Justitia-Statue mit Waage und Schwert
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Die Justitia-Statue thront auf dem Gerechtigkeitsbrunnen, der sich auf dem Römerberg in Frankfurt am Main befindet.

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Deal im Strafverfahren: Geständnis gegen "Strafrabatt"

Er soll Verfahren beschleunigen und aufwändige Beweisaufnahmen ersparen - der Deal im Strafprozess. In deutschen Gerichtssälen heißt es immer wieder: Geständnis gegen mildere Strafe. Nicht ohne Kritik - wie nun im Prozess gegen Ex-Audi-Chef Stadler.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In Zeiten von Personalmangel, überlanger Verfahrensdauer und riesiger Aktenberge scheint eine "verfahrensbeendende Absprache", wie der Deal auch genannt wird, für die überlastete Justiz besonders attraktiv: Vor allem umfangreiche Wirtschaftsprozesse, wie der gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler, können dadurch beschleunigt werden. Der Angeklagte räumt die Vorwürfe ein, das Gericht stellt ihm dafür einen "Strafrabatt" in Aussicht, langwierige Beweisaufnahmen sind hinfällig.

Von der "Mauschelei" im Hinterzimmer ins Gesetz

Seit Jahrzehnten sprechen sich in Deutschland Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren auf diese Weise ab. Umstritten waren diese Deals von Anfang an, vor allem auch, weil sie über Jahre hinweg still und heimlich in Hinterzimmern geschlossen wurden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekam.

Der Gesetzgeber reagierte 2009: Die Strafprozessordnung regelt seither die "Verständigung" in einem eigenen Paragrafen. Die Absprachen sollten dadurch transparenter werden und sind nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Auch bei Deal: Strafe muss schuldangemessen sein

So muss das Gericht grundsätzlich auch bei einem Deal aufklären, was passiert ist - schon allein im Interesse der Opfer der Straftat. Es muss prüfen, ob das Geständnis des Angeklagten, das für den Deal notwendig ist, glaubwürdig ist oder nur unter Druck abgegeben wurde.

Die Absprache muss öffentlich im Prozess stattfinden und genau protokolliert werden. Auch darf keine konkrete Strafe ausgehandelt werden, sondern nur eine Strafobergrenze. So wird Angeklagten, denen eine Haftstrafe droht, oft als Grenze die höchst mögliche Strafe in Aussicht gestellt, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, also zwei Jahre.

Für Laurent Lafleur, Richter am Oberlandesgericht und Pressesprecher der Münchner Strafgerichte, ist allerdings entscheidend: "Die Strafe, die das Gericht auch nach einer Verständigung ausspricht, muss immer tat- und schuldangemessen sein. Das Gericht darf also keine zu milde Strafe aussprechen, nur, weil der Angeklagte einer Verständigung zugestimmt hat."

Ungerecht? Diesel-Skandal versus Ladendiebstahl

Als "Nachteil" bewertet Lafleur den Umstand, dass Deals, obwohl in jedem Strafprozess grundsätzlich möglich, häufiger bei komplexen Fällen vorkommen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität. "Bei einem Ladendiebstahl ist der Spielraum für Verhandlungen sehr gering, da es sich hier um eine Straftat handelt, die ohnehin nur verfolgt wird, wenn die Täterschaft schon feststeht, weil der Ladendetektiv den Angeklagten auf frischer Tat erwischt hat."

Je mehr Verhandlungsmasse, je komplizierter die Straftaten, desto mehr Deal-Möglichkeiten. Eine Tatsache, die auch der frühere Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, in seinen zahlreichen Rechtskolumnen immer wieder kritisiert hat. "Wirtschaft, Umwelt, Betäubungsmittel, internationale Geschäfte mit Waffen oder Grundstoffen sind Dealmaker, denn da bringt ein 'schlankes' Geständnis dem Gericht zwei Jahre Zeitgewinn und 500 Seiten Sorgfaltsersparnis beim Urteil", schreibt Fischer 2020 im SPIEGEL.

Auch der Jurist und Journalist Heribert Prantl sieht Deals eher kritisch. "Die ganze Dealerei ist mir suspekt", sagt Prantl im BR. Für ihn ein "Handel mit der Gerechtigkeit", bei dem der Glaube an das Recht zerbrechen könnte. Das Strafgericht sei kein "Handelsgericht". Es gehe beim Strafprozess darum, die Wahrheit herauszufinden.

Auch ohne Deal: Geständnis wirkt strafmildernd

Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht den Deal schon 2013 für verfassungskonform erklärt, bemängelte aber einen "in erheblichem Maße defizitären Vollzug" an den Gerichten.

Diesen Eindruck der Verfassungsrichter bestätigte 2020 eine Studie im Auftrag des Bundesjustizministeriums: Es kommt an deutschen Strafgerichten häufig zum Deal, doch nicht immer halten sich alle an die 2009 ins Gesetz geschriebenen Vorschriften.

Allerdings: Ein Geständnis des Angeklagten muss das Gericht - auch ohne Verständigung - immer strafmildernd berücksichtigen. Genauso darf es ein Schweigen nie zu seinem Nachteil werten.

Im Video: Ex-Audi-Chef Stadler räumt Betrug ein

Ex-Audi-Chef räumt Betrug ein
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Ex-Audi-Chef räumt Betrug ein

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