Zwei Frauen und ein Mann stehen auf dem Coburger Marktplatz. Dabei werden sie von einer Kamera gefilmt.
Bildrechte: BR/Christian Limpert

Edith Wertheimer musste als junges Mädchen vor den Nazis aus ihrer Heimat Coburg fliehen. Für eine Doku kehren ihre Kinder nun dorthin zurück.

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Coburg: Mutter floh vor Nazis, Kinder kehren zurück

Für eine Dokumentation von ARTE und dem BR kehren drei Geschwister aus Israel und Argentinien zurück in die Stadt, aus der ihre Mutter als junges Mädchen vor den Nazis fliehen musste: Coburg.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Dieser Besuch galt für sie alle lange als undenkbar, doch jetzt sind sie hier: Andrea, aus Buenos Aires in Argentinien und ihre beiden Brüder George und Mario aus Israel. "Gehört haben wir den Namen Coburg so oft, unsere Mutter hat immer viel Gutes gesagt über ihre Kindheit hier." Doch die schöne Kindheit von Edith Wertheimer, der Mutter der drei Geschwister, endete abrupt im Jahr 1938.

Mutter floh vor Nazis: Kinder kehren nach Coburg zurück

"Da war dieser Tag, als Edith im Coburger Hofgarten plötzlich wie aus dem Nichts beschimpft und beleidigt wurde", erzählt Andrea. "Und dann eben jene Nacht, als Männer in schwarzer Uniform in der Wohnung auftauchen und nach ihrem Vater suchen." Edith ist zwölf Jahre alt, als sie mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten nach Argentinien flieht. Sie selbst kehrt nie zurück. Zum ersten Mal sind jetzt ihre Kinder nach Coburg gekommen, um zu erfahren, wie und warum sich das Leben ihrer Mutter innerhalb weniger Monate so verändern konnte.

"Ich habe diesen Besuch lange abgelehnt", erklärt George. "Heute denke ich, es ist unsere Pflicht." Der Grund für sein Umdenken sei vor allem das private Engagement von Gabrielle Schuller gewesen. Die Coburgerin hält seit Jahren Kontakt zu den Nachfahren jener Coburger Jüdinnen und Juden, die von den Nationalsozialisten vertrieben oder deportiert und ermordet wurden. Gemeinsam mit anderen Coburgern fordert sie, dass die Stadt diesem dunklen Teil der Stadtgeschichte ein würdiges Erinnerungsdenkmal an zentraler Stelle setzt. "Ich habe den Eindruck, dass viele hier noch immer ein Tuch des Schweigens darüber ausbreiten wollen", sagt sie.

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Projektgruppe soll "Pfad der Erinnerung" erarbeiten

Coburg war die erste Stadt mit einem nationalsozialistischen Stadtrat, Adolf Hitler trat hier bereits ab 1922 als Redner auf, sah Coburg als "Modellstadt". Oppositionelle wurden gefoltert und verfolgt, Coburgerinnen und Coburger jüdischen Glaubens zunächst angefeindet, dann vertrieben oder deportiert. Jüdisches Leben gibt es in Coburg heute nicht mehr.

Eine Projektgruppe, die gemeinsam mit den Nachfahren Coburger Jüdinnen und Juden einen "Pfad der Erinnerung" erarbeiten sollte, hat der Coburger Stadtrat im Juni aufgelöst, die Nachfahren wurden knapp per Brief darüber informiert. Man habe dieses Projekt dem Amt für Schulen, Kultur und Bildung anvertraut, sagt Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD). Wann es hier Ergebnisse geben soll, steht noch nicht fest.

Den alten Schulweg der Mutter nachlaufen

Für die Geschwister George, Andrea und Mario hat Gabrielle Schuller indes einen eigenen "Pfad der Erinnerung" organisiert. So werden die Geschwister die Wohnung in einem alten Jugendstilhaus besuchen können, in dem ihre Mutter Edith einst gewohnt hat, sie werden Ediths alten Schulweg nachlaufen und das Bezirksklinikum Kutzenberg besuchen. Von hier aus wurde Ediths Großmutter, die an Depressionen litt, in ein Konzentrationslager nach Österreich deportiert und dort vergast.

Die erste Station von Andrea, Georg und Mario in Coburg ist, natürlich, der Coburger Marktplatz. "Es ist so unglaublich, hier zu sein, so viele freundliche Menschen. Ich will Kartoffelsalat essen und Klöße", sagt Andrea, in fast perfektem Deutsch. Auch das hat Edith ihnen beigebracht. Mario nickt: "Ich verstehe, dass meine Mutter glücklich war hier. Doch es macht mich auch traurig, zu sehen, wie schön der Ort ist, an dem so furchtbare Dinge passiert sind."

Männer und Frauen stehen in Coburg.
Bildrechte: BR/Christian Limpert
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Geschwister wandeln auf den Spuren ihrer Mutter. Zum ersten Mal besuchen die Kinder gemeinsam Coburg, die alte Heimat ihrer Mutter.

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