Stolpersteine, in den Boden eingelassene, vergoldete Steine mit Daten verfolgter und ermordeter Opfer des Nationalsozialismus. Neben den Steinen liegen mehrere rot-gelbe Rosen und eine weiße Rose.
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Sollen in der Stadt Rosenheim Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden? Die Entscheidung fällt am Mittwochabend im Stadtrat.

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Diskussion um Stolpersteine in Rosenheim - Entscheidung steht an

Kleine in den Boden eingelassene Tafeln, so genannte Stolpersteine, erinnern in vielen Städten an Opfer des Nationalsozialismus. Sollen auch in Rosenheim Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden? Am Mittwoch entscheidet der Stadtrat.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Wer es nicht weiß, übersieht ihn womöglich: Am Eingang eines Rosenheimer Modegeschäfts in der Bahnhofstraße gibt es bereits einen Stolperstein. Er ist vergangenen Sommer dort in den Boden eingelassen worden. Inzwischen hat das Gold des Steins eine Patina angelegt. Er wurde zur Erinnerung an den Musiker Franz Gory Kaufmann verlegt und ist einer von sieben Stolpersteinen in der Stadt Rosenheim, die allesamt auf Privatgrund verlegt wurden.

Stolpersteine auf städtischem Grund?

16 Rosenheimer Stadträte von sechs Parteien haben jetzt einen Antrag eingereicht, der die Verlegung von Stolpersteinen im öffentlichen Raum verlangt. Im Haupt- und Finanzausschuss gab es dazu eine rege Debatte, denn nicht jeder Stadtrat hält Stolpersteine für das beste Mittel des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Insgesamt gehe es um die Schaffung eines "würdigen personalisierten Gedenkens" in Rosenheim, fasst Oberbürgermeister Andreas März (CSU) zusammen. Er persönlich, die CSU und auch die Verwaltung der Stadt lehnen Stolpersteine ab.

Verwaltung und CSU: lieber Erinnerungszeichen wie in München

Die Stadtverwaltung und die CSU-Fraktion befürworten eine andere Form des personalisierten Gedenkens – und zwar Stelen oder Tafeln an Hauswänden, wie es seit drei Jahren bereits in München umgesetzt wird. Man spreche sich vor allem aus Respekt vor der Haltung Charlotte Knoblochs gegen Stolpersteine aus, so die Begründung.

Der Oberbürgermeister führte in dieser Sache im Februar nochmals ein Telefonat mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Charlotte Knobloch lehnt Stolpersteine ab, weil sie das Andenken der Opfer durch das Verlegen auf der Straße in den Schmutz gezogen sieht. Man wolle Teile der jüdischen Kultusgemeinde nicht vor den Kopf stoßen, so CSU-Stadtrat Daniel Artmann.

Für mehrere Parteien sind Stolpersteine "längst überfällig"

Grüne, SPD, Freie Wähler, ÖDP, FDP und Die Partei halten Stolpersteine in Rosenheim hingegen für überfällig. Seit einem Hearing im Rahmen einer Sondersitzung des Stadtrates vor rund sieben Jahren sei nichts mehr geschehen. Dabei sei das Thema aktueller denn je, so die Grünen-Stadträtin Sonja Gintenreiter mit Verweis auf die Durchsuchung bei einem vermeintlichen Rosenheimer Holocaustleugner.

"Wir wollen Stolpersteine, die auch die Angehörigen fordern, ermöglichen, wie alle anderen Gedenkformen", so die Grünen-Fraktionssprecherin. Tatsächlich sind bereits weitere Verlegungen geplant. Laut der "Initiative Erinnerungskultur" sprechen sich die Angehörigen von Elisabeth Block für Stolpersteine vor der Städtischen Mädchenrealschule aus. Eine weitere Verlegung soll für die Familie Kohn am Ludwigsplatz stattfinden.

Initiative macht Druck und wirbt für Stolpersteine

Im Vorfeld der Entscheidung im Rathaus wirbt die "Initiative Erinnerungskultur" enorm für Stolpersteine auf öffentlichem Grund in Rosenheim. Sprecher Thomas Nowotny wandte sich bereits mehrmals mit einem öffentlichen Brief an den Stadtrat und an Oberbürgermeister Andreas März. Er bittet auch die Rosenheimer CSU-Fraktion darum, ihre ablehnende Haltung zu überdenken.

In über 90 bayerischen Städten würden inzwischen Stolpersteine auf öffentlichem Grund liegen, weltweit seien es über 80.000 Steine und damit sei das Projekt des Künstlers Gunter Demnig das größte Flächendenkmal der Welt. Hier werde moralischer Druck ausgeübt, kritisiert CSU-Fraktionssprecher Herbert Borrmann. Dass anstelle der Stolpersteine keine andere Lösung akzeptiert werde, sei Ausdruck eines verabsolutierenden Denkens.

Kirchenvertreter sprechen sich für Stolpersteine aus

In einem Brief meldete sich auch die Dekanatsleiterin Astrid Handke in dieser Diskussion zu Wort. Die kfd-Frauen des Diözesanverbandes München-Freising, also die Katholische Frauengemeinschaft Deutschland, würde Stolpersteine auf öffentlichem Grund in Rosenheim sehr begrüßen. "Damit wir mit anderen im interreligiösen Dialog ins Gespräch kommen können und ein klares Zeichen gegen Rassismus oder Rechtspopulismus setzen", so die kfd im Dekanat Rosenheim.

Weitere Stimmen für Stolpersteine - auch prominente

Die Initiative "Erinnerungskultur Rosenheim" hat weitere Stimmen gesammelt, die sich für Stolpersteine in Rosenheim und Bayern aussprechen. Zum Beispiel die von Sportjournalist Marcel Reif, der als Sohn eines Holocaust-Überlebenden meint, Stolpersteine würden dazugehören – auch in Rosenheim. Auch der Schauspieler August Zirner, die Musikerin Katrin Stadler von den "Neurosenheimern" sowie die Rosenheimer CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig befürworten Stolpersteine in Rosenheim.

Alle waren sich bei der vorangegangenen Sitzung im Haupt- und Finanzausschuss einig: Dieses Thema eigne sich nicht für eine parteipolitische Profilierung. Der gesamte Stadtrat solle entscheiden, jeder Einzelne für sich. Die Sitzung beginnt am Mittwoch um 17 Uhr.

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