Ein Fahrradfahrer in London trägt Helm.
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Obwohl dieser Mann Helm trägt - eine Pflicht das zu tun, gibt es nicht.

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#Faktenfuchs: Was bringt eine Helmpflicht für Radfahrer?

Auf Twitter kursiert die Behauptung, eine Helmpflicht nur für Radfahrer sei unsinnig, denn das Risiko für Fußgänger und Autofahrer, eine schwere Kopfverletzung zu erleiden, sei "gleich hoch". Das ist falsch, wie dieser #Faktenfuchs zeigt.

Bisher gibt es in Deutschland keine Helmpflicht für Radler. Mehr als die Hälfte der Fahrradfahrer wäre aber dafür, wie eine Umfrage zeigt, die der Prüfkonzern Dekra kürzlich in Auftrag gegeben hat. 59 Prozent der Befragten gaben darin an, dass Radfahrer verpflichtet sein sollten, einen Helm zu tragen.

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Auch Fahrradliebhaber diskutieren auf Twitter darüber. Viele sind dagegen, das Tragen eines Helms verpflichtend zu machen. Denn, so die Behauptung: Das Risiko für Fußgänger und Autofahrer, im Straßenverkehr eine schwere Kopfverletzung davonzutragen, sei "gleich hoch". Und die müssten ja auch keinen Helm tragen.

Und noch eine Behauptung macht die Runde: Würde man eine Helmpflicht einführen, würden weniger Leute Fahrrad fahren. Doch stimmt das?

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Auf Twitter stellen User Behauptungen zur Helmpflicht auf.

Bei verstorbenen Radlern dominieren Kopfverletzungen als Todesursache

Nein, sagt Axel Malczyk, Experte für Fahrzeugsicherheit bei der Unfallforschung der Versicherer. Denn je nachdem, welches Verkehrsmittel genutzt werde, sei die Gefahr für bestimmte Arten von Verletzungen besonders hoch. Bei Radfahrern etwa dominierten schwere Kopfverletzungen unter den Todesursachen.

Tatsächlich zeigen Daten, die das Statistische Bundesamt auf Anfrage zuschickt: In den Jahren 2016 bis 2020 war mehr als jede zweite tödliche Fahrradunfallverletzung eine Kopfverletzung (54 Prozent). Bei Fußgängern, die bei einem Unfall starben, waren Kopfverletzungen im selben Zeitraum in etwa 37 Prozent der Fälle für den Tod ursächlich, bei PKW-Insassen in etwa 28 Prozent der Fälle.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Anzahl der Kopfverletzungen als Todesursache bei Motorradfahrern, die ein ähnlich hohes Risiko für Kopfverletzungen haben müssten wie Radfahrer. Für diese Gruppe gilt in Deutschland bereits seit 1976 eine Helmpflicht. Von 2016 bis 2020 verstarben etwa ein Drittel der tödlich verunglückten Motorradfahrer an einer Kopfverletzung. Anders als bei den Radfahrern waren Kopfverletzungen bei dieser Gruppe also nicht die dominierende Todesursache.

Auch bei den schwerstverletzten Radlern dominieren Kopfverletzungen

Ähnlich deutlich sind die Unterschiede bei Verkehrsteilnehmern, die nach einem Unfall zwar schwerstverletzt sind, aber nicht versterben. Das lässt sich aus einer Studie aus dem Jahr 2009 ablesen, in der die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) untersucht hat, wie sich Verletzungsmuster bei Schwerstverletzten nach Unfällen über zehn Jahre bis 2006 entwickelt haben. Die BaSt wertete dafür Daten aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) aus. Zum damaligen Zeitpunkt flossen darin die Daten von geschätzt 15 Prozent der schwerstverletzten Patienten in Deutschland ein.

Auch hier zeigt sich: Im Straßenverkehr eine schwere Kopfverletzung zu erleiden, ist für alle Verkehrsteilnehmer eine Gefahr. Aber für Radfahrer ist das Risiko besonders groß. Während im Jahr 2006 68 Prozent der schwerstverletzten Fußgänger und 64 Prozent der schwerstverletzten Autofahrer Kopfverletzungen erlitten hatten, waren es bei den Radfahrern 80 Prozent.

