Archivbild: Weitgehend leere Fußgängerzone in München während der bayerischen Corona-Ausgangsbeschränkungen.
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Archivbild: Weitgehend leere Fußgängerzone in München während der bayerischen Corona-Ausgangsbeschränkungen.

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"Die Bürger eingesperrt": Kritik an Söder nach Corona-Urteil

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Die bayerische Ausgangsbeschränkung im April 2020 war zu streng – es hätte mildere Maßnahmen gegeben. Die FDP fühlt sich bestätigt, Bayerns Gesundheitsminister verteidigt die damalige Corona-Entscheidung.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Corona-Ausgangsbeschränkung im April 2020 verteidigt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) das damalige Vorgehen. Man werde das Urteil akzeptieren und sich die Begründung anschauen, sagte Holetschek bei BR24live. Allerdings habe die Politik damals "nicht ewig Zeit für juristische Kolloquien" gehabt. Die Maßnahmen bewertete er auch im Rückblick als verantwortbar und richtig.

In einer Mitteilung führte Holetschek weiter aus: "Im Frühjahr 2020 gab es nur begrenzte Erkenntnisse über das neuartige und hochansteckende Coronavirus, keine Medikamente und keinen Impfstoff." Angesichts vieler schwerer Krankheitsverläufe und einer hohen Sterblichkeit sei ein konsequentes Vorgehen notwendig gewesen.

Keine Aussage Holetscheks zu möglicher Entschuldigung

Die Frage nach einer möglicherweise fälligen Entschuldigung beantwortete Holetschek bei BR24live nicht direkt. Er betonte aber mehrmals, dass eine Bewertung im Rückblick immer einfacher sei. Zudem müsse man aus dem aktuellen Urteil Schlussfolgerungen für die Zukunft schließen.

FDP sieht sich bestätigt: "Team Unverhältnismäßigkeit"

Der bayerische FDP-Fraktionschef Martin Hagen widersprach dem Minister. Schon im Frühjahr 2020 hätten viele Menschen die Meinung vertreten, dass die Ausgangsbeschränkung unverhältnismäßig sei. Dies sei ab April 2020 auch die Position der FDP gewesen. "Es ist gut, dass das jetzt gerichtlich bestätigt wurde", sagte Hagen bei BR24live. Den alleinstehenden Menschen, die damals in ihren Wohnungen vereinsamt seien, helfe das aber im Nachhinein nichts mehr.

In anderen Bundesländern habe sich schon im Frühjahr 2020 gezeigt, "dass die milderen Mittel einen mindestens ebenso großen Effekt hatten", argumentierte Hagen. "Wir hatten damals in Bayern die strengsten Regeln und gleichzeitig die höchsten Corona-Zahlen." Die extrem strengen Ausgangsbeschränkungen hätten aber nicht dazu geführt, dass das Infektionsgeschehen besser eingedämmt worden sei als in anderen Bundesländern.

Die stellvertretende bayerische FDP-Vorsitzende, Katja Hessel, begrüßte das Urteil ebenfalls. "Auch in Bayern ist Sitzen auf einer Parkbank nicht illegal", twitterte Hessel. Die Politik dürfe Freiheitsrechte nicht mit Ausgangsbeschränkung übermäßig einschränken. Franziska Brandmann, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, teilte bei Twitter mit: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe während der Pandemie statt das "Team Vorsicht" das "Team Unverhältnismäßigkeit" angeführt.

Bundesrichter: Ausgangsbeschränkung "unverhältnismäßig"

Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, dass die Revision des Freistaats gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfolglos bleibt. Die bayerische Ausgangsbeschränkung im April 2020 sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar gewesen.

Das ganztägig geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, sei ein schwerer Eingriff in die Grundrechte gewesen. Als mildere Maßnahme wären demnach Kontaktbeschränkungen in Frage gekommen, die den Aufenthalt im Freien nur mit Angehörigen des eigenen Haushalts ermöglicht hätten. Konkret ging es um die bayerische Corona-Verordnung vom 31. März 2020. Sie war vom 1. bis 19. April 2020 in Kraft. Bayern agierte damals strenger als andere Bundesländer, wo die meisten Landesregierungen auf Kontaktbeschränkungen setzten.

SPD-Landeschef von Brunn: Bürger "rechtswidrig eingesperrt"

Der bayerische Landes- und Fraktionschef der SPD, Florian von Brunn, reagierte auf das aktuelle Urteil mit scharfer Kritik an Ministerpräsident Söder. Dieser habe "die Bayerinnen und Bayern ohne ausreichenden Grund und rechtswidrig eingesperrt" und das bayerische Lebensgefühl mit Füßen getreten, twitterte von Brunn. "In seiner Geltungssucht musste er immer den Bund übertrumpfen."

