Unten Äpfel, oben Solarpanels: Solche Agri-PV-Anlage wie hier in Gelsdorf (Rheinland-Pfalz) könnte auch in Bayern bald vermehrt gebaut werden.
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Unten Äpfel, oben Solarpanels: Solche Agri-PV-Anlage wie hier in Gelsdorf (Rheinland-Pfalz) könnte auch in Bayern bald vermehrt gebaut werden.

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Strom und Speisen: Agri-PV als Baustein der Energiewende

Weidetiere, Obstbäume oder Getreideanbau unter Solarpanelen, also Energie- und Lebensmittelproduktion auf einer Fläche – das ist die Idee von Agri-Photovoltaik. Laut Experten hat diese Technik schon in kleinem Umfang enorme Effekte.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Fünf Meter über dem Boden hängen die Solarpanels in der Luft, darunter steht ein Mähdrescher. So könnte sie aussehen, die Landwirtschaft der Zukunft: Energie- und Nahrungsmittelproduktion auf ein und derselben Fläche. Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV, nennt sich die noch junge Technik. In Grub in der Nähe von München soll dazu eine Forschungsanlage entstehen. Am vergangenen Mittwoch setze Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zusammen mit zwei Ministern den ersten Spatenstich.

Landwirtschaftsministerin spricht von "Energiebauern"

Sinn und Zweck sei es, zu testen, welche Folgen die doppelte Flächennutzung für die landwirtschaftliche Produktion, aber beispielsweise auch für das Brutverhalten von Tieren habe, sagte Söder. Denn: "Einfach in die Landschaft stellen ist nicht die Lösung. Das muss klug ergänzt werden", so der Ministerpräsident. Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) will mit Agri-PV mehrere Herausforderungen gleichzeitig angehen: "Jeder spricht über Ernährungssicherung und auch über die Energiewende." Die Anlage in Grub zeige Möglichkeiten auf, landwirtschaftliche Flächen zu schützen und zu nutzen, und eröffne Bauern gleichzeitig die Option, "Energiebauern" zu werden.

Bis Landwirte ihre Flächen reihenweise für Strom und Lebensmittel nutzen, dürfte es aber noch ein wenig dauern. "Aktuell ist die Agri-PV in Deutschland noch in den Kinderschuhen", sagt Max Trommsdorff vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg. Seit knapp zehn Jahren forscht er zu Agri-PV. Insgesamt sind laut Trommsdorff derzeit rund 30 Anlagen in Deutschland installiert. Wie leistungsstark eine Anlage pro Hektar ist, hänge davon ab, wie dicht die Solarpanels aneinandergebaut werden können. Dabei gehe es um die Frage: Wie viel Schatten verträgt eine Pflanze? Oder: Wie groß muss der Abstand der Modulreihen bei sogenannten bodennahen Systemen sein?

Experte: PV-Ausbau mit vier bis sechs Prozent der Flächen zu erreichen

Der Bau einzelner Agri-PV-Anlagen hängt von Gegebenheiten und Anforderungen ab. Unter bodennahen Solarmodulen können beispielsweise Schafe weiden oder Hühner picken. Hochaufgestellte Systeme bieten unterhalb Platz für Getreide-, Obst- oder Gemüseanbau. Auch landwirtschaftliche Fahrzeuge können dort zum Einsatz kommen. Ebenso gibt es Systeme, die sich automatisch zur Sonne ausrichten.

Das Potenzial von Agri-PV für die Energiewende hält Trommsdorff für immens. Betrachtet man den Durchschnitt der verschiedenen Systeme "würden vier bis sechs Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen ausreichen, um den gesamten PV-Ausbaubedarf in Deutschland zu decken", so Trommsdorff im Gespräch mit BR24. Gemeint sind die Ausbauszenarien für Photovoltaik in den kommenden zwei Jahrzehnten.

Agri-PV kann Ertrag im Obst- und Gartenbau sogar erhöhen

So unterschiedlich die einzelnen Systeme aufgebaut sind, so unterschiedlich sind auch die Kosten. Bodennahe Agri-PV-Anlagen sind laut Trommsdorff bereits jetzt teilweise konkurrenzfähig mit herkömmlicher Photovoltaik auf Freiflächen. Bei Systemen in mehreren Metern Höhe seien die Kosten aktuell hingegen noch 20 bis 50 Prozent höher - das könne sich bei steigender Nachfrage und Produktion aber ändern.

Landwirten bietet die Stromerzeugung eine zusätzlich Einnahmequelle. Aber was bedeuten die Anlagen für ihr eigentliches Geschäft, die Ernte? Im Ackerbau führe Agri-PV hierzulande zu etwa 20 Prozent weniger Ertrag, so Trommsdorff. Bei anderen Arten der Landwirtschaft bleibe der Ertrag hingegen gleich, oder man könne mit den Solarpanels sogar mehr erwirtschaften – beispielsweise im Obst- und Gartenbau. Dort seien immer mehr Pflanzen und Bäumchen mit negativen Folgen des Klimawandels konfrontiert. "Seien es Stürme, Spätfröste im Frühling, Hagelschlag oder einfach nur zu viel Sonne und zu hohe Temperaturen. Da können PV-Module einen Schutz bieten", sagt Trommsdorff.

Aiwanger will bessere Vergütung, die Grünen mehr Beratung

Weil mit Agri-PV aber oft weder hundert Prozent Ertrag bei der Stromerzeugung noch hundert Prozent bei der Landwirtschaft möglich sei, plädiert Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für eine bessere Stromvergütung für Bauern mit Agri-PV-Anlagen. Diese müsse man mit "ein paar Cent mehr unterstützen als bei einer reinen Freiflächenanlage", so Aiwanger. Sonst könnten Landwirte auf den Weizen darunter verzichten, weil der Sonnenstrom, der verloren geht, mehr wert sei.

Im April hatte das Ampelkabinett in Berlin beschlossen, das Baugesetz zu ändern. Dadurch sollen Genehmigungen für kleinere Agri-PV-Anlagen bis 2,5 Hektar schneller und einfacher möglich sein. Der Fraktionschef der bayerischen Grünen, Ludwig Hartmann, verbucht den Schritt besonders als Erfolg für seine Partei. Landwirte könnten so doppelte Ernte auf den Feldern einfahren. "Das ist genau der richtige Weg, um auch die Flächenkonkurrenz in der Landwirtschaft besser in den Griff zu kriegen", so Hartmann. Pilotprojekte reichten da jedoch nicht aus, man müsse Agri-PV in die Fläche bringen. Deswegen fordert Hartmann: "Bayern muss endlich die Beratung für unsere Bauern ausbauen."

Experte erwartet "starken Markteintritt" in den nächsten Jahren

Max Trommsdorff vom Fraunhofer Institut rechnet schon bald mit einem Boom der Technologie. Sie sei einsatzbereit und funktioniere. Gerade in Asien seien Projekte vielfach schon umgesetzt. "Auch die politischen Rahmenbedingungen Deutschland sind soweit gestellt, sodass wir in den nächsten Jahren einen wirklich starken Markteintritt erwarten", so Trommsdorff.

Um den produzierten Strom dann auch nutzen zu können, müssen parallel die Netze weiter ausgebaut werden. Außerdem braucht es laut Trommsdorff weitere Forschung. Welches System eignet sich für welche Kultur am besten? Was sind mögliche Auswirkungen auf Ökologie und Biodiversität? Fragen, die auch bei der Anlage in Grub genauer untersucht werden sollen.

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