Kathrin Schratt vom Landschaftspflegeverband Oberallgäu-Kempten inmitten ihrer Ziegen
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Kathrin Schratt vom Landschaftspflegeverband Oberallgäu-Kempten inmitten ihrer Ziegen

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Gunzesrieder Tal: Mit Ziegen gegen das Artensterben

Der Thymian-Ameisenbläuling ist ein Schmetterling, der nur noch selten vorkommt. Im Gunzesrieder Tal im Oberallgäu gibt es ihn noch. Auch weil Ziegen dabei helfen, den Lebensraum des kleinen Falters zu erhalten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Auf der Weide nahe der Alpe Vorsäß 1 grasen 16 junge Böcke und ausgediente Milchziegen. Sie lassen es sich in der warmen Herbstsonne noch einmal gut gehen. Ganz nebenbei pflegen sie die oft steile, mit Nagelfluh-Findlingen durchsetzte Alpfläche.

"Sie sind uns eine große Hilfe, weil sie auch das stachelige Zeug fressen, das die jungen Rinder nicht mögen", erklärt Tobias Leimgruber. Zusammen mit sechs anderen jungen Männern versorgt er die Ziegen und mäht die etwa 2,5 Hektar große Fläche - beziehungsweise das Wenige, was überhaupt noch zu mähen ist: Dort, wo die Ziegen geweidet haben, hat er meistens nicht mehr viel zu tun. Auf den Nachbarflächen dagegen sieht es anders aus: Dort treiben schon wieder kleine Bäumchen, Brombeeren und Rosen aus.

Ökologische Nische: Thymian

Auch sie müssen weg, damit der seltene Thymian-Ameisenbläuling, ein blau-grau schimmernder Falter, eine Zukunft hat. Er ist in weiten Teilen Deutschlands bereits ausgestorben. Denn er ernährt sich im Raupen-Stadium von der Thymian-Pflanze, erklärt Kathrin Schratt vom Landschaftspflegeverband Oberallgäu-Kempten. Thymian wachse allerdings nur auf beweideten oder kurzrasigen Flächen, die viel Sonne abbekommen.

Mit Licht für die Thymian-Pflanze wäre es auf dieser Fläche jedoch fast vorbei gewesen: Vor drei Jahren drohte sie zu verwalden. Die Eigentümer der Alpe waren mit der Pflege und der Bewirtschaftung des unwegsamen Geländes nicht mehr hinterhergekommen. Landwirt Marcus Mägdefrau aus Bihlerdorf hatte seine Fläche am Hang deshalb schon aufgegeben. "Es war alles so zugewuchert, dass ich zu meiner Frau gesagt habe, wir schaffen das nicht mehr und jemanden dafür zu engagieren, ist unbezahlbar."

Staatliche Förderung für den Artenschutz

Wie es der Zufall allerdings will, hat der Landschaftspflegeverband Oberallgäu-Kempten fast zeitgleich festgestellt, dass der seltene Thymian-Ameisenbläuling hier noch existiert. Geoökologin Kathrin Schratt ermutigte die Landwirte, die Fläche doch wieder zu bewirtschaften: im Rahmen eines Modellprojekts und mit staatlicher Unterstützung. Weil es neben dem seltenen Falter noch andere schützenswerte Tiere und auch Pflanzen gibt, wurden 90 Prozent Förderung bewilligt. Zehn Prozent übernahm der Landschaftspflegeverband selbst. "Für die Gemeinde oder die Eigentümer sind so keine Kosten entstanden", sagt Schratt.

Insgesamt wurden so bis heute 10.000 Euro in die wertvolle Alpfläche investiert. Das meiste Geld wurde für die Helfer ausgegeben, die die Flächen mit Motorsense und Säge entbuscht haben und regelmäßig zum Mähen kommen.

Ziegen verschmähen Thymianpflanzen

Marcus Mägdefrau hat die sieben jungen Männer aus seinem Bekanntenkreis gewinnen können. Bei einem privaten Treffen entstand dann auch die Idee, Ziegen – wie es früher weit verbreitet war – anzuschaffen und sie auf der Fläche weiden zu lassen.

Praktisch dabei ist, dass die Ziegen den aromatischen Thymian nicht mögen und dem kleinen blauen Falter so seinen Lebensraum lassen.

Der Schmetterling flattert nur im Hochsommer herum. Zurzeit haben sich die Raupen des Falters in einen Ameisenbau unter dem Thymian-Polster verkrochen. Da ist sich Kathrin Schratt ziemlich sicher. Bis zum Frühling werden sie sich dort, ähnlich wie Kuckuckskinder im fremden Nest, durchfüttern lassen. Wenn sie allerdings aus der Puppe schlüpfen, "dann fliegt es eben auf, dass es gar keine Ameisenlarve war. Dann muss der Schmetterling schnell raus aus dem Bau", erklärt Kathrin Schratt.

Ziegenfleisch als Lohn

Während der Lebensraum des Falters durch das Miteinander von Landwirtschaft und Naturschutz also erst einmal gesichert ist, sind die Tage der Ziegen gezählt. Als Lohn für die Versorgung der Tiere bekommen die Helfer das Ziegenfleisch und lassen es zu Hartwurst, Landjägern und Pfefferbeißern verarbeiten. Nächstes Jahr im Frühjahr kaufen sie dann neue Tiere. Das haben sie fest vor: Denn auch wenn die Förderung ausläuft, sind sich alle einig: Diese artenreiche Alpfläche im Gunzesrieder Tal wollen sie in Zukunft weiter pflegen.

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