Bergwald im Wettersteingebirge.
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Bergwald im Wettersteingebirge

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Baumgrenze verschiebt sich: Wachsen die Alpen zu?

Seit 1850 ist es im Durchschnitt zwei Grad wärmer geworden in den bayerischen Alpen - die Gletscher schmelzen. Was genau bedeutet das für die Vegetation? 1986 haben Forstwissenschaftler im Wetterstein alle Pflanzen kartiert. Jetzt vergleichen sie.

Über dieses Thema berichtet: Schwaben + Altbayern am .

Was genau der Temperaturanstieg durch den Klimawandel für den bayerischen Bergwald bedeutet, untersuchen Wissenschaftler im Wetterstein. 1986 hatten sie dort zum ersten Mal alle Pflanzen kartiert. Jetzt sind sie wieder an die gleichen Stellen gestiegen, um nachzuschauen, was sich verändert hat. Dabei sind sie in einen besonderen bayerischen Urwald vorgedrungen.

Wie hat sich der Wald in 36 Jahren verändert?

Zu sechst sind die Fortwissenschaftler und Waldökologinnen in einem Gebiet unterwegs, in das der Mensch seit 50 Jahren nicht mehr eingegriffen hat. Ein Naturwaldreservat, wo sich der Wald frei entwickelt. Sie wollen herausfinden, welchen Einfluss der Klimawandel hat. Und sie haben exakte Vergleichsdaten dabei: 1986 hat der Forstwissenschaftler Hans-Gerd Michiels genau hier schon einmal alle Pflanzenarten untersucht.

"Ich erwarte, dass der Wald sich verändert hat in den letzten 36 Jahren. Wald ist ja immer etwas Lebendiges, was ständig in Bewegung ist", sagt Michiels: "Es kommen neue Bäume von unten nach, vielleicht auch neue Pflanzen. Aber das müssen wir erst mal systematisch untersuchen und nachweisen." Dieser Wald war damals sein "erster Wald" den er in den Kalkalpen wissenschaftlich bearbeitet hat - ein eindrucksvolles Naturerlebnis, das ihn bis heute prägt.

Die Buche gefährdet den subalpinen Fichtenwald

Mit von der Partie ist auch der Wissenschaftler Jörg Ewald. Er leitet an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf die Forschungen zu den Höhengrenzen der Baumarten im Klimawandel. Er ist überzeugt: Durch hinzudrängende neue Pflanzen gerät der Wald hier unter Druck. "Der subalpine Fichtenwald ist mittelfristig eigentlich gefährdet dadurch, dass von unten die Buche reinkommt und sich das alles in Mischwald verwandelt. Könnte man sagen, feine Sache, Mischwald ist schön. Aber das Besondere vom subalpinen Fichtenwald, der zum Beispiel für Auerhühner des optimale Habitat ist, könnte immer seltener werden und könnte verloren gehen", sagt Ewald.

Auf der schattigen Nordseite im Wetterstein wirkt der Fichtenwald noch typisch wie früher. Aber es dauert nicht lang, dann werden sie fündig. Sie entdecken eine Buche, die deutlich höher wächst, als sie das vor 36 Jahren gesehen haben. Damals fanden sie Buchen auf 1.390 Höhenmetern, jetzt auf 1.480, fast 100 Höhenmeter weiter oben. Das heißt, die Buche findet hier jetzt Lebensbedingungen vor, wo sie auch in dieser Höhenlage noch wachsen kann.

Ein Raster von hundert mal hundert Metern

Thomas Kudernatsch ist als Scout in der Gruppe. Er steuert gezielt einen Untersuchungspunkt an, den die Forscher vor 36 Jahren angelegt hatten: "Da haben sie das gesamte Reservat mit einem Raster überlegt, mit einem Hundert-mal-hundert-Meter-Raster. Jetzt sind wir noch 60, 80 Höhenmeter weg von dem Punkt, der uns interessiert."