Der SPD-Politiker wirft Söder im Rückblick vor, damals nicht aus Überzeugung gehandelt zu haben: "Das alles bei ihm vor allem politisches Kalkül ist, zeigt seine heutige 180-Grad-Wende in der Corona-Politik."

Grüne: "Schwerer Eingriff in unsere Freiheit"

Bayerns Gesundheitsminister Holetschek sieht das ganz anders. Ohne direkt mit von Brunns Vorwurf konfrontiert worden zu sein, wies Holetschek darauf hin, dass die Lage mittlerweile eine andere sei. Die Maßnahmen müssten immer verhältnismäßig sein, betonte der CSU-Politiker: "Das zeigt auch unser gegenwärtiger Corona-Kurs – etwa bei der Aufhebung der Isolationspflicht, bei der Bayern ein Vorreiter ist." Holetschek wies auch darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht beispielsweise die sogenannte Corona-Notbremse grundsätzlich gebilligt habe.

Der bayerische Grünen-Chef Thomas von Sarnowski erklärte, Söders Sonderweg im ersten Lockdown 2020 sei "ein schwerer Eingriff in unsere Freiheit" gewesen. Kontaktbeschränkungen hätten laut Sarnowski genügt.

AfD fordert Söder-Rücktritt

Die bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Katrin Ebner-Steiner begrüßte derweil genau wie FDP und SPD die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – und forderte personelle Konsequenzen an der Spitze des Freistaats. "Bundesverwaltungsgericht watscht Staatsregierung ab: Söder handelte gegen Recht und Gesetz", twitterte Ebner-Steiner. "Früher hätten Ministerpräsidenten bei solchen Urteilen aus Anstand ihren Rücktritt angeboten!"

AfD-Gesundheitsexperte Andreas Winhart betonte, "die Maßnahmenflut, die insbesondere Markus Söder als verbohrter Hardliner gegen jede Vernunft und Rechtsstaatlichkeit fanatisch umgesetzt hat", sei nun in höchster Instanz abgestraft worden. Die AfD-Fraktion werde Konsequenzen aus der Entscheidung fordern: "Es braucht eine vollständige politische und juristische Aufarbeitung der Corona-Hysterie."

Eine Ausgangsbeschränkung gab es in Bayern schon vorher und auch noch danach – im aktuellen Verfahren ging es konkret aber nur um den Zeitraum in der ersten April-Hälfte. Tatsächlich unterstützten im Frühjahr 2020 zunächst auch Vertreter von SPD, FDP und AfD den Corona-Kurs der Staatsregierung. Der damalige SPD-Fraktionschef Horst Arnold nannte die Maßnahme noch am 20. März 2020 unvermeidbar: "Meine Fraktion und ich appellieren an die Selbstdisziplin jeder Bürgerin und jedes Bürgers im Freistaat, im Haus oder in der Wohnung zu bleiben, um sich selbst und andere Menschen vor der Infektion mit dem gefährlichen Coronavirus zu schützen."

ARD-Rechtsexperte Kehlbach: "Das ging tatsächlich zu weit"

Bislang ist unklar, was genau aus dem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts folgt. Der juristische Wert der Entscheidung sei "sehr hoch einzuschätzen", sagte ARD-Rechtsexperte Christoph Kehlbach bei BR24live. Zum ersten Mal habe sich das höchste Verwaltungsgericht in Deutschland mit diesem Thema auseinandergesetzt. Für Bürgerinnen und Bürger in Bayern könne die Entscheidung eine späte Genugtuung sein: "Das ging tatsächlich zu weit, da war der Staat etwas übergriffig."

Das Urteil bedeute auch nicht, dass alle Klagenden gegen bestimmte Corona-Maßnahmen jetzt Recht bekommen, betonte Kehlbach. Inwiefern Menschen, die im April 2020 wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkung etwa mit einem Bußgeld bestraft wurden, jetzt ihr Geld zurückbekommen, ist demnach noch nicht abschließend zu sagen. "Da sind sich die Juristen noch nicht ganz einig."

Das ganze BR24live zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hier zum Nachschauen:

Eine junge Frau sitzt alleine in ihrer Wohnung und hält über ihr Smartphone Kontakt zu ihren Freunden und ihrer Familie.
Bildrechte: BR/Sylvia Bentele
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Ausgangsbeschränkung

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