Eine ähnlich systematische Auswertung hat es seither nicht mehr gegeben. Rolf Lefering, der die BaSt-Studie verantwortet hat, stellt dem #Faktenfuchs auf Nachfrage aber noch einmal neuere Daten aus dem Traumaregister zur Verfügung. Er gibt allerdings zu bedenken, dass die Daten nicht direkt vergleichbar sind, da die Definition von "Schwerstverletzten" heute etwas weiter gefasst ist.

Dennoch zeigen die Verletzungen bis heute ein ähnliches Muster. Noch immer dominieren Kopfverletzungen bei Radfahrern mit 63 Prozent - gefolgt von Fußgängern (58 Prozent), Auto-Insassen (36 Prozent) und Motorradfahrern (30 Prozent).

Wer verletzt sich wie?

Warum Kopfverletzungen beim Radfahren so häufig sind, erklärt der Experte Malczyk von der Unfallforschung der Versicherer. Radunfälle gliedern sich in zwei Arten von Unfällen. Auf der einen Seite gibt es den sogenannten "Alleinunfall". Hierbei stürzt der Radfahrende ohne Beteiligung eines anderen Verkehrsteilnehmers. Er oder sie rutscht auf nassem oder gefrorenem Untergrund aus, fährt zu schnell um die Kurve, muss plötzlich anhalten oder stürzt, weil etwas in die Speichen gerät. Immer ist die Gefahr für Kopfverletzungen hoch.

Auf der anderen Seite kommt es zu Zusammenstößen mit einem Auto oder anderen Kraftfahrzeugen. Nicht selten schlägt der Radfahrer dabei mit dem Kopf auf der Front oder Windschutzscheibe des Autos auf und verletzt sich.

Fußgänger und Autofahrer werden durch andere Maßnahmen geschützt

Hinzu kommt, dass Fußgänger und Auto-Insassen zwar keine Helme tragen, aber durch andere Maßnahmen bereits ein Stück weit geschützt werden, sagt Malczyk. In Autos gehörten Airbags inzwischen zur Standard-Ausrüstung. Auch Abbremssysteme, Abbiegeassistenten und sogenannte "Fußgänger-Airbags", die sich bei einer Kollision in Millisekunden über die untere Windschutzscheibe ausbreiten, tragen dazu bei, Fußgänger im Straßenverkehr zu schützen.

Grundsätzlich könnten letztere zwar auch Radfahrer schützen, so Malczyk, die Systeme seien aber lange Zeit vor allem auf Fußgänger hin entwickelt worden. Erst allmählich wird in Prüfverfahren auch standardmäßig darauf getestet, wie gut sie Radfahrer bei einem Zusammenprall schützen.

Was bringt ein Helm auf dem Fahrrad?

Damit bleibt die Frage: Wenn Kopfverletzungen unter den schweren Verletzungen, die Radfahrer bei Unfällen erleiden, dominieren - lassen sie sich dann mit einem Helm wirksam vermeiden?

Ja, sagt Rémy Willinger, Professor für Biomechanik an der Université de Strasbourg. Darin sei sich die Forschung weitgehend einig. So kommt etwa eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2017 zu dem Schluss: Radfahrer mit Helm haben ein 51 Prozent geringeres Risiko, schwere Schädel-Hirn-Traumata zu erleiden und ein 44 Prozent geringeres Risiko als Radfahrer ohne Helm, an ihren Verletzungen zu versterben.

Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover ermittelte 2014 sogar einen noch höheren Wert: "Frakturen, schwere Hirnverletzungen und Schädelbasisbrüche waren bei Fahrradfahrern mit Helm bis zu 80 Prozent seltener", schreiben die Autoren.

