Archiv-Bild: Flüchtlinge auf dem Weg zu gemeinnütziger Arbeit, teils in orangenen Arbeitsjacken und mit Schaufeln und Besen
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Archiv-Bild: Flüchtlinge auf dem Weg zu gemeinnütziger Arbeit

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Arbeitspflicht für Flüchtlinge – wäre das sinnvoll?

Die Länder wollen sie. Ebenso der Landkreistag. Und auch einige BR24-User fordern eine gemeinnützige Arbeitspflicht für Flüchtlinge. Würde das funktionieren? Und wäre es sinnvoll? Kommunalpolitiker, Forscher und Flüchtlingshelfer beziehen Stellung.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

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In Bayern gab es zuletzt knapp 9.400 Hektar Grünanlagen. Hier könnten künftig Flüchtlinge zum Jäten und Mähen eingesetzt werden, wenn es nach dem Willen des Deutschen Landkreistags geht: "Wer gesund ist und nicht gehandicapt ist, muss arbeiten. Eine Arbeitspflicht muss her", sagte Verbandspräsident Reinhard Sager der "Bild"-Zeitung. Gemeint ist damit ausdrücklich auch gemeinnützige Arbeit.

Auch BR24-User fordern das in Kommentaren unter einem Artikel zu Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt. User "MaxM" zum Beispiel: "Sobald als möglich sollten Flüchtlinge zum Arbeitsdienst eingeteilt werden." Und "stoapfaelzer" fordert: "Rasen mähen, Laub Rechen (sic), Straße sauberhalten oder andere gemeinnützige Arbeit bis der Entscheid vorliegt."

Den Augsburger Sozialreferenten wundert die Diskussion

Ein Besuch im Büro des Augsburger Sozialreferenten Martin Schenkelberg. Man blickt auf den zentralen Königsplatz. Im Umfeld viele Cafés und damit einhergehend natürlich auch Müll. Wäre das also ein Einsatzgebiet für Flüchtlinge?

Der Kommunalpolitiker von der CSU wundert sich über die Diskussion: "Wir haben bereits eine entsprechende Vorschrift", und zwar im Asylbewerberleistungsgesetz: Wenn Flüchtlinge arbeitsfähig sind, nicht mehr in die Schule müssen und nicht schon woanders einen Job gefunden haben, dann müssen sie eine Arbeit annehmen, wenn sie ihnen angeboten wird, bestätigt das Bundesarbeitsministerium.

Wer dem nicht nachkommt, dem könnten auch Leistungen gekürzt werden. Dann erhalte die Person "nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege", so das Ministerium weiter. Die Bundesländer und Kommunen könnten selbst entscheiden, inwieweit sie diese Regelung anwenden, so das Ministerium auf BR-Anfrage.

Welche Erfahrungen die Stadt Augsburg gemacht hat

Die Stadt Augsburg hat bereits "in wenigen Fällen" davon Gebrauch gemacht, sagt Schenkelberg. "Ich verstehe den Anspruch, dass Menschen, die staatliche Leistungen bekommen, der Gemeinschaft auch etwas zurückgeben sollen. Das befürworte ich auch." Doch die Versuche in Augsburg seien nicht besonders erfolgreich verlaufen. Das Hauptproblem sei der immense Verwaltungsaufwand.

"Ich muss erstmal eine Arbeitsgelegenheit finden, diese dann vermitteln, eventuell auch einen Arbeitgeber finden, der da mitmacht. Zudem muss ich die Leute anleiten und ihnen sagen, was sie tun sollen. Und ich kann ja nicht 24 Stunden jemanden danebenstellen, der aufpasst, ob der Platz auch sauber gemacht wird", sagt Schenkelberg.

"Kommunen bräuchten Tausende neue Beschäftigte"

Wenn das künftig für jeden Flüchtling gemacht werden müsste, bräuchte es dafür "Tausende neue Beschäftige" bei den Kommunen, so Schenkelberg weiter. Der CSU-Politiker fürchtet, dass den Kommunen eine weitere Last auferlegt werde, ohne dafür die Mittel bereitzustellen. Er steht der Arbeitspflicht daher skeptisch gegenüber. Ähnlich die Stimmung beim Bayerischen Städtetag: Eine Arbeitspflicht müsse sich "sinnvoll in die Arbeitsabläufe der Verwaltungen einfügen", so ein Sprecher. In welchem Bereich eine Arbeitspflicht denkbar wäre, müsste "kritisch geprüft werden".

Herbert Brücker, der seit Jahren zu Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt forscht, teilt die Sicht des Augsburger Sozialreferenten. Auch er hält den Verwaltungsaufwand für viel zu hoch. Stattdessen plädiert er für mehr Personal in den Behörden und Gerichten, um die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Dass eine Arbeitspflicht Menschen davon abhalten würde, nach Deutschland zu kommen, hält der Professor für Volkswirtschaftslehre für unwahrscheinlich.

ifo-Forscher für Arbeitspflicht als letztes Mittel

Panu Poutvaara vom Münchner ifo-Institut (und wie Brücker Professor für Volkswirtschaftslehre) kann sich eine gemeinnützige Arbeitspflicht vorstellen – aber "nur für Geflüchtete, die weder arbeiten noch an einem Sprachkurs teilnehmen, die sich in keiner Ausbildung befinden oder nicht an einem Integrationskurs teilnehmen". Nur für diejenigen, die dann noch übrig bleiben, könne gemeinnützige Arbeit sinnvoll sein, um Integration und das Erlernen der Sprache zu fördern.

Bleibt eine Frage, die bei der Debatte unausgesprochen im Raum steht: Dass Flüchtlinge sich mit den Sozialleistungen begnügen und mehr oder weniger zur Arbeit gezwungen werden müssen. Tanja Bless kennt diese Vorwürfe. Die Projektmanagerin ist seit 2015 in der Flüchtlingshilfe aktiv. "Ich kenne Familien, die nicht arbeiten wollen und die sagen: 'Mir reicht das Bürgergeld.'" Doch so würden nur sehr wenige denken. "Die allermeisten wollen arbeiten, viele fragen, ob sie etwas tun können." Nur in den Unterkünften zu sitzen, sei "ein Albtraum", sagt Bless.

Wie Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen

"Natürlich gibt es auch Menschen, die wir mit unseren Sozialleistungen anziehen", sagt Sozialreferent Schenkelberg. "Auch weil sie vielleicht keine Schule besucht haben, keine Ausbildung haben und deshalb selbst in ihrer Heimat keine Chance auf einen Job haben." Doch auch der CSU-Politiker glaubt, dass "die allermeisten Menschen, die einen Fluchtgrund haben, arbeiten wollen". Experten weisen darauf hin, dass besonders die langen Asylverfahren ein Problem sind, wenn es darum geht, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, hat Brücker mit seinem Team untersucht. Von denen, die während der ersten Flüchtlingswelle 2015 gekommen sind, hätten inzwischen mehr als 60 Prozent einen Job. "Das ist viel besser als bei den jugoslawischen Geflüchteten, die damals während der Bürgerkriege gekommen sind", sagt Brücker. Zur Einordnung: In der deutschen Gesamtbevölkerung gehen rund 77 Prozent der Erwerbsfähigen einer Arbeit nach.

Wer bereits eine "solide Qualifikation" hat, sollte besser weitergebildet werden, anstatt zu einer gemeinnützigen Arbeit gezwungen zu werden, meint Kommunalpolitiker Schenkelberg. "Dann verdienen die Menschen später mehr Geld und zahlen mehr Steuern. Das würde uns mehr helfen", so der Augsburger Sozialreferent.

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