal habe sich der Anästhesist bei Besprechungen vor Schmerz gekrümmt, wohl wegen seiner chronischen Darmerkrankung. Er habe aber immer weiterarbeiten wollen. Es habe nie Beweise gegeben, um einen Drogentest bei ihm durchführen zu können, so Düthorn weiter.

Verdachtsmomente hat es also offenbar gegeben, in all den Jahren in denen sich der ehemalige Arzt an den starken Schmerzmitteln bediente, um arbeitsfähig zu bleiben. Erst als ihn eine Pflegerin mit einer Spritze im Arm erwischte, gab es Konsequenzen. Am Mittwoch (10.05.) wird der Prozess am Landgericht Augsburg fortgesetzt.

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