Der Helm dämpft den Aufprall

Seit drei Jahrzehnten modellieren Willinger und sein Team an der Universität in Straßburg, was bei einem Aufprall in Schädel und Gehirn passiert. "Und was ich sagen kann, ist, dass der Kopf sehr empfindlich ist", so Willinger. Schon bei geringen Geschwindigkeiten könne es zu schweren Verletzungen kommen. Der Helm dämpfe den Aufprall - und sorge so dafür, dass die Verletzungen weniger schwer ausfielen oder ganz vermieden werden könnten. Ohne Helm könne schon ein Aufprall mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h zu schweren Verletzungen führen. Mit Helm sei das meist erst bei etwa 18 bis 20 km/h der Fall.

Auch Malczyk sagt: Die Wirksamkeit des Fahrradhelms sei klar belegt. In einer Studie, die er 2015 zusammen mit Forschern von der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt hat, untersuchte er die Fälle von 543 Radfahrern und Radfahrerinnen in Münster und München, die wegen einer Unfallverletzung in eine Klinik eingeliefert worden waren. Er und seine Kollegen konnten zeigen: Von denjenigen, die schwere Kopfverletzungen wie Blutungen und Brüche erlitten, hatte fast niemand einen Helm getragen. Andersherum kamen unter denjenigen, die einen Helm getragen hatten, schwere Kopfverletzungen fast gar nicht vor.

Australien: Zahl der tödlichen Fahrradunfälle durch Helmpflicht fast halbiert

Bleibt die Frage, ob eine Helmpflicht sinnvoll wäre. Dazu wollen sich weder Malczyk noch Willinger eindeutig positionieren. Denn: Das hänge eher von politischen und sozialen Faktoren ab. Etwa: Wie viele Menschen eine Helmpflicht akzeptieren würden. Wie viele deswegen das Fahrrad stehen lassen würden. Und wie gründlich eine solche Pflicht kontrolliert und sanktioniert werden würde.

Fast sicher aber sei: Sollte eine Helmpflicht tatsächlich dazu führen, dass mehr Radfahrer einen Helm tragen, würde das auch die Anzahl der schweren Kopfverletzungen reduzieren. Dieser Effekt ließ sich unter anderem in Australien beobachten, wo eine Helmpflicht für Radfahrer schon Anfang der 1990er-Jahre eingeführt wurde. Seither habe sich die Zahl der tödlichen Unfälle fast halbiert, berichtete das Ärzteblatt unter Berufung auf eine aktuelle Studie von 2019.

Skeptiker allerdings überzeugt das nicht. Sie sagen: Die Zahl der Todesfälle sei nur deshalb gesunken, weil nach Einführung der Helmpflicht auch weniger Menschen Fahrrad gefahren seien. Malczyk hält entgegen: Nach einem kurzen Einbruch hätten sich die Zahlen später wieder stabilisiert. Er fasst zusammen: "Es lässt sich unseres Wissens nicht eindeutig belegen, dass das Helmtragen oder eine Helmtragepflicht zu einer Nichtnutzung des Fahrrades im wesentlichen Maße beigetragen hätte."

Fazit

Radfahrer haben ein besonders hohes Risiko, bei Fahrradunfällen schwere Kopfverletzungen davonzutragen. Das zeigen Auswertungen des Statistischen Bundesamts. In mehr als der Hälfte aller Radunfälle mit Todesfolge ist eine Kopfverletzung die alleinige Todesursache. Wenn Autofahrer oder Fußgänger tödlich verunglücken, ist eine Kopfverletzung deutlich seltener die Ursache.

Studien zufolge verringert ein Helm das Risiko, eine schwere Kopfverletzung zu erleiden, um 50 bis 80 Prozent. Was eine Helmpflicht bringen könnte, wollen zwei vom #Faktenfuchs befragten Forscher allerdings nicht bewerten. Denn das hänge vor allem davon ab, wie diese angenommen und durchgesetzt würde. Dafür, dass eine Helmpflicht dazu führt, dass weniger Menschen Fahrrad fahren, gebe es keine eindeutigen Belege.

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