Langsam steigen die Forscher durch den Urwald nach oben, vorbei an umgestürzten Bäumen und Totholz, aus dem neues Leben entsteht. Das prägt den bayerischen Urwald auf 1.560 Höhenmetern. Dann haben sie ihr Ziel erreicht: "Das Tolle ist, dass wir exakt an demselben Punkt nach 36 Jahren wieder die Aufnahme machen können und die miteinander vergleichen können und das Tolle, dass es exakt dieselbe Fläche ist, so dass man ausschließen kann, dass Veränderungen, die wir finden, darauf beruhen, dass man die Aufnahme an anderer Stelle macht."

Immer mehr Pflanzen in immer größerer Höhe

Genau wie 1986 messen sie nun zunächst einen Radius von acht Metern ab und nehmen alle Pflanzen auf, die sie mit ihren lateinischen Namen dem Protokollführer zurufen und dokumentieren - in wissenschaftlicher Detailarbeit. Etagenmoos registrieren sie in verschiedenen Arten - es steht unter Naturschutz und viele weitere Pflanzen: "Damals 1986 hatten wir bei den Gefäßpflanzen 45 und bei den Moosen 18", erzählt Thomas Kudernatsch. "Und jetzt heuer haben wir bei den Gefäßpflanzen 65 gehabt, also 20 mehr und bei den Moosen 25, also sieben mehr als damals." Und auch hier ist eine Buche dabei.

Auch regelrechte Urwaldriesen wachsen hier. Eine Fichte im Umkreis mit einem Umfang von 3,40 Metern schätzen sie auf ein Alter von 250 Jahren.

Was wird aus den Zirbenwäldern?

Die Wissenschaftler kraxeln weiter durch einen der extremsten Lebensräume in Bayern und folgen dabei genau der Linie der Messpunkte aus dem Jahr 1986. Die schwierigen Umweltbedingungen mit Schnee und Kälte könnten dazu beitragen, dass das artenreiche Ökosystem hier besonders stabil ist.

In der obersten Stufe reicht der Waldsaum direkt unter die Felswände der Wettersteinwände. Hier wächst einer der größten Zirbenwälder Bayerns. Höher hinauf können die Bäume hier nicht mehr. Was passiert dann mit der Zirbe, wenn sie hier verdrängt werden würde? Wieder nehmen die Forscher alle Pflanzenarten detailgenau auf.

Hier oben sei noch "alles ähnlich dem, wie ich es vor 36 Jahren auch vorgefunden habe. Also es hat sich gar nicht viel verändert", findet Forstwissenschaftler Hans-Gerd Michiels. Also erst mal Entwarnung? Doch auch hier finden sie rund ein Drittel mehr Pflanzen als 1986. 90 Arten wachsen hier. Ob es an den wärmeren Temperaturen liegt? Sicher ist: Die Pflanzen wandern und es ist absehbar, dass die Zirbe von unten her immer mehr Konkurrenz bekommt und dass zwischen Almwirtschaft und dem heraufdrängenden Bergwald von unten mit Fichte, Tanne, Buche, Bergahorn, Vogelbeere, das Leben für die Zirbe immer schwieriger wird. So ist die Zirbe wohl von den Baumarten her tatsächlich derzeit die prekärste in den bayerischen Alpen.

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Bergwald (Archivbild).

Bergwald bildet einen guten Puffer

Die alte Waldgrenze von 1.800 Höhenmetern ist längst überholt, konstatiert Ewald: "Beim Estergebirge ist es absehbar, dass das, was heute mit Latschen bedeckt ist, sich mit einem lichten Wald bedecken könnte. Das ist absolut realistisch, das ist 2.100 Meter hoch, das wird, denk ich, passieren. Das liegt im Grunde heute schon im Bereich der potenziellen Waldgrenze."

Der Bergwald, so scheint es, bildet einen guten Puffer. Aber er ist in Bewegung geraten. Wie genau, das müssen die weiteren Forschungen zeigen. Daten zum Auswerten haben die Wissenschaftler jetzt.

Bergwald unter Druck: In den bayerischen Alpen.
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Bergwald unter Druck: in den bayerischen Alpen